16.11.2020

Karikaturist Roman Hofer übernimmt von Kitti Steffen die Aufgabe als Horizonte-Jahreskünstler
Vom Nadel- zum Satirestich

Von Christian Breitschmid

  • Im neuen Kirchenjahr wird der Karikaturist Roman Hofer jeweils zu den Hochfesten eine seiner Zeichnungen und einen dazu passenden Text im Aargauer Pfarrblatt Horizonte publizieren.
  • Roman Hofer folgt als Horizonte-Jahreskünstler auf Kitti Steffen, die im vergangenen Jahr mit ihren farbintensiven Quilts einen ganz eigenen künstlerischen Zugang zu den Thematiken Advent, Weihnachten, Fastenzeit, Ostern usw. präsentiert hat.
  • Bei einem Besuch in seinem Atelier in Ennetbaden fand die Stabübergabe von Kitti Steffen an Roman Hofer statt. Im Interview mit den beiden Künstlern wird klar, dass sie trotz unterschiedlicher Techniken eine Menge Gemeinsamkeiten haben.

 

Früher wurde im Atelier von Roman Hofer Leder gegerbt. Dazu brauchte es ätzende Substanzen, die Augen, Haut und Atemwege gefährdeten. Es wirkt schon fast ironisch, dass heute in diesen Räumen wieder etwas produziert wird, was äusserst augenfällig ist, grosses Reizpotenzial hat und einem vielleicht auch mal den Atem verschlägt: Karikaturen. 
Roman Hofer ist der neue Horizonte-Jahreskünstler. Er löst in diesem Amt Kitti Steffen ab, die im vergangenen Kirchenjahr mit ihren wundervollen Quilts und Kurztexten die Festzeiten im Aargauer Pfarrblatt verschönert hat. Zur Stabübergabe trafen sich die beiden Künstler im Atelier von Roman Hofer. Das dabei entstandene Doppelinterview lesen Sie unten. 
Obwohl die beiden Künstler unterschiedlicher nicht sein könnten, entspann sich zwischen Kitti Steffen und Roman Hofer vom ersten Augenblick an ein intensives Gespräch über den je eigenen Zugang zur Kunst, die Vorzüge und Besonderheiten der von ihnen gewählten Materialien, den Humor als Grundstoff des Lebens, die Bedeutung der Religion, das Menschlich-Allzumenschliche und die Nichtigkeit unserer Existenz angesichts der Schöpfung. 

Frau Steffen, heute reichen Sie als Horizonte-Jahreskünstlerin den Stab oder wohl eher die Nadel weiter an Roman Hofer. Welchen Tip können Sie ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?
Kitti Steffen: Damit Roman den «Faden weiterspinnen» kann, wird die Nadel wohl zu einem Stift. Dem Bauchgefühl zu folgen ist wohl das Beste. Ich wusste schon einige Zeit vorher, dass ich die Jahreskunst übernehme, deshalb konnte ich manchmal nähen, wenn ich das Fest vorher – bewusster als sonst – erlebt hatte. Das war für mich einfacher. Vor allem, weil ich oft stundenlang an einem Werk stichle.

Herr Hofer, was reizt Sie am Auftrag, für Horizonte die grossen Feste der Kirche zu bebildern und zu betexten?
Roman Hofer: Einerseits bietet sich die Gelegenheit, mich vertiefter mit dem christlichen Glauben auseinanderzusetzen. Das hilft, meine Glaubenspositionen zu überprüfen und zu erweitern. Zurzeit lese ich die Einheitsübersetzung der Bibel. Mit Cartoons die kirchlichen Feste aufzugreifen ist natürlich eine Gratwanderung. Humorvoll zu sein ohne andere Menschen dabei zu verletzen ist eine Herausforderung. Das empfinde ich als ungemein reizvoll.

