01.02.2016

Wenn nicht «Nichts» war

Von Anne Burgmer

Es kann für die Beteiligten emotional anstrengend sein. Entsprechend klein ist die Zahl der Ehe-Annullierungsverfahren im Bistum Basel. Doch es gibt sie und sie sind keine «Scheidung auf katholisch».

Wenn es um die Hochzeitsfeierlichkeiten geht, denkt kaum jemand daran, dass eine Ehe auch scheitern kann. Das ist gut und normal. Doch Ehen gehen in die Brüche und einige wenige geschiedene Katholikinnen und Katholiken wünschen sich nach einer zivilen Scheidung auch die kirchliche Annullierung des Ehebandes. Entweder weil sie einen vollständigen Schlussstrich ziehen wollen, oder weil sie eine neue Beziehung eingegangen sind, und auch kirchlich heiraten möchten. «Im Offizialat haben wir im Jahr rund dreissig Anfragen von Interessierten und von Scheidung betroffenen Menschen», erklärt Peter Schmid, Offizial des Bistums Basel, «in etwa zwei Fällen wird ein Annullierungsverfahren durchgeführt. Zusätzlich wird im Schnitt in fünfzehn Fällen der kirchliche Ledigenstand auf dem Verwaltungsweg festgestellt.» Letzteres heisst, dass eine kirchliche Ehe aufgrund eines Formfehlers nicht gültig zustande gekommen ist.

Belastendes Verfahren
Ein Annullierungsverfahren wird erst eröffnet, wenn sich nach Vorgesprächen abzeichnet, dass es wahrscheinlich mit der Feststellung der Ungültigkeit abgeschlossen werden kann. Das geschieht mit Rücksicht auf die Gefühle der Betroffenen, denn das Verfahren kann emotional anspruchsvoll sein. Einer der geschiedenen Partner ist die klagende Partei, der andere die nicht-klagende Partei. Die klagende Partei, gelegentlich auch beide Parteien, beschreiben ihre Biographie und die Zeit ihrer Ehe. Das berührt Fragen von Kindheit und Jugend.

Die anschliessenden Befragungen werden durch eigens geschulte Seelsorger und Seelsorgerinnen durchgeführt, denn es geht unter anderem um den Glauben, das soziale Umfeld, die Sexualität und die psychische Verfasstheit in verschiedenen Lebensphasen. Die Parteien müssen zudem Zeugen benennen, die ebenfalls Auskunft geben können. Bei einigen Annullierungsgründen müssen auch psychologische Gutachten erstellt werden. Auf Grundlage all dieser Aussagen prüft der sogenannte Eheband-Verteidiger, was alles für die Gültigkeit der Ehe spricht. Alle diese Unterlagen können die Parteien einsehen und kommentieren, wenn sie das wünschen.

Das ganze Verfahren kann emotional belastend sein und gegen anderthalb Jahre dauern. Vielfach reisst es alte Verletzungen und belastende Erinnerungen auf. Doch selbst wenn ein Verfahren mit der Feststellung der Ungültigkeit beendet wird, verschwindet dadurch die partnerschaftlich gelebte Zeit nicht. «Ich spreche nicht gerne von Nichtigkeit», sagt Peter Schmid, «die gemeinsame Zeit der Betroffenen gehört zur ihrer Biographie. Sie verschwindet nicht einfach, weil die Kirche die Ungültigkeit der Eheschliessung festgestellt hat. Es wäre menschenfreundlicher, wenn ein geordnetes Verfahren entwickeln werden könnte, in dem es darum geht, festzustellen, ob eine Ehe nicht mehr existiert.»

Ehe-Vorbereitung
Angesichts dieses manchmal belastenden Verfahrens stellt sich die Frage, ob es nicht eine bessere Vorbereitung auf die Eheschliessung geben sollte. «Gelegentlich hat schon eine Partei am Ende ihrer Befragung im Rahmen des Annullierungsverfahrens sich bedankt und gemeint, es wäre hilfreich gewesen, wenn ihr diese Fragen vor der Heirat gestellt worden wären», sagt Peter Schmid auf diese Frage. Zwar seien die Vorbereitung auf Taufe, Kommunion und Firmung in den letzten Jahren enorm verbessert und intensiviert worden, doch die Vorbereitung auf die Ehe friste ein etwas stiefmütterliches Dasein. «Unabhängig von der Frage der Annullierungsverfahren wäre es dem Ehesakrament angemessen, die Vorbereitung mindestens so ernst zu nehmen wie beispielsweise die Vorbereitung auf den Empfang der Firmung», sagt Peter Schmid.

Kurt Adler-Sacher, Erwachsenenbildner bei Bildung und Propstei im Aargau, führt seit acht Jahren Ehe-Vorbereitungskurse im Aargau durch. Pro Jahr sind es mittlerweile vier Stück an denen im Schnitt acht bis zwölf Paare teilnehmen. «Die Kirche kann die Menschen nicht zwingen, sich über das formal geforderte hinaus mit der Ehe auseinanderzusetzen. Doch es ist wichtig, dass Paare im Vorfeld die Möglichkeit haben, über ihre Vorstellungen zu reflektieren und sich auszutauschen», sagt Kurt Adler-Sacher. Das Ehe-Sakrament heisse nicht, dass dann alles gut sei. Es muss kontinuierlich an der Beziehung gearbeitet werden. Mit entsprechenden Angeboten für Ehepaare jeden Alters trägt er diesem Punkt Rechnung.

Schwindende Bedeutung
Papst Franziskus hat das Eheannullierungsverfahren per Gesetzesänderung zum 8. Dezember 2015 etwas vereinfacht. Waren vor diesem Datum zwei Instanzen notwendig, um die Ungültigkeit einer Eheschliessung rechtswirksam festzustellen, reicht heute eine Instanz. Viel ändert das im Bistum Basel allerdings nicht: «Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen wurden die erstinstanzlichen Feststellungen der Ungültigkeit durch das Offizialat des Bistums Basel von der zweiten Instanz, dem Interdiözesanen Schweizerischen Kirchlichen Gericht mit Sitz in Fribourg, bestätigt», erklärt Peter Schmid. Insgesamt ist die Zahl der Ehe-Annullierungsverfahren in den letzten Jahren zurückgegangen. Für Peter Schmid ein Indiz dafür, dass immer mehr Menschen eine kirchliche Wiederverheiratung nach einer ersten, sakramental geschlossenen, Ehe nicht mehr wichtig genug ist, um das langwierige Verfahren auf sich zu nehmen.

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