20.09.2018

Weihwasser – mehr als eine chemische Verbindung

Von Anne Burgmer

  • Wasser ist die Grundlage des Lebens und hat seit jeher auch die Fantasie beflügelt.
  • In verschiedenen religiösen oder spirituellen Zusammenhängen spielt Wasser eine grosse Rolle.
  • In den meisten katholischen Kirchen kann man Weihwasser für den Heim-Gebrauch abfüllen. Doch soll man Weihwasser sammeln?

 

In einem Ausläufer des Fricktals lebt ein Mann, auf den das Wort kauzig passt. Im besten Sinne. Er sagt selber, dass er ein eigenwilliger Charakter sei. Fotografiert will er nicht werden, auch sein Name soll nicht erscheinen. Der Mann sammelt. Ganz verschiedene Dinge. Ordentlich systematisiert füllen die Sammlungen sein Haus bis unters Dach. Unter den Objekten sind, wenn auch zum grossen Teil verpackt, gegen 850 unterschiedlich gestaltete Weihwasserbecken; solche, die früher oft neben der Schlafzimmertür hingen. Ausserdem, ebenfalls in Schachteln, 495 Flaschen und Konfitüregläser voller Wasser. Doch es ist kein normales Wasser, es ist Weihwasser, jedes abgefüllt in einer anderen Kirche in der Schweiz, in Deutschland, Italien, Irland, Frankreich, Griechenland oder Russland.

Stoff des Lebens

Wasser. Es kühlt oder gart, plätschert oder tost, es löscht Durst oder erstickt. Als Regen nervt es, doch ohne es wächst auf den Feldern nichts. Aus 70 Prozent Wasser besteht unser Körper. Wo Wasser ist, so sagen Wissenschaftler, ist Leben möglich; das Leben ist – so der heutige Erkenntnisstand – im Wasser entstanden. Nicht umsonst werden Hinweise auf Wasser auf anderen Himmelskörpern, wie unlängst auf einen unterirdischen See auf dem Mars, in den Medien publiziert.

Wasser ist der einzige Stoff auf der Erde, der in drei Zuständen existiert: fest, flüssig und gasförmig. Um Wasser wird gerungen. Die Wasser-Politik des Lebensmittelkonzerns Nestlé sorgt regelmässig für Schlagezeilen, denn nur ein verschwindend kleiner Anteil des Wassers auf der Erde ist Trinkwasser. 2010 erklärte eine Mehrheit von Ländern in der UN-Vollversammlung den Zugang zu sauberem Trinkwasser zum Menschenrecht. Wasser ist uns so selbstverständlich, dass wir vor allem durch sein Fehlen auf es aufmerksam werden.

Von Gottheiten bewohnt

Die Bedeutung des Wassers schlug sich früh in der Philosophie und in den Religionen nieder. Es galt als Urelement. Das Leben entsteigt in vielen Vorstellungen von Schöpfung dem Wasser. Als Naturkraft wurden sowohl seine schöpferischen wie zerstörerischen Aspekte in Mythologien eingebunden. In verschiedenen Kulturen wurden Wasser- oder Regengottheiten durch Kult verehrt und gnädig gestimmt. Quellen, Flüssen oder Seen wurde ebenfalls Macht zugesprochen, es herrschte die Vorstellung vor, dass Gewässer durch Wassergottheiten bewohnt waren.

In den etablierten Religionen spielte und spielt Wasser meist im Zusammenhang mit dem Thema Reinigung eine Rolle. Einerseits unterziehen sich die Angehörigen verschiedener Religionen ihren jeweils vorgeschriebenen Reinigungsritualen. Andererseits wird mit der Sintflutgeschichte im sogenannten Alten Testament eine Reinigungsaktion im grossen Stil erzählt: Gott will seine Schöpfung sauber waschen vom Bösen, allein Noah, seine Familie und ausgewählte Tiere sollen überleben. Wasser ist aus den Religionen nicht wegzudenken.