Auf welches Ihrer Werke im vergangenen Jahr sind Sie besonders stolz, Frau Steffen, und warum?
Kitti Steffen: Das war Pfingsten. Ich habe das Bild zwei Monate vor dem Fest genäht, vor Corona-Ausbruch. Ich wusste genau, was ich darstellen wollte. Nur die Nähtechnik hat mich noch gefordert. Und dann war Pfingsten da und mein Quilt passte gut, zu Corona und zu meiner persönlichen Lage. Der Text dazu flog mir fast zu. Ich bin überzeugt, dass die Seele schon vorausahnt. Für Ostern habe ich ein zweites Bild genäht, weil ich nicht ganz überzeugt war. Das zweite passte dann aber gut. Für Allerheiligen/Allerseelen habe ich mir am meisten Gedanken gemacht. Am Schluss war ich auch überzeugt, der Text stimmt für mich total.

Sie sind Karikaturist oder Neudeutsch Cartoonist, Herr Hofer. Sie haben von Berufs wegen einen satirischen, kritisch distanzierten Zugang zu Ihren Themen. Wie funktioniert das in Bezug auf christliche Feiertage?
Roman Hofer: Mich haben Fragen wie: Wer bin ich, was mache ich hier auf dieser Erde, gibt es einen Sinn im Dasein etc. zeitlebens umgetrieben. Die christlichen Feiertage sind da für mich wiederkehrende Marksteine, wo ich ein erhöhtes Bewusstsein habe, dass es neben der «Alltagswelt» mit Ihren mannigfaltigen Reizen und Versuchungen einen Gegenpol gibt, welcher zum Nachdenken und innehalten einlädt. Auch wenn diese Feste, aus meiner Sicht, teilweise zu inhaltslosen Kommerzanlässen mutierten.

Wegen Mohammed-Darstellungen wurden Karikaturisten in Frankreich von muslimischen Extremisten ermordet. Wie gefährlich ist es, Karikaturen zu christlichen oder katholischen Themen zu machen, Herr Hofer?
Roman Hofer: Es ist generell sicher heikler, den Glauben ins Humorvisier zu nehmen. Was ich in diesem Zusammenhang wahrnehme, ist, dass das Christentum mehr Spielraum lässt für die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Religion. Wenn ich sehe, welche Grenzgänge Cartoonisten zum Teil wagen, ohne dass es ernsthafte Konsequenzen hat, dann finde ich das bemerkenswert. Ich persönlich hatte nur einmal mit einer Frau zu tun, welche einen Cartoon als blasphemisch taxierte. Der Islam, respektive der fundamentalistische Flügel davon, kennt da nur die Nulltoleranz. Besonders heikel wird es, wenn westlich geprägte Cartoonisten mit einer offen liberalen Haltung sich an den islamischen Glauben wagen. Das würde ich mich in dieser sich zunehmend radikalisierenden Welt nicht wagen.

Welchen Zugang haben Sie, Frau Steffen, zur Kunstform der Karikatur oder des Cartoons?
Kitti Steffen: Ich liebe Cartoons und freue mich immer, einen in der Tageszeitung zu finden. Ich staune immer wieder, wie die Zeichner – es sind ja oft Männer – ein Thema in einer Zeichnung so auf den Punkt bringen können. Schon mehrmals habe ich eine Karikatur in einen Quilt integriert. Mit einer bestimmten Methode kann ich einen Bildtransfer vom Papier auf Stoff machen und so kann ich das Stück dann aufnähen. Rund um die Karikatur nähe ich dann mit meinen Ideen weiter und verziere die Stoffe mit Sticken, Pailletten und so weiter. Der letzte, den ich so gemacht habe, war ein Coronaquilt. Ich kann nicht gut figürlich zeichnen, aber mit Stoff kann ich dann weitermalen.

Und Gegenfrage, Herr Hofer: Wie geschickt sind Sie im Umgang mit Nadel, Faden und Stoffen?
Roman Hofer: Ich habe einmal mit 14 Jahren einen Schal gestrickt. Das war dann aber auch schon das höchste der Gefühle. Ansonsten blieb das für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Die Vorstellung, mit feinen Nadeln und Faden, so wie Kitti, geschickt umzugehen, treibt mir eher Angstschweiss auf die Stirn.

