09.05.2016

«Unverständnis kann ich akzeptieren, Demütigung nicht!»

Von Anne Burgmer

«Gottes Liebe: grenzenlos!» – so heisst die dritte Segensfeier für gleichgeschlechtlich Liebende,  ihre Freundinnen und Freunde, Bekannten und Familien (siehe Unten). Dort wird Domenica Priore zu Gast sein. Die Italienerin wurde als Frau in einem männlichen Körper geboren.

Frau Priore, Trans-Frau, Trans-Mann – es ist verwirrend. Wie kann man sich merken, was was bedeutet?
Domenica Priore:
Das ist eigentlich einfach. Trans heisst «durch» und angehängt wird die Richtung, das Ziel. Eine Trans-Frau – wie ich – ist also als Frau in einem männlichen Körper geboren und will durch die Angleichung auch körperlich zur Frau werden. Bei einem Trans-Mann ist es umgekehrt.

Frau Birke warum haben Sie Domenica Priore zur diesjährigen Segensfeier eingeladen?
Susanne Andrea Birke:
Das Thema ist ja «Gottes Liebe: grenzenlos!» und wenn jemand Erfahrung mit Grenzen hat, dann ein Mensch wie Domenica, die auf vielen Ebenen etwas dazu sagen kann. Ausserdem ist am 17. Mai der internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie. Seit 2005 findet dieser Tag in Erinnerung an das entsprechende Datum im Jahr 1990 statt, an dem die Weltgesundheitsorganisation WHO entschied, Homosexualität von der Liste der Krankheiten zu streichen. Der Tag wird international begangen und dieses Jahr hat er den Schwerpunkt auf dem Thema Transidentitäten. Darüber hinaus ist es mir ein Anliegen, Schritt für Schritt eine LSBT-Pastoral aufzubauen.

Funktioniert es eigentlich, wenn bei einer Feier für gleichgeschlechtlich Liebende mit Kurt Adler auch ein Heteromann mit vorne steht?
Susanne Andrea Birke:
Das funktioniert wunderbar. Die Feier ist nicht nur für diejenigen, die selber gleichgeschlechtlich liebend oder transsexuell oder transgender sind. Alle, die interessiert sind oder sich solidarisieren wollen, sind eingeladen. Es soll ja niemand durch die Teilnahme an der Feier geoutet werden. Das wäre ganz falsch.
Domenica Priore: Auch für die Verwandten oder Freunde von Menschen, die homosexuell oder transsexuell sind. Die haben ebenfalls viel durchgemacht.
Susanne Andrea Birke: Was schön ist – nach der ersten Segensfeier 2014 mit Pierre Stutz kamen Menschen, die fragten, ob sie für den Anlass Werbung machen dürfen und Flyer bestellen. Das ist mir in 13 Jahren Ewachsenenbildung vorher nicht passiert.

Frau Priore wann haben Sie gemerkt, dass Sie im falschen Körper leben?
Domenica Priore:
Ich habe mit sechs Jahren realisiert, dass ich mich wie ein Mädchen fühle und verhalte. Bis in die Pubertät konnte ich das kaschieren. Doch dann veränderte sich der Körper so stark, dass ich nicht mehr verstecken konnte, dass Innen und Aussen nicht übereinstimmten. Der Körper entwickelte sich anders als die Psyche und das hat einen unglaublichen Leidensdruck verursacht. Die Verzweiflung darüber wurde immer grösser und mit Ende dreissig kam ich an den Punkt, wo es nicht mehr ging. Ich habe einige Jahre ein Doppelleben geführt – an der Arbeit als Mann, daheim als Frau – doch die Angst, dass das rauskommt wuchs und irgendwann war es einfach nur noch ein Riesenekel gegen die Männlichkeit meines eigenen Körpers. Das ist unbeschreiblich und ich wünsche es niemandem.

Gibt es irgendetwas bei dem Prozess einer Angleichung, was besonders wichtig ist?
Domenica Priore:
Ich empfehle jedem und jeder, sich therapeutisch begleiten zu lassen. Allein die Nebenwirkungen der Hormone, die man nehmen muss, können alles auslösen: Euphorie und Depression, Gewichtzunahme oder –abnahme. Die Medikamente wirken sich stark auf die Psyche aus und viele Dinge merkt man anfänglich gar nicht. Deshalb ist es wichtig, eine Ansprechperson zu haben, die auf einen aufpasst. Auch noch Monate nach der erfolgreichen Angleichung.

Wieviele Menschen sind transsexuell? Gibt es da Zahlen?
Domenica Priore:
Eher eine Dunkelziffer. Doch man geht davon aus, dass es eine ähnliche Zahl ist wie bei der Homosexualität, und da sind es etwa 10 Prozent der Bevölkerung.

Wer zahlt eine Angleichung in der Schweiz?
Domenica Priore:
Die Kasse, wenn man allgemein versichert ist, denn in der Schweiz gilt Transsexualität immer noch als Krankheit. Wenn man halbprivat oder privat versichert ist, muss man die Bedingungen sehr genau lesen.

Das ist «schräg». Für die Angleichung ist es praktisch, dass es als Krankheit gilt, und für die Gleichberechtigung ist es fatal.
Domenica Priore:
Ja. Eigentlich wäre der Status wie bei der Schwangerschaft gut. Man wird nicht als krank begleitet, bekommt aber gewisse Dinge im medizinischen Bereich bezahlt.

