30.07.2015

Wo Asylsuchende im Aargau unterkommen

Von Viviane Schwizer

Die vorhandenen Räume für die Asylsuchenden im Kanton Aargau reichen schlicht nicht aus. Gebraucht würden zusätzlich zwischen 200 bis 250 Plätze monatlich. Können sich die Kirchen in dieser Situation einbringen und gemäss ihrem diakonischen Auftrag die staatlichen Gremien unterstützen, um weitere Räume zu finden? Wer geht dabei auf wen zu? Wird über den eigenen Gartenzaun geschaut und offen und innovativ nach neuen Möglichkeiten Ausschau gehalten? Eine unvollständige Umschau im Kanton.

Dienstagnachmittag in der letzten Juliwoche in Aarau: Die Stadt zeigt sich sommerlich. Viele sind in die Ferien verreist. Aber auch die Herreise in die Kantonshauptstadt ist zurzeit ein Thema. Da es nicht nur schweizweit, sondern auch im Aargau an Raum für Asylsuchende fehlt, werden in Aarau zurzeit sieben Armeezelte für rund 60 bis 70 Personen aufgebaut. Noch in dieser Woche sollen Flüchtlinge im ersten Zelt ein Dach über dem Kopf erhalten. Etappenweise werden die weiteren Asylsuchenden, die im Moment noch in einem Erstaufnahmezentrum leben, in den Zelten eine zeitlich befristete Aufnahme finden.

Kanton hofft auf Hilfe von Seiten der Kirchen
«Zuständig für das Suchen und Finden von Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende ist von Gesetzes wegen der Staat», sagt Balz Bruder, Sprecher des Departements Gesundheit und Soziales im Kanton Aargau. Unterstützung von Seiten der Kirchen bei der Raumsuche, beziehungsweise beim Anbieten von geeigneten Liegenschaften für Flüchtlinge, sei jedoch durchaus wünschenswert. Die Kirchen hätten in der jetzigen Phase in diesem Punkt aber kaum Hilfe angeboten. «Ausnahmen bestätigen die Regel: Von der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau konnte eine Liegenschaft in Aarau übergangsweise angemietet werden», sagt Balz Bruder. Und weiter: Generell gebe es im Asylbereich eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Staat auf der einen und den Kirchen und ihren Hilfswerken auf der anderen Seite. Bruder sagt: «Insbesondere bei der Betreuung von Flüchtlingen sowie beim Erteilen von Deutschkursen ist die Zusammenarbeit mit den Kirchen und Hilfswerken gut». Zu erwähnen sei etwa Caritas Aargau, die in gemeinsamer Trägerschaft mit HEKS eine Sozialberatungsstelle für Asylsuchende, für Asylsuchende mit einem Negativentscheid (abgewiesene Asylsuchende) oder einem Nichteintretensentscheid sowie für Sans-Papiers führt. «Beraten wird vor allem zu Deutschkursen sowie zu Beschäftigungsmöglichkeiten während der Zeit im Asylstatus, aber auch zu Fragen im Zusammenhang mit der Unterbringung, der Zukunftsgestaltung, Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden, Nothilfen und rechtlichen Fragen mit Ausnahme von Asylrecht», informiert Christian Eckerlein von Caritas Aargau.

Einbezug der Klöster noch unklar
Laut Balz Bruder wäre es sehr wünschenswert, wenn «die Kirchen aus ihrem Immobilien-Portefeuille Liegenschaften für die Unterbringung der Flüchtlinge zur Verfügung stellen könnten». Die kantonalen Behörden hätten sich mit der Bitte um Hilfe bei der Suche nach Räumen wiederholt an die Landeskirchen gewandt und um Unterstützung geworben. Der letzte Aufruf sei vor rund drei Wochen erfolgt, als Gemeinden, Landeskirchen und NGOs in der Sache um Hilfe angefragt wurden. Falls das Angebot an den Kanton Aargau herangetragen würde, Asylsuchende in Klöstern unterzubringen, würde auch diese Option mit Sicherheit geprüft. Die Klöster wurden aber nicht direkt angeschrieben. Von den Klöstern im Aargau, die vom Aargauer Pfarrblatt Horizonte zum Thema angefragt wurden, meldeten sich zwei zurück. Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr bestätigt, dass man nicht angefragt worden sei. Es wäre derzeit mit dem Umbau des Klosters aber auch nicht möglich, Flüchtlinge aufzunehmen. Wie die Situation in einem Jahr aussehe, wisse sie noch nicht. «Wenn es zu einer Aufnahme kommt, würden wir Frauen und Kinder aufnehmen», sagt sie. Das sei übrigens auch im zweiten Weltkrieg so gewesen. Äbtissin M. Angelika Streule, Vorsteherin des Benediktinerinnenklosters St. Martin in Hermetschwil, das zu Bremgarten gehört, verweist in Bezug auf Räume auf das «gut funktionierende Asylzentrum» in Bremgarten. Die eigentliche Aufgabe des Klosters sei es, den Flüchtlingen «in der Kirche und mit Gesprächen eine geistliche Heimat für die Seele zu bieten».