Neu geboren in der Taufe

Im Christentum beginnt das Leben als Christin oder Christ mit Wasser, mit der Taufe. Dafür wird aus etwas Profanem etwas Besonderes. Andreas Wieland, Diakon, verdeutlicht: «Ich bitte meine Tauffamilien, sie sollen gewöhnliches Wasser in einem Fläschchen von zu Hause mitbringen zur Tauffeier ihres Kindes. Wir machen es dann zum Taufwasser. Mit diesem Wasser kommt die Familie täglich in irgendeiner Form in Berührung. Nach der Taufe gebe ich der Tauffamilie das gesegnete Wasser in der Flasche zurück, damit es bei ihnen zu Hause weiterhin benutzt werden kann als Weihwasser. So stellt die Tauffamilie gleichzeitig einen Bezug zu diesem Wasser her, da es ihr eigenes Wasser ist».

Doch nicht nur im Zusammenhang mit der Taufe spielt Wasser im Christentum eine Rolle. Zahlreiche liturgische Handlungen beinhalten die Verwendung von Weihwasser. Das Wasser wird unter Zugabe von etwas Salz – das hat mit der Haltbarkeit des Wassers zu tun – das und einem Segensgebet zu Weihwasser. Mit ihm werden Menschen, Tiere, Häuser oder Gegenstände gesegnet. In manchen Gottesdiensten wird die Gemeinde mit dem geweihten Wasser besprengt und sinnhaft in das liturgische Geschehen einbezogen.

Weihwasser «to go»

In jeder katholischen Kirche gibt es im Eingangsbereich Weihwasserbecken. Beim Eintreten oder Verlassen des Gotteshauses bekreuzigen sich die Gläubigen mit dem Wasser und erinnern sich damit an ihre Taufe. In praktisch jeder katholischen Kirche besteht zudem die Möglichkeit, Weihwasser abzufüllen, um es mit heimzunehmen. «In unseren Pfarreien im Seelsorgeverband Homberg benötigen wir pro Jahr zwischen 6 und 14 Liter Weihwasser. Es wird bei uns kein ungeweihtes Wasser dem geweihten Wasser dazugegeben. Wenn der Weihwasserbehälter leer ist, wird er mit frischem Wasser aufgefüllt und das Wasser wird neu gesegnet», erklärt Andreas Wieland.

Doch (Weih)Wasser sammeln? Andreas Wieland hat eine klare Meinung dazu: «Das kommt auf die jeweilige Situation an, in der man persönlich und familiär drinsteht. Grundsätzlich bin ich der Meinung, Weihwasser soll benutzt werden». Ungenutztes Weihwasser werde, so der Diakon, auf jeden Fall nicht einfach in den Ausguss geschüttet, sondern der Schöpfung zurückgegeben.

Sammler wünscht sich Kapelle

Und die Weihwassersammlung des Fricktalers? Ein befreundeter Benediktinerpater aus Einsiedeln gab ihm den Rat, das Weihwasser an einem geweihten Ort, einem Friedhof beispielsweise, auszugiessen. Weihwasser sei kein Sammelobjekt. Doch Ausschütten kommt für den Sammler nicht infrage, es hängt ein Teil seiner Biografie an den Gläsern. Er ist nicht mehr der Jüngste und würde seine Weihwassersammlung gerne zu Lebzeiten gut versorgt wissen. Das Dilemma: Er wünscht sich, dass sie als Ganzes erhalten bleibt, die Gläser in Harassen in einer offenen Kapelle, in einer Art Häuschen aufgestellt werden könnten. Der Mann sagt selber, dass die Erfüllung des Wunsches wohl eher unwahrscheinlich ist. Doch er gibt die Hoffnung nicht auf und meint ganz zum Schluss, er müsse die Schilder auf den Gläsern mal neu schreiben.

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