23.10.2014

Wer Schmetterlinge lachen hört

Von Anne Burgmer

Jeweils am Wechsel der Jahreskünstler können die Horizonte-Leser bemerken, dass das Kirchenjahr neu angefangen hat. Gestartet wird mit dem Advent, Allerheiligen ist der Schlusspunkt. Zeit also, die neue Jahreskünstlerin vorzustellen und mal zu hören, was der scheidende Künstler für Erfahrungen gemacht hat. Ein Ortstermin in Riniken.

Was gibt ein Jahreskünstler seiner Nachfolgerin weiter? «Früh anfangen, sonst gibt es ein Erinnerungsmail», sagt Thomas Markus Meier und lacht. Nach einem guten Kaffee, mit Kardamon und Zimt gewürzt, geht es los, das Jahreskünstlergespräch zwischen «dem Alten» und «der Neuen». Gemeint sind Thomas Markus Meier, der die Front des Horizonte im vergangenen Jahr zu den Hochfesten gestaltete und Erika Steiner, die sich dieser Aufgabe für das kommende Kirchenjahr stellt. «Das wird für mich neu, ich habe bisher selten auf Auftrag hin geschafft», stellt Erika Steiner fest, ohne sich allerdings verunsichert zu zeigen.

Faszination Buchstaben
Verbunden sind die beiden Künstler in ihrer Faszination für den Buchstaben. Thomas Markus Meier beschäftigte sich schon von Jugend an mit orientalischer Kalligraphie. Erika Steiners Metier ist die Kalligraphie. Viel hatte sie ausprobiert, bis sie sich irgendwann schwor: «Nie wieder irgendeinen Kurs» und sich ein Buch über Kalligraphie kaufte. Ganz ohne Anleitung ging es dann doch nicht; Andreas Schenk, renommierter Kalligraph in Basel, lehrte sie den Umgang mit Feder und Tinte. Speziell den mit der Spitzfeder. Der Name ist selbsterklärend. Die Feder wird klassischerweise für die englische Schrift verwendet. Diese besticht durch eine ausgewogene Abwechslung von breiten und haarfeinen Linien. Eine verspielte Schrift, die Assoziationen an Liebesbriefe weckt. Erika Steiner lässt sich jedoch nicht davon abhalten, diese Feder auch für Schriften zu verwenden, für die normalerweise breite Federn benutzt werden. So behalten die Schriften zwar ihren Charakter, doch die Dynamik verändert sich völlig, erklärt sie und legt Schriftproben auf den Tisch.

Verschiedene Arbeitsweisen
Die Stabübergabe gestaltet sich spannend: Ein Mann übergibt an eine Frau, ein Katholik an eine Reformierte, ein Crossover-Künstler an eine Kalligraphin. Wen wundert es da, dass sich auch die Arbeitsweise der beiden Kreativen unterscheidet. «Ich mache von jedem Thema viele verschiedene Variationen. Bis zu fünfzehn Stück», stellt Erika Steiner fest. Die 63-jährige lässt durchblicken, dass die Endauswahl dann durchaus auch mal bei den Horizonte Redakteuren liegen kann. «Manchmal kann ich mich einfach nicht entscheiden, welches Ergebnis mir am besten gefällt», fügt sie an. Thomas Markus Meier staunt, kennt die Problematik allerdings von Kurstiteln. Bei Bildern allerdings ist für ihn klar: «Natürlich werden die Bilder zum Schluss nie ganz genau so, wie ich das zu Beginn überlegt habe, doch wenn ich einmal einen Entwurf im Kopf und als Skizze auf dem Papier hatte, wurde der umgesetzt. Es muss schon ein sehr grober Schnitzer passieren, dass ich von vorne beginne.» Einmal sei die Idee an der gewählten Technik gescheitert. Ein Foto liess sich nicht so übermalen, wie gedacht, die Zeit reichte nicht aus, ein neues Foto zu bestellen und so kam letztlich was ganz anderes heraus. Erika Steiner lacht: «So ist meine erfolgreichste Karte entstanden; ‚Wer Schmetterlinge lachen hört‘. Ich weiss nicht, wie oft ich das geschrieben habe. Es hat einfach nie geklappt. Zum Schluss habe ich dann die Farben wild hin gespritzt und das wurde die Karte. So arbeite ich manchmal eben auch.»

Arbeit und Vergnügen
Neben der Faszination für Kalligraphie teilen Erika Steiner und Thomas Markus Meier einen Teil des beruflichen Werdegangs. Beide waren als Lehrer tätig. Erika Steiner erteilte sowohl konfessionellen als auch staatlichen Religionsunterricht, bevor sie sich schliesslich zur Sozialdiakonin ausbilden liess. Auf den Tag genau zehn Jahre arbeitete sie in diesem Beruf, bevor sie an ihrem Geburtstag in Frührente ging. Am 1. Oktober 2014 war das. «Ich freue mich, habe ich jetzt wieder mehr Zeit, um Kalligraphie zu machen. Ich würde sehr gerne wieder ausstellen. Das ist geplant», sagt Erika Steiner. «Für mich zum Vergnügen habe ich lange nichts mehr gemacht», stellt Thomas Markus Meier im Verlauf des Gesprächs fest. Zwar habe er auf Reisen meist seinen Aquarellkasten dabei, doch komme er nicht dazu, weil die Ruhe fehlt, oder ihm das Fotografieren in einem Moment näher liege.

Mit Ruhe angehen
Nach einer Weile stapeln sich mehrere Ordner auf dem Stubentisch und es wird deutlich: Erika Steiner lässt sich nicht auf die klassische Kalligraphie festlegen. «Ich habe schon immer auch mit verschiedenen Techniken gearbeitet. Collage, Übermalungen ich probiere viel aus», betont sie. Das Grundpapier wird gefärbt, gerissen, beschrieben; dann wird es  – beispielsweise als Geschenk – aufgerollt und in eine Nuss gesteckt. An die Hochfeste will sie mit Ruhe gehen. «Vielleicht schreibe ich mich auf einem Papier zum Hochfest ein. Vielleicht wird dieses Papier dann die Grundlage für das Bild. Doch letztlich weiss ich das noch nicht. Ich habe noch keine Bilder im Kopf», überlegt Erika Steiner. Dass sie sich als reformierte Christin mit katholischen Festen beschäftigen muss, schreckt sie nicht: «Maria war für mich immer eine spannende Gestalt, die mich interessiert. Auch die Heiligen, selbst wenn wir nie Allerheiligen gefeiert haben.»

Vom Text zum Bild und umgekehrt
Auch wenn das Grundmaterial beider Jahreskünstler Papier in verschiedener Form und Farbe ist, der Ausgangspunkt ist ein anderer. Bei Thomas Markus Meier beginnt es mit dem Bild und endet mit Text; Erika Steiner startet beim Text, den sie zum Bild werden lässt. Einig sind sich beide, wenn es um das passende Zitat oder einen guten und überraschenden Satz geht: «Es ist eine Kunst, ein neues oder bereicherndes Zitat zu finden.» Fündig werden sie überall: von der Bibel bis zu Shakespeare, da sind keine Vorlieben zu erkennen. Lediglich eine Aussage von Paracelsus hat es Erika Steiner so sehr angetan, dass sie weiss: «Die wird es nie in Druck oder Kopie, sondern nur im Original geben». «Die Front von Horizonte wird auf diesen Text also wohl verzichten müssen», stellt Thomas Markus Meier schmunzelnd fest. Befragt nach einem zusammenfassenden Statement erklärt der scheidende Jahreskünstler: «Ich habe das sehr gerne gemacht und bin doch auch erleichtert, dass ich den Stab übergeben kann». Und Erika Steiner? Was könnte passender sein, als ihre ersten Worte als neue Jahreskünstlerin: «Ich bin ein unbeschriebenes Blatt».

Themen Porträts
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