Die Kunst hat sich in Bezug auf das Christentum von jeher vor allem mit der Abbildung biblischer Motive befasst. Was kann sie, nach Ihrer Meinung, über diese reinen Abbildungen hinaus ausdrücken oder erreichen?
Kitti Steffen: Mich sprechen die Farben immer wieder an. Ihre Symbolik kann viele Menschen berühren, ohne dass sie ein grosses Wissen darüber haben. Ich kenne das auch aus der Arbeit mit Kindern. Wenn wir ein Bodenbild zu einer biblischen Geschichte gelegt haben, konnten sie später vielleicht noch das Bild beschreiben und so die Geschichte wieder hervorholen. Jeder Mensch macht sich zu den Geschichten andere Bilder. Wenn ich für mich ein völlig neues Bild sehe, gefällt es mir vielleicht spontan, aber vielleicht kann ich auch nichts damit anfangen. Mir helfen dann auch die Gedanken des Malers oder der Malerin, so kann ich über das Bild oder die Figur einen neuen Zugang zum Christentum bekommen.
Roman Hofer: Ich denke, dass die Kunst erweiterte Bildwelten schaffen kann, welche es Menschen ermöglichen, ihre festgesetzten Vorstellungen biblischer Bilder aufzubrechen und sie neben den gängigen Pfaden auf neue Wege und Zugänge aufmerksam zu machen. So hat die Kunst die Möglichkeit, Menschen visuell erweitert anzuregen.

Welche Rückmeldungen auf Ihre Bilder und Texte haben Sie im Laufe des vergangenen Jahres erhalten, Frau Steffen?
Kitti Steffen: Eigentlich zu jedem Bild habe ich Telefone, Karten oder Briefe von Bekannten bekommen. Nach der Veröffentlichung war ich immer gespannt auf die Reaktionen. Besonders gefreut hat mich die Erzählung einer Frau nach dem Adventsbild. Sie hat das Bild ihrer sterbenden Mutter gezeigt, und sie haben ein gutes Gespräch darüber geführt.

Und welche Rückmeldungen erwarten Sie oder wünschen Sie sich, Herr Hofer, auf die Bilder und Texte, die Sie für Horizonte im neuen Jahreskreis kreieren werden?
Roman Hofer: Erwartungen habe ich keine. Was schön wäre, ist, wenn die Betrachtenden für einen Augenblick ihren Alltag vergessen und ich ihnen ein Schmunzeln entlocken und/oder sie zum Nachdenken motivieren kann. Denn oft steckt in den Bildern mehr als der vordergründige Gag.

Was ist es eigentlich, das Sie beide antreibt, sich künstlerisch auszudrücken?
Kitti Steffen: Wenn ich mit den Händen die Gedanken im Kopf verarbeiten kann, dann begreife ich besser. Das Thema ist dann im Körper angekommen. Beim Nähen kann ich alles andere vergessen. Ich bin dann ganz da und es tut mir gut. Beim Handnähen kann ich die Gedanken fliessen lassen und ruhig werden. Stich für Stich geht es vorwärts, wie das Leben, Tag für Tag.
Roman Hofer: Für mich ist es die Neugier. Aus der wahrgenommenen Innen- und der Aussenwelt zu schöpfen und schrittweise zu sehen, was sich mir am Ende bildhaft zeigt, empfinde ich als einen bereichernden Weg. Zudem lerne ich mich im Kreationsprozess immer besser kennen und bin dabei öfter vom Ergebnis überrascht. Das schätze ich.

Warum, Frau Steffen, sind es bei Ihnen Stoffbilder und nicht etwa Oel, Aquarell, Ton oder Marmor?
Kitti Steffen: Es ist das Weiche, das Warme des Stoffs, das ich liebe. Und dann sind da wieder die Farben. Mit dem Stoff kann ich Geschichten erzählen. Ich habe auch schon anderes Material ausprobiert, aber bin immer wieder zu Stoff und Wolle zurückgekehrt.