Wie hat ihr Umfeld reagiert?
Domenica Priore:
Ich habe die Angleichung relativ schnell durchführen können und ich hatte grosses Glück, dass alle Operationen gut verliefen und die Hormonbehandlung erfolgreich ist. Zudem hatte ich das grosse Glück, dass meine Eltern das alles akzeptiert haben, und ausser meinem Bruder haben auch alle Verwandten realisiert, dass es mir besser geht. Und ich habe einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber – in dem Betrieb arbeite ich seit 29 Jahren.
Susanne Andrea Birke: Laut einer Befragung ist die Arbeitslosigkeit sechs Mal höher als in der Gesamtbevölkerung.

Was arbeiten Sie?
Domenica Priore:
Ich bin Sanitärinstallateurin. Aber auf der Arbeit habe ich weniger Probleme als in der LSBT-Szene (LSBT steht für Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transgender, Anmerkung der Redaktion). Ich bezeichne mich selber als lesbisch und bin im Frauenzentrum in Zürich engagiert. Und da habe ich schon mal Sätze gehört wie: «Früher durften hier keine Männer rein!» – damit war ich gemeint.
Susanne Andrea Birke: Vor zwanzig Jahren hab ich das auch erlebt auf Treffen von (lesbischen) Frauen, wo es hiess, Trans-Frauen hätten dort nichts zu suchen, sie seien keine richtigen Frauen.

Das ist erstaunlich intolerant für eine Szene, die selber um Toleranz bittet.
Susanne Andrea Birke:
Ja. Da ist eine selbst ausgegrenzt und grenzt dann andere aus.

Können Sie verstehen, dass es Menschen gibt, die mit der Vorstellung von Homo- oder Transsexualität  wirklich Mühe haben?
Domenica Priore:
Das ist eine schwere Frage. Ich denke, solange ich die andere Person dulde und fair behandle, ist das ok. Homo- und auch Transidentität ist ein Thema, dass nur schwer fassbar ist. Weil es ein Mensch, dem das nicht geschehen ist, nicht wirklich nachvollziehen kann. Ich kenne viele Menschen, die sagen: Ich verstehe es nicht, aber ich finde es gut. Das kann ich akzeptieren. Was ich nicht akzeptieren kann, ist persönliche Demütigung und Verletzung.

Die Forderung nach Toleranz sollte aber auch nicht zum Zwang zur Toleranz werden, oder?
Susanne Andrea Birke:
Manche konservative Gruppen sind extrem – sie leugnen die Existenz von LSBT oder sprechen ihnen das Recht auf ein erfülltes Leben ab. Entsprechend fallen dann die Reaktionen aus. Oft sind es gerade solche, die ehemals in diesen konservativen Gruppen waren, die am schärfsten in ihren Forderungen sind.

Das schon, doch wenn man zum Beispiel die Grosselterngeneration nimmt – die ist völlig anders gross geworden und braucht schlicht Zeit, um sich an neue Vorstellungen zu gewöhnen. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass sozusagen Toleranz sofort gefordert wird.
Domenica Priore:
Ein gutes Beispiel ist vielleicht ein Arbeitskollege. Der fragt, warum ich mich überhaupt habe operieren lassen, wenn ich doch eh auf Frauen stehe. Ich hätte dann ja ein Mann bleiben können, meint er. Ich habe ihm versucht zu erklären, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Er hat es bis heute nicht verstanden, aber er akzeptiert, dass ich so bin, wie ich bin. Wir lassen uns gegenseitig leben. Das ist das Minimum, was im Zusammenleben möglich sein muss.

Sie sind Italienerin, in einer katholischen Familie aufgewachsen. Sind sie katholisch aktiv?
Domenica Priore:
Ich habe mich zurückgezogen. Weil die Position der katholischen Kirche grundsätzlich dort schwer ist, und weil ich persönlich in der Kirchgemeinde Diskriminierung erfahren habe. Deshalb bin ich dankbar für diese Segensfeier – ein kirchliches Angebot, wo ich akzeptiert bin.

Wen kann ein transsexueller Mensch in der Schweiz ansprechen, wenn er Informationen, Hilfe oder einfach Kontakt möchte?
Domenica Priore:
Es gibt das Transgender Network Switzerland. Das haben wir aufgebaut. Dort gibt es umfassende Beratung in ganz vielen Bereichen. Auch für Angehörige. Das ist online erreichbar und ein bisschen über die Schweiz verstreut. In Zürich ist das Gleichstellungsbüro zuständig und in Bern soll das jetzt genauso gehandhabt werden. Da wäre dann auch in Zukunft ein Anlaufpunkt. Sonst gibt es nicht viel.

Geht es Ihnen heute gut?
Domenica Priore:
Ja. Mit der Angleichung hat sich meine gesamte Stimmung geändert. Ich war früher introvertiert, verschlossen, weil ich immer Angst hatte, man merkt etwas. Seit ich mich geoutet habe und mich habe operieren lassen, bin ich offen. Jetzt fühle ich mich wohl.

www.transgender-network.ch

 

Segensfeier in Schöftland

«Gottes Liebe: grenzenlos!» – heisst die dritte Segensfeier für gleichgeschlechtlich Liebende, ihre Freundinnen und Freunde, Bekannten und Familie. Eingeladen sind aber alle Menschen mit Interesse am Thema oder dem Wunsch sich zu solidarisieren. Die Theologin Susanne Andrea Birke und der Religionspädagoge Kurt Adler-Sacher werden die Segensfeier leiten. Musikalisch gestaltet und begleitet wird die Feier vom Ensemble «gl’amoureuse». Im Anschluss gibt es einen Apéro und Zusammensitzen.  Herzliche Einladung in die Katholische Kirche nach Schöftland, am Freitag, 20. Mai 2016, 19 bis 20 Uhr. Weitere Informationen T 056 438 09 40 oder kurt.adler@kathaargau.ch

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