Die Kirche als Brückenbauerin
Marcel Notter, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Landeskirche im Kanton Aargau, berichtet, dass die Kirche dem Staat bereits verschiedenerorts Räumlichkeiten zur Verfügung stellen konnte. Er nennt etwa die Liegenschaft an der Laurenzenvorstadt 71, die dem Kantonalen Sozialdienst vermietet wurde. Bereits sind 15 Asylsuchende eingezogen (Horizonte berichtete). Schon vorher konnte in Aarburg eine Flüchtlingsfamilie in einen Gruppenraum der Landeskirche einziehen. In der Kirchgemeinde Wohlen wurde zudem das sogenannte Pfarrhelferhaus für die Unterbringung von Flüchtlingen an den Kanton vermietet. Auch die Zusammenarbeit der Kirchen mit den politischen Gremien in Bremgarten funktioniere gut, weiss Marcel Notter. Kurz nach dem Entscheid des Bundes, in Bremgarten ein Bundesasylzentrum einzurichten, gelang es den Aargauer Landeskirchen, gemeinsam zwei Seelsorgende anzustellen. Es sind dies von katholischer Seite der Sozialarbeiter und Sozialpädagoge Jaime Armas aus Neuenburg am Rhein (Deutschland) sowie von reformierter Seite die Sozialdiakonin Marie-Eve Morf aus Bremgarten. Insgesamt decken die beiden Seelsorgenden 90 Stellenprozente ab. Sie arbeiten mit der Leitung, den Betreuenden und dem Sicherheitspersonal des Zentrums zusammen und beziehen die umliegenden Kirchgemeinden und Pfarreien in die Zusammenarbeit ein. Marcel Notter dazu: «Dadurch tragen sie zu einer Sensibilisierung für die Lebenssituation der Asylsuchenden in der Bevölkerung im Umfeld des Zentrums bei».

Kirchenrat weibelt schon länger bei den Kirchgemeinden
Das Bewusstsein für die Raumnot ist nicht erst seit gestern vorhanden. Bereits im Jahr 2012 rief Luc Humbel, Präsident des Kirchenrats der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau, alle Kirchgemeinden dazu auf, die Unterbringung von Asylsuchenden in leerstehenden Gebäuden zu prüfen. Generalsekretär Marcel Notter bestätigt, dass es nach wie vor an Räumen fehlt und weitere Anstrengungen nötig sind, um das Problem zu entschärfen. Dabei sei die katholische Landeskirche im Aargau weiterhin gefragt. Von einem weiteren Angebot für Flüchtlinge berichtet Frank Krause, Sozialdiakon in der Pfarrei Peter und Paul, Aarau. «Schon seit mehr als 20 Jahren führen wir das „Offene Pfarrhaus,“ in dem auch sehr viele Asylsuchende ein- und ausgehen». Die Pfarrei stellt dem «Netzwerk Asyl» zudem kostenlos Räume für den «contact», einen von Freiwilligen betreuten Treff für Asylsuchende zur Verfügung.

Menziken: Pfarrei im Kontakt mit Flüchtlingen
Bereits bekannt ist die Situation in Menziken, wo im ehemaligen Gasthaus «Sternen» erste Flüchtlinge eingezogen sind. Piotr Palczynski, Pfarradministrator von der katholischen Pfarrei St. Anna in Menziken, hatte bei der Anfrage erst aus der Zeitung über die Unterbringung von Asylanten im «Sternen» gehört. Mit den bereits im Ort lebenden Asylsuchenden an der Pilatusstrasse in Menziken hätte die Pfarrei aber «schöne Begegnungen gehabt». Palczynski erzählt: «Einige kamen zu den Gottesdiensten. Einmal haben wir zudem einen Gottesdienst auf Englisch gehalten, und einige Hindus besuchen gerne unsere Kirche. Von der Statue der Heiligen Anna sprachen sie als eine schöne Göttin». Der Pfarrer sagt aber auch, dass die Pfarrei weder über die personellen noch finanzielle Ressourcen verfüge, um die Asylsuchenden individuell zu betreuen. Palczynski ist in der Seelsorge mittlerweile allein zuständig für die rund 5 500 Katholiken im Ort. Die Betreuung der Flüchtlinge liege in erster Linie bei den politischen Gremien, so der Geistliche. Politisch habe Menziken bereits einen sehr hohen Ausländeranteil, überdurchschnittlich viel für die Schweiz. Dies widerspiegle sich auch in der Pfarrei. Die Pfarreiangehörigen kämen aus Italien, Kroatien, dem Kosovo, aus Portugal, Spanien und Deutschland. Falls Moslems bei den Asylsuchenden sind, so wünscht sich Piotr Palczynski, «wäre es sicherlich von Vorteil, die lokalen Moscheen zu involvieren».

Villmergen verweist auf Solothurn
Auch in Villmergen werden zurzeit Zelte für Asylsuchende errichtet. Auf Anfrage bei der Pfarrei, wie auf die Not der Flüchtlinge vor der Haustür reagiert werden soll, wird aber einzig auf die Pressestelle des Bistums Basel verwiesen. Urs Brunner, Pastoralverantwortlicher des Bistums Basel in Solothurn, meint auf Anfrage: «Primär ist die politische Ebene verantwortlich für die Suche nach Räumen für Asylsuchende. Die Bistumsleitung ist nicht in diese operative Ebene eingebunden». Urs Brunner ist aber froh, dass die Römisch-Katholische Landeskirche Aargau schon vor drei Jahren dazu aufgerufen hat, allfällig leerstehende Räumlichkeiten für Asylbewerbende freizugeben. Die Bistumsleitung begrüsse es zudem, wenn lokale Kirchenpflegen die Initiative ergreifen. Als weitere Möglichkeit sieht Urs Brunner einen runden Tisch, um die Suche nach Räumen mit allen beteiligten Gremien zu koordinieren.

Seelsorger in der Pfarrei können wichtige Rolle spielen
Der Pastoralverantwortliche in Solothurn ist weiter überzeugt, dass Seelsorger durch ihre vielfältigen Vernetzungen fähig sind, Pfarreiangehörige auf die brisante Flüchtlingssituation hin zu sensibilisieren. Ein Mittel dazu sei das sogenannte «Story-Telling», um mit konkreten Beispielen zu zeigen, wie schwierig die Situation für Leute ist, die aus Not in die Schweiz flüchten mussten. Zudem könnten gezielte Predigten zum Thema «Gastfreundschaft in der Kirche leben» ein Weg sein, um den politischen Widerstand vor Ort zu minimieren. Flucht und Gastfreundschaft seien biblische Grundthemen. In diesem Zusammenhang verweist Urs Brunner auf die Bibel. Im Hebräerbrief 13 stehe beispielsweise: «Vergesst die Gastfreundschaft nicht. Denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.»

Gemäss Umfrage Engagement von Pfarreien erwünscht
Sollen Pfarreien in der Flüchtlings-Frage überhaupt aktiv werden? Das fragte sich auch Martin Spilker, leitender Redaktor des katholischen Medienzentrums in Zürich. Die Diskussion sei an «kath.ch» herangetragen worden, so dass sich das Team entschloss, diesbezügliche Fragen online zu stellen. Abgestimmt werden konnte über folgende drei Punkte: «Sollen sich Pfarreien aktiv an der Lösung der Flüchtlingsfrage beteiligen?», «Nein, das ist Sache des Staates» oder «Die Debatte interessiert mich nicht». Zwar ist die Umfrage nicht repräsentativ und wurde wohl ferienhalber nicht von vielen angeklickt. Ein Trend ist aber doch ersichtlich: Von den bisher abgegebenen 67 Stimmen votierten 55 Personen (82,9 Prozent) dafür, 10 (14,93 Prozent) dagegen. Nur 2 Personen (2.98 Prozent) gaben an, dass sie das Thema nicht interessiere.

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