03.09.2015

Zu Fuss aufs Korallenriff

Von Marie-Christine Andres Schürch

Mit dem Motto «sanfte Hügel, raue Gipfel» regt der Verein oeku Kirche und Umwelt dazu an, die Berge als Lebensraum zu entdecken. Weit zu reisen braucht man dafür nicht, denn beeindruckende Gipfelerlebnisse bietet auch der Aargau.Berge sind die Verbindung zwischen Himmel und Erde. An diesem Morgen auf dem Waldpfad fliesst der Himmel den Wanderern schon von weitem entgegen.  Dunkelgrüne Tropfen platzen, Nebelschleier huschen über die Bergflanken. Die Füsse auf dem kantigen Kalkstein, den Kopf in den Wolken, steigen die Berggänger auf. Zuoberst angekommen, sind sie vom Himmel ganz umgeben.

Weg vom Hier und Jetzt
An diesem Morgen versteckt sich das spektakuläre 360-Grad-Panorama hinter Nebelschwaden. Dennoch ist das Verweilen auf dem Gipfel der Gisliflue auch ohne die Rundumsicht auf Säntis und Alpen und Schwarzwald ein Erlebnis. Der Kettenjura-Gipfel zwischen Biberstein und Auenstein im Süden und Thalheim im Norden gehört zum regionalen Naturpark «Jurapark Aargau». Die grüne Schatzkammer zwischen Zürich und Basel umfasst 28 Gemeinden in den drei Bezirken Aarau, Brugg und Laufenburg. Christine Neff arbeitet seit vier Jahren als Co-Geschäftsleiterin des Juraparks Aargau. Die Vielfalt der Lebensräume und der Dörfer mit ihren Eigenheiten beeindrucke sie, sagt die in Brugg aufgewachsene Geografin und fügt an: «Bemerkenswert finde ich auch, dass man hier innert zwanzig Minuten zu Fuss von der Agglomeration Aarau in die ursprüngliche Natur gelangt.» Von unten scheint die Gisliflue ganz von Wald bedeckt. Auf dem Gipfel aber vermitteln der blanke Stein und die mediterran anmutende Vegetation auf den Felsnasen das Gefühl, weit weg vom Alltag zu sein. Das Verweilen auf der Gisliflue trägt einen weg vom HierJetzt. Christine Neff weist durch den Nebel Richtung Süden: «Hier liegt das Molassebecken des Mittellandes. Und das, worauf wir jetzt stehen, war einmal ein Korallenriff im Urmeer Thetys.»

Stein gewordene Zeit
Die Auffaltung der Alpen setzte vor 135 Millionen Jahren ein und durch deren zunehmenden Druck entstand vor etwa 10 Millionen Jahren der Faltenjura. So wurde aus dem einstigen Meeresgrund ein heute 772 Meter hoher Berg mit versteinerten Muscheln und Ammoniten. Das Stehen auf dem früheren Meeresgrund mitten im Aargau macht demütig. «Berge sind für uns Orte spirituellen Erlebens: Dort ist Erhabenheit und Stille, dort kommt der Mensch zu sich selbst», schreibt der Verein oeku zur diesjährigen Aktion «SchöpfungsZeit», die sich dem Lebensraum Berge widmet. Auf die Gisliflue trifft das zu. Die Erhabenheit der Natur vor der Nase und die Millionen von Jahren im Rücken stimmen ehrfürchtig. Termindruck und Alltagssorgen lösen sich auf im Angesicht der Stein gewordenen Zeit.

Die grosse Hufeisennase
Ganz aktuell hingegen ist der Jurapark Aargau in seinen Anliegen. «Wir setzen uns für die Natur- und Kulturlandschaft im Park ein», erklärt Christine Neff. Die Parkfläche bietet unterschiedlichste Lebensräume von Auenlandschaften bis zu Magerwiesen, Hecken und Föhrenwäldern. Der Gartenrotschwanz und die grosse Hufeisennase, eine seltene Fledermausart, profitieren beispielsweise von den Hochstammbäumen. Damit ein Gebiet Naturpark werden kann, muss es eine vielfältige Landschaft, reiche Biodiversität und charakteristische Kulturgüter aufweisen. Von den 28 Gemeinden im Jurapark besitzen 14 ein Ortsbild von nationaler Bedeutung. Das 241 Quadratkilometer grosse Gebiet beinhaltet diverse Schutzgebiete von nationaler Bedeutung: Den Tafeljura und den Faltenjura mit seinen Juraketten, die Auenlandschaft beim Wasserschloss sowie die Auenlandschaft zwischen Aarau und Wildegg.

Schönheit vor der Haustür
Finanziert wird der regionale Naturpark vom Bund, von den Kantonen Aargau und Solothurn, den beteiligten Gemeinden und von Sponsoren. Die Gemeinden zahlen pro Jahr und Einwohner einen Fünfliber an den Park. Regionale Naturparks bauen im Gegensatz zum Schweizer Nationalpark, dessen Kernzone für Menschen unzugänglich ist, auf «Schutz durch Nutzung» sowie auf Mitsprache und Engagement der Bevölkerung, wie Christine Neff erklärt. Rechtlich gesehen gebe es keine Handhabe, das Parkgebiet vor menschlichen Eingriffen und Einflüssen zu schützen. Die Sensibilisierung der am Park beteiligten Gemeinden sei eine Hauptaufgabe, führt die Geografin aus. Ziel sei es, mit den Naturschönheiten vor der Haustüre bewusst umzugehen. Davon profitiert die Regionalwirtschaft: Das Jurapark- Label für regionale Produkte erweitert die Absatzkanäle der Landwirte, die Parkprojekte fördern naturnahen Tourismus. Die Geschäftsstelle des Juraparks in Linn mit acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und insgesamt 500 Stellenprozent nimmt Ideen auf und initiiert eigene Projekte. Von der Schulreise mit Ammoniten-Suche über den Besuch im ehemaligen Bergwerk bis hin zum Gartenrundgang mit dem «Glögglifrosch » bietet der Jurapark Aargau ein vielfältiges Kultur- und Erlebnisprogramm.

Feuersalamander
Auf dem Rückmarsch hinunter nach Thalheim im Schenkenbergertal kreuzt ein junger Feuersalamander den Weg der Wanderer. Lebendiger Beweis, dass im Aargauer Jura neben jahrmillionenalten Fossilien reiches Leben gedeiht.

 

Schöpfungszeit
Die Zeit zwischen dem 1. September und dem 4. Oktober ist der Schöpfung gewidmet. Der Monat schliesst Bettag und Erntedankfest ein. Der Verein «oeku Kirche und Umwelt» erarbeitet Grundlagen für die Umweltarbeit in Kirchgemeinden. Mit den Bergen schliesst oeku die Reihe zu den Lebensräumen ab, die 2011 mit dem Wald begonnen hat. Wer den Jurapark Aargau kennenlernen möchte, hat am Samstag, 5. September 2015, Gelegenheit dazu. Im Rahmen des Dorffestes Zeihen findet das Jurapark-Fest statt. Ein Markt mit regionalen Produkten, Demonstrationen von altem Handwerk und ein vielfältiges kulinarisches Angebot erwarten die Besucher. www.oeku.ch und www.jurapark-aargau.ch

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