12.11.2016

Unterwegs in der multikulturellen Schweiz

Von Anne Burgmer

Yared Daniel (19) stammt aus Eritrea und lebt in Aarau. Er absolviert eine Lehre als Automobilfachmann, spielt Fussball beim FC Buchs und ist griechisch-orthodoxer Christ.

«Geboren wurde ich in Adi Chomai. Das ist in Eritrea. Meine Muttersprache ist Tigrigna. Als ich zwölf Jahre alt war, bin ich mit meinem Vater aus Eritrea weggegangen und in die Schweiz gekommen. Das haben wir gemacht, weil schon meine Mutter und einige meiner Geschwister gegangen waren.

Mein Vater hat mir nicht gesagt, dass wir Eritrea verlassen

Meine Mutter war als erste in der Schweiz. Sie war aus Eritrea weggegangen, weil mein ältester Bruder fliehen musste. Und meine Mutter hätte entweder eine Geldstrafe zahlen oder ins Gefängnis gehen müssen.

Mein Vater hat mir nicht gesagt, dass wir aus Eritrea weggehen werden. Er hat das alles vorbereitet. Und dann sind wir gegangen. Deshalb habe ich nichts mitgenommen. Wir sind zu Fuss in den Sudan gelaufen und dann mit dem Flugi in die Schweiz gekommen.

Ich habe immer wieder Heimweh. Wenn ich arbeite, geht es. Dann vergesse ich alles um mich. Doch wenn ich Langeweile habe, fange ich an nachzudenken. Und dann kommt das Heimweh. Ich vermisse besonders meine Grosseltern. Bei ihnen bin ich hauptsächlich aufgewachsen. Sie sind Bauern, haben Tiere gezüchtet und Land bestellt. Ich habe geholfen. Ich war auch Bauer. Meine Grosseltern habe ich seit unserer Flucht nicht mehr gesehen.

Neue Kollegen, Arbeit und Fussball

Hier in der Schweiz bin ich jetzt etwa sechs Jahre. Und es gefällt mir sehr gut. Wenn ich überlege: Eigentlich habe ich zwei Heimaten. Eritrea, wo ich aufgewachsen bin. Da sind meine Kollegen von früher, mit denen ich nur noch selten Kontakt habe. Über Facebook. Und die zweite Heimat, die Schweiz, wo ich jetzt lebe.

In der Schule habe ich neue Kollegen gefunden. Wir spielen zusammen Fussball und gehen am Wochenende in den Ausgang. Hier habe ich Arbeit als Automobilassistent. Die letzten Prüfungen habe ich bestanden. Nun fange ich die Ausbildung zum Automobilfachmann an. Den Vertrag habe ich grad vor kurzem unterschrieben.

Frei leben und wählen

In der Schweiz gefällt mir besonders, dass ich frei leben kann. Und frei wählen, was ich arbeite. Ich kann sagen, was ich denke. Das geht in Eritrea nicht. Ungewohnt war am Anfang, dass so viele Rechnungen kommen. Und dass man die aufheben und bearbeiten muss. Das wusste ich nicht und musste es erst lernen. Jetzt habe ich das im Griff.

Per Zufall habe ich dann das Fussballtraining am Montag hier in Suhr entdeckt. Mein Bruder hat mir erzählt, dass Ausländer hier regelmässig gemeinsam trainieren. Mittlerweile spiele ich beim FC Buchs fest in der Mannschaft. Ich könnte dritte Liga spielen, habe aber die fünfte Liga gewählt, weil da meine Kollegen spielen. Neue Freunde zu finden, hat alles einfacher gemacht. Man vergisst alles – auch die Vergangenheit.

Respekt vor den Älteren

Eritrea und die Schweiz sind sehr unterschiedlich. Die Kultur ist ganz anders hier. Fondue kannte ich gar nicht. Das vermisse ich manchmal, das gemeinsame «von einem Teller essen». Wir machen das immer mal wieder und es gefällt mir besser, als wenn jeder seinen eigenen Teller hat. Auch ist der Respekt vor den Eltern oder den älteren Menschen in Eritrea noch grösser. Daran versuche ich mich auch hier zu halten.

Ich bin griechisch-orthodox und in Aarau gibt es eine katholische Kirche, in der wir Gottesdienst feiern können. Meine Eltern gehen und dann gehe ich mit. Insgesamt fühle ich mich hier in der Schweiz mehr zuhause. Weil ich frei bin.»

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