25.02.2016

Zufluchtsraum Kirche

Von Anne Burgmer

In Lausanne und Basel verschanzen sich abgewiesene Asylbewerber in besetzen Kirchen und berufen sich auf das Kirchenasyl. Ein Vorgehen, dass Schule machen könnte, wenn die Schweiz gegenüber Asylsuchenden einen härteren Kurs fährt. Im Aargau haben sich einzelne Seelsorgende sowie Vertreter von Flüchtlingsorganisationen mit der «Was wäre wenn»-Frage beschäftigt.

Der Seiteneingang der Matthäuskirche in Basel. Eine graue Harasse, zugedeckt mit einem Brett. Darauf zwei Zettel: «Wir bleiben», steht in drei Sprachen auf dem einen; er zeigt rote Beine auf blauem Grund. