07.12.2015

Was ist das Fundament?

Von Anne Burgmer

Fünf Menschen, ein leerer Stuhl mit Fragenzeichen und eine Handpuppe namens Willi. Dazu gute Moderation. Mehr brauchte es nicht, um das kleine und feine Podium zum Thema Familie in Kleindöttingen zu einem Erlebnis zu machen.

Der Applaus zum Schluss sagte alles. Fast zwei Stunden lauschten zehn Erwachsene und drei Jugendliche aufmerksam den Statements und der Diskussion der fünf Podiumsteilnehmenden. Sie stellten ihnen Fragen oder brachten eigene Erfahrungen ein. Grundlage für das Podium waren zwei Unterrichtseinheiten von Oberstufenschülerinnen und –schülern. Diese hatten sich im konfessionellen Religionsunterricht mit dem Thema Familie auseinandergesetzt. «Natürlich wäre es schön gewesen, wären mehr Menschen gekommen. Ich frage mich zum Beispiel, wo die vielen Mitglieder des Frauenbundes waren. Wir haben breit Werbung gemacht für das Podium», sagte Claudia Rüegsegger, Katechetin in Leuggern-Kleindöttingen, nach dem Anlass. Frustriert war sie aber nicht. Ebenso wenig wie Thomas Scheibel. Er ist Jugendseelsorger in den katholischen Pfarreien St. Antonius, Kleindöttingen, und St. Peter und Paul, Leuggern.

Intimes Thema
Auch die Menschen auf dem Podium machten nicht den Eindruck, dass ihnen zu wenige Zuhörerinnen und Zuhörer gegenübersassen. Alexa Cester, Gemeinderätin aus Böttstein, Markus Schmid, Caritas Aargau, Andrea Suter, erfahrene alleinerziehende Mutter, Silvia Schneider, frischgebackene Mutter und Agnes Canonica, Mutter und Grossmutter, näherten sich aus ihren sehr persönlichen Biografien dem Thema. Impulse kamen über Zitate und Fragen, die die Handpuppe Willi in der Jackentasche hatte. Willi war während aller Unterrichtseinheiten bei den Schülern und sammelte die offenen Fragen. Beispielweise ab wann Familie anfange oder ob das chinesische Sprichwort stimme, welches sagt, dass in einer Familie das Glück von alleine kommt.

Die Reaktion darauf war bei Publikum und Podium ähnlich: «Was ist denn überhaupt Glück?» Und: «Nein, so einfach ist das nicht.» Denn was ist, wenn die Familie als das vermeintlich erreichte Traumziel zerbricht? Wenn das Fundament einer Familie brüchig ist und keinen Sturm aushält, ohne vollends kaputt zu gehen? Familie bedeutet Arbeit auf verschiedenen Ebenen. Im familiären Austausch, der auch Krach vertragen sollte. Das Gespräch, da waren sich alle einig, trägt wesentlich zum Gelingen der Familie bei. «Unser Geschirrspüler ist seit einigen Wochen kaputt. Und auch wenn es am Anfang etwas Gerangel gab, wer abwaschen helfen soll, geniessen wir mittlerweile die gemeinsamen Gespräche», erzählt Andrea Suter, Mutter von drei Söhnen im Jugend- und Erwachsenenalter. Zustimmendes Nicken ist die Reaktion.

Druck von aussen
Alexa Cester betrachtete das andere Ende: «Ich bin seit sieben Jahren im Gemeinderat für das Ressort Soziales verantwortlich und erlebe, dass es für die Familien, die zu uns kommen, meist zu spät ist. Sie müssten viel früher kommen, wenn dieser Austausch aus den verschiedensten Gründen nicht mehr stattfindet.» Doch – so ein Votum aus dem Publikum – die Scham sei oftmals in belasteten Familien hoch. Man traue sich nicht, Hilfe zu suchen. Eine hohe Hemmschwelle, grosser Druck von aussen, ein oft überhöhtes Bild von der perfekten Familie in der Gesellschaft – die Gründe bei Problemen zu schweigen seien zahlreich.

Markus Schmid, Leiter der Fachstelle Diakonie bei der Caritas Aargau, erklärte, dass es mit dem ökumenischen Projekt der Wegbegleitung oder den Kirchlichen Regionalen Sozialdiensten genau um diese niederschwelligen Hilfs- und Begleitangebote geht. «Meine Frau und ich haben selber lange einer allein erziehenden Mutter geholfen, indem wir ihr Kind zu uns genommen haben, wenn sie abends arbeiten musste», sagte er. Silvia Schneider, seit 14 Monaten Mutter, zeigte sich erleichtert, dass andere Mütter dem Druck von aussen ebenso ausgesetzt sind wie sie selber. «Es ist manchmal schwer, damit umzugehen, dass Kolleginnen kommen und fragen, ob ich jetzt endlich wieder arbeite», sagte sie. Sie fühle sich wohl damit, im Moment einfach daheim zu sein, Mutter zu sein. Fast eine Tabuhaltung in einer Gesellschaft, die Elternschaft und Beruf unter einen Hut bringen möchte.

Freie Entscheidung
Was sich die Podiumsteilnehmenden von der Kirche wünschen, fragte Claudia Rüegsegger zum Abschluss der Veranstaltung. «Eine Kirche, die die Hand reicht», antwortete Agnes Canoncia. Denn auch, wenn viele junge Menschen nicht mehr in den Gottesdienst gingen, seien sie über Jugendgruppen oder andere Angebote doch in der Kirche. Das solle aufgenommen werden und da könne Kirche dazu lernen. «Ich als Grossmutter lerne ja auch noch dazu», sagte sie und lachte. Freiwilligkeit sei wichtig, ergänzte Andrea Suter, denn Zwang führe zu gar nichts. Am besten fasste es vielleicht der älteste Zuhörer zusammen: «Die Umstände für Menschen und die Formen von Familie haben sich verändert. Das ist einfach so. Die Gesellschaft sollte dem Rechnung tragen, doch sie tut sich schwer mit den neuen Formen.» Eine Aussage, die auch auf die Kirche zutrifft. «Was die Synode in Rom gebracht hat, weiss man noch nicht. Doch die lokalen Kirchen, die spreche ich direkt an. Die sollten zu dienenden Kirchen werden. Netzwerke aufbauen, die dem Menschen helfen und Nähe geben», sagte Markus Schmid und erntete einstimmige Zustimmung.

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