Und warum sind es bei Ihnen, Herr Hofer, Zeichnungen und Sprechblasen?
Roman Hofer: Ich durfte vor den Cartoons 13 Jahre von der Kunst leben. Es kam vor zwei Jahren zum Punkt, wo ich nichts mehr Neues zu sagen hatte. Ich bekam Lust, etwas anderes auszuprobieren. Cartoons eröffneten mir da frische Möglichkeiten, kreativ zu sein. Text und Bild auf den Punkt zu bringen, eine kleine Geschichte in einem Bild zu verpacken, ist eine spannende Herausforderung. Man muss dabei die Betrachtungsweise der Leserschaft berücksichtigen. Zum Beispiel bei Dialogen darauf zu achten, wo die Figuren stehen, damit der Pointenaufbau stimmt. Zudem müssen die Bildelemente und Texte so gewählt werden, dass sie allgemein verständlich sind, also auch in Asien oder Südamerika funktionieren, da ich die Cartoons auch auf Englisch veröffentliche. Die Sprechblasentexte sind dabei meist die Knacknüsse.

Sie beide haben dazu ja gesagt, als Horizonte-Jahreskünstler mit Ihren Werken einen Beitrag zu leisten zur Information, zur Inspiration aber auch zur Unterhaltung unserer Leserschaft. Haben Sie in gewisser Hinsicht ein Sendungsbewusstsein, einen missionarischen Auftrag oder eine Botschaft, denen Sie dabei folgen?
Kitti Steffen: Ich habe mir zum Ziel gesetzt, etwas aus der biblischen Botschaft zum entsprechenden Fest hervorzuheben. An Weihnachten war es die Verkündigung. Manchmal war es ein Brauch, etwa an Himmelfahrt das Segnen der Kräuter. Dann habe ich versucht, die Aussagen mit unserem Leben zu verbinden. Es war mir wichtig, dass am Schluss eine positive Botschaft für uns Menschen da war.
Roman Hofer: Diese Begrifflichkeiten greifen in meinem Fall zu hoch. Ich sehe mich einfach als gläubigen Menschen. Die Auseinandersetzung mit religiösen Themen begleitet mich schon lange. Mir bietet der Glaube einen fundamentalen Halt im Leben. Gerade in dieser anspruchsvollen Coronazeit bringt mir das alte Wissen um etwas Grösseres Kraft und Inspiration. Oder anders gesagt: Wenn im Aussen vieles wankt, ist es wohltuend, im Innen einen Anker zu haben, der den weltlichen Rahmen übersteigt.

Das Christentum war einmal eine staatstragende Religion. In unserer säkularisierten, profitorientierten Welt des Individualismus’ hat diese Religion nur noch wenig zu melden. Was kann die Kunst dazu beitragen, daran etwas zu ändern?
Kitti Steffen: Die Kunst kann auch Menschen ansprechen, die nicht kirchlich sozialisiert sind. Kunst tut der Seele gut. Manchmal ist das Christentum zu stark von den Kirchenregeln geprägt. Jetzt könnten wir darüber diskutieren, was Kunst ist. Das passiert bei den Quilts immer wieder. Bei uns laufen Quilts unter Kunsthandwerk und schaffen es deshalb nicht in ein Museum. In Amerika ist das anders. Das ist ja vielleicht bei den Karikaturen ähnlich.
Roman Hofer: Eventuell gelingt es, einen neuen Zugang zum Thema Religion und Glauben zu schaffen. Unverkrampft und überraschend. Zu zeigen, dass Religion nichts Verstaubtes sein muss, sondern – wie in meinem Fall – mit Humor einen erfrischenden Blickwinkel auf Tiefgründiges eröffnen kann. Und vielleicht lässt sich damit auch eine jüngere Leserschaft für das Thema Glaube sensibilisieren. Sprich: über das Weltliche wieder zum Geistigen finden.

 

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