16.11.2014

Weil du es mir wert bist

Von Horizonte Aargau

Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und andere sind heutzutage omnipräsent. Wohl noch nie haben sich Menschen so gestresst und unter Druck gefühlt angesichts der Fülle und Dichte von Informationen wie heute. Das übergrosse Angebot, welches auf den ersten Blick nach enormer Freiheit aussieht, ist jedoch trügerisch.
Durch das andauernde «Abgelenkt werden» und die Fülle der Optionen für mögliche Bedürfnisbefriedigungen können wir das Wichtige immer schlechter vom Unwichtigen unterscheiden. Hinzu kommt, dass aus Angst vor einem vermeintlichen sozialen Tod permanent «connected» werden muss: Ich «connecte,» also bin ich. Das starke «im aktuellen Moment Sein» ist so dominant geworden, dass Vergangenheit und Zukunft an Bedeutung verlieren. Fragen wie «Wie bin ich der geworden, der ich bin?» oder «Was gibt meinem Leben Sinn?» brauchen für Ihre Beantwortung Zeit, und Zeit gilt als Luxus in unserer schnelllebigen Gegenwart. Für eine lebendige Partnerschaft können die allzeit vorhanden Verführungen zur Ablenkung fatal sein. Ebenso der Druck, sich in den sozialen Medien ständig mitteilen zu müssen. Eine Partnerschaft braucht Zeit, um sorgsam aufeinander zuzugehen, sich aufeinander einzulassen und um ein «Wir-Gefühl» zu erzeugen. Dating-Sites im Internet suggerieren zudem, dass irgendwo ein perfekter Partner auf mich wartet. Treten nun Unstimmigkeiten in der Partnerschaft auf, was sich in keiner Partnerschaft verhindern lässt, werden diese dahingehend interpretiert, dass der optimale Partner noch nicht gefunden wurde, und es kommt mitunter zur Trennung.

Nicht Zerrüttung sondern Entfremdung
Liebe mag eine Partnerschaft begründen, sie kann jedoch nicht alles alleine tragen. Liebe ist kein Garant für Beziehungsstabilität und –qualität. Wohl jedes Paar sagt sich an der Hochzeit, dass es sich innig liebt, und trotzdem wird jede zweite Ehe geschieden. Soll eine Partnerschaft langfristig bestehen, so muss darin investiert werden. Nach Guy Bodenmann, einem Schweizer Paartherapeuten der Universität Zürich, gehen Ehen heutzutage viel weniger wegen Zerrüttung auseinander, sondern wegen Entfremdung, weil sich die Paare zu wenig Zeit füreinander nehmen. Gespräche können nicht in die Tiefe gehen und es findet keine emotionale Selbstöffnung statt, was zur Entwicklung von Nähe unabdingbar ist. Dadurch verlieren sich Paare aus den Augen, und so wird einem der eigene Partner fremd. Guy Bodenmann vertritt die Haltung, dass es für jede Partnerschaft wichtig ist, sich regelmässig emotional auszutauschen, er nennt dies «emotionales Updaten» – auch das ein Begriff aus der schnelllebigen Informationstechnologie.

Stärkendes «Wir-Gefühl»
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass heutzutage verschiedenartige Herausforderungen an uns herantreten. Auf der einen Seite erleben wir eine enorme Beschleunigung im Alltag, sowohl beruflich, als auch im privaten Freundeskreis hinsichtlich Erreichbarkeit, virtueller Meinungsäusserung oder bei der Suche nach dem grösstmöglichen Unterhaltungswert. Auf der anderen Seite steht der Wunsch nach einer glücklichen Partnerschaft, welche ganz anderen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist. Hier braucht es Zeit mit dem Partner, um Tiefe und ein die Partnerschaft stabilisierendes und stärkendes «Wir-Gefühl» zu erreichen. Hier umschalten zu können ist eine grosse Herausforderung der heutigen Zeit. Wenn diese Entschleunigung gelingt, werden wir mit mehr «Zentriertheit» und letzten Endes mehr Ruhe, Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit im Leben belohnt.

Heinz Bernegger

Themen Paare
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