05.01.2015

Von Büchern und Menschen

Von Anne Burgmer

Porträts sind Entdeckungsreisen. Man begrüsst einen Menschen zum Gespräch und beim Abschied hat man das Gefühl, einen anderen Menschen zu verlassen. So auch bei Seelsorger Willy Emile Deck

Am Anfang steht ein Mann: Eine Statur wie ein Bär. Weissgrau meliertes Haupt- und Barthaar, blaues Hemd, blaue Augen, Lachfalten hinter Brillengläsern. Es ist Willy Emile Deck, Jahrgang 1958, gelernter Drucker, langjähriges Mitglied des Redaktionsausschuss von Horizonte und seit Juni 2014 Mitarbeiter der Jugendfachstelle in Wettingen. Das Studium der Sozialpädagogik begann er 2001, schloss es vier Jahre später ab.

Von der Druckerei…
Vom langjährigen Drucker zum Sozialpädagogen; ein Spätberufener? «Nein, das stimmt so nicht», sagt Willy Emile Deck leise und nachdrücklich. «Ich war etwas länger in der Schule und habe mit achtzehn im zweitletzten reinen Buchdruckerlehrgang das Handwerk gelernt. Später lernte ich Offsetdruck nach. Ich habe dann rund zehn Jahre als Offsetdrucker gearbeitet; den Buchdruck nur nebenbei gemacht.» 15 Jahre hat Willy Emile Deck Druckerfarbe an den Fingern. Und dann? Er schmunzelt: «Ich war im Strafvollzug. Als Aufseher.»

…in den Strafvollzug
«Ich wollte mit Menschen zu tun haben. Als Drucker arbeite ich alleine, mit Blick auf das Druckgut. Das war mir zu wenig», erklärt Willy Emile Deck. Auf den Strafvollzug kommt er über seinen Götti. Der arbeitet als Leiter der Zentralwäscherei in der alten kantonalen Strafanstalt Regensdorf. Willy Emile Deck schaut sich um, zieht eine Bewerbung in Lenzburg zurück; die Atmosphäre dort behagt ihm nicht. In der heutigen Justizvollzugsanstalt Pöschwies, wird er fündig. Er darf «schnuppern», nimmt bewusst keinen Bezug auf den Götti und findet, was er später «fast ein Daheim» nennt. Erneut lernt er. Zwei Jahre lang: Theoretische Grundlagen, Sicherheitsfragen, Selbstverteidigung. Letzteres ungern; gebraucht hat er sie nie. «Es war wichtig für den Ernstfall. Um zu wissen, wie man dann mit den Menschen umgeht und redet. Es sind Menschen, mit denen man zu tun hat», betont Willy Emile Deck. Er lernt die Leitplanken kennen, in denen sich der Gruppenvollzug abspielt. Er engagiert sich zunehmend auch für die Mitarbeiter, gründet eine Syna-Gruppe. «Die Zeit im Strafvollzug war auch Persönlichkeitsstärkung, ohne die ich später den Schritt in die ganz andere Welt des Studiums nicht geschafft hätte», erläutert Willy Emile Deck.

Jugendarbeit
Als Sozialpädagoge wollte Willy Emile Deck im Heim arbeiten. Doch die meisten wollen keinen, der ‚im Gefängnis war‘. Anders das Jugendheim Aarburg: dort ist jemand mit seinen Erfahrungen gern gesehen. Es folgt ein kurzes und prägendes Intermezzo. «Die geschlossene Wohngruppe wurde immer mehr zu einer Art Jugendstrafvollzug. Und ich wollte ja als Sozialpädagoge arbeiten», erklärt er. Schliesslich kommt er an die Regionale Jugendarbeitsstelle Surbtal, baut dort die politische und kirchliche Jugendarbeit mit auf.

Balanceakt
Wie empfindet Willy Emile Deck die beiden Arbeitsfelder Strafvollzug und Jugendarbeit? Er denkt nach und sagt: «Das System des Strafvollzug beruht auf Zwang, braucht feste Leitplanken. Die Jugendarbeit stützt sich auf Freiwilligkeit. Gleichzeitig braucht es strenge Kontrollen, Hausregeln im Jugendtreff müssen eingehalten werden. Und im Strafvollzug muss es Freiheiten und Unterbrechungen im Alltagstrott geben. Diese Spannung fasziniert mich.»

Gleichgewicht
Entspannung findet Willy Emile Deck im Gesang. Gleich in drei Chören wirkt er mit. Von Choral bis Jodel reicht das Interesse. Musik ist ihm wichtig. Dass er Bücher mag, verwundert bei einem Buchdrucker kaum. So sind zwei der drei Dinge, die er auf eine gedachte einsame Insel mitnehmen würde Bücher und Noten mit Blockflöte. Und Nummer drei? «Mir ist die Familie wichtig. Meine Frau, die Kinder und auch Onkel und Tanten. Ich habe selber keine Geschwister und so ist die Grossfamilie von Bedeutung für mich. Die würde ich auch mitnehmen», sagt Willy Emile Deck. Ob es sonst noch etwas Wichtiges zu erzählen gäbe? Willy Emile Deck lacht. «Herrje, nein. Ich denke nicht. Das ist doch alles gut so», sagt er und winkt zum Abschied.

Anne Burgmer

 

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