24.03.2021

Serie «Musik und Kirche» – Teil 1/3
«Wie ein schnüffelnder Hund»

Von Christian Breitschmid

  • Zuerst wollte Thomas Aurelius Belz einfach alte Instrumente nachbauen. Doch dabei machte er eine unerwartete Entdeckung.
  • Seit nunmehr über zehn Jahren erforscht der Cembalo- und Klavierbaumeister den Einfluss der katholischen Kirche auf die Entwicklung der abendländischen Musik.
  • Im ersten Teil der Horizonte-Serie «Musik und Kirche» schildert Thomas Belz, wie er dank seiner Spürnase auf den Zusammenhang zwischen Musikwissenschaft und Theologie stiess.

Forschergeist oder Forschungsdrang reicht bei weitem nicht, um das auszudrücken, was den Meister des Cembalo- und Klavierbaus und Doktor der Kunstwissenschaft, Thomas Aurelius Belz, antreibt. Es ist mehr als wissenschaftliche Neugier. Es ist pure Faszination, die Lust an detektivischer Spurensuche, die Befriedigung beim Schliessen von Wissenslücken und die reine Freude daran, dass Herkunft und Geschichte der Musik hör- und sichtbar werden, wenn Thomas Belz alte Instrumente originalgetreu nachbaut, um unser Kulturerbe vor dem Vergessen zu bewahren.

Derzeit arbeitet Thomas Belz an der Rekonstruktion des wohl ältesten besaiteten Tasteninstruments der Welt, einem Klavizitherium, das um das Jahr 1470 herum entstanden sein muss und im Original im Royal College of Music in London steht; allerdings nicht mehr bespielbar. Dieses Instrument hat der Schweizer Pianist und Autor Franz Josef Hirt (1899-1985) in seinem Buch «Meisterwerke des Klavierbaus» mit ein paar wenigen Sätzen erwähnt. Thomas Belz war begeistert von Hirts kunsthistorischer Betrachtungsweise, die es ermöglichte, einen erhellenden Blick auf den kulturgeschichtlichen Hintergrund eines Instrumentes zu werfen. Gleichzeitig erwachte sein eigener Drang, mehr über dieses Klavizitherium zu erfahren, denn er zweifelte an den Aussagen des Autors zu den Bildern auf dem Gehäuse und im Korpus des Instruments.

Schon mehr als zehn Jahre

So machte sich Thomas Belz auf den Weg nach London, um sich vor Ort ein Bild von diesem Ururahnen der heutigen Klaviere zu machen. Dem studierten Kunstwissenschaftler wurde schnell klar, dass die Bemalung des Klavizitheriums keinesfalls reine Verzierung war, sondern eindeutig biblische Szenen und Botschaften vermittelte. Damit begann seine nun schon mehr als zehnjährige Forschungsarbeit zum Einfluss der katholischen Kirche auf die abendländische Musik. Publiziert hat er seine Entdeckungen in zahlreichen Schriften und Vorträgen, dokumentiert in Bild, Text und Ton auf seiner Website www.aurelius-belz.ch.

Je tiefer der Instrumentenbauer in die handwerklichen Geheimnisse seiner Vorgänger vordrang, desto deutlicher zeigte sich dem Volkskundler und Bauforscher Thomas Belz, dass in dieser Materie zwei weitere Fachgebiete untrennbar miteinander verbunden waren: die Musikwissenschaft und die Theologie. «Dabei hatte ich gar nichts Religiöses gesucht», erinnert sich Thomas Belz, der zwar wohl vor 61 Jahren einmal römisch-katholisch getauft worden ist, heute aber der Institution Kirche skeptisch gegenübersteht. «Ich hatte mich erst einmal für die Instrumente interessiert. Aber jedesmal, wenn ich merkte, dass da irgendetwas nicht stimmte, hat mich der Forschergeist gepackt. So gelangte ich plötzlich auf Neuland, wo man einfach niemanden mehr fragen kann. Ich musste den Spuren also alleine weiter folgen – wie ein schnüffelnder Hund.»

Ein Geschenk Gottes

Aufgrund der Bauweisen und Ausschmückungen alter Instrumente erkannte Thomas Belz die direkte Verbindung zu sakralen Bauten und deren Symbolik. Etwa bei einem Tabernakel-Klavizitherium, das eben die Form eines Tabernakels hatte. Nur wurde darin nicht das Allerheiligste, sondern ein Musikinstrument und damit Musik aufbewahrt respektive zum Leben erweckt. Zurecht verweist Thomas Belz dabei auf das Leitmotiv des Kirchenmusikgiganten Johann Sebastian Bach: musica donum Dei – die Musik ist ein Geschenk Gottes.

Wenn im Musikunterricht heute gelehrt wird, dass unser Tonsystem auf die alten Griechen zurück gehe, so ist das zwar im Grundsatz richtig, doch es ist nur die halbe Wahrheit. Thomas Belz weist darauf hin, dass die Römer vor der Christianisierung zuerst die griechischen Fachausdrücke in der Musik verwendeten, dann aber, mit der Übersetzung durch die Frühchristen, zugleich eine Neuinterpretation erfolgte. Seitdem hat beispielsweise die Tonleiter ein theologisches Äquivalent in der Jakobsleiter, und die Benennung der Oktav entstammt christlicher Zahlensymbolik (vgl. die acht Seligkeiten). Als Inbegriff der Konsonanz, also des göttlichen Einklangs, stehen Prim und Oktav, der erste und der letzte, achte Ton einer Tonleiter, für das A und das Ω.

Keyboard ist Klaviatur ist Schlüsselmoment

Den Einfluss des christlichen Gottes- und Weltbildes auf unsere abendländische Musiklehre zeigt Thomas Belz gut nachvollziehbar in 23 Videoerklärstücken auf seiner Website. Das geht noch weit über die reine Zahlensymbolik hinaus. Dieser Einfluss ist sogar noch nachweisbar in jedem unserer heutigen Apparate, die mit einem Keyboard, also einer Klaviatur bedient werden.

Jedes Tonintervall erhält in der christlichen Deutung seinen eigenen Wert. Und warum wohl gibt es zweimal sieben Kirchentonarten? Und ist es wohl ein Zufall, dass die Solmisationssilben, die Urbenennung der Tonstufen (ut, re, mi, fa, sol, la) von Benediktinermönch Guido von Arezzo aus dem Johannes-Hymnus gewonnen wurden? Wie sich dieser Symbolschatz auch im Werk von Johann Sebastian Bach wiederfinden lässt, zeigen wir im zweiten Teil unsere Serie «Musik und Kirche».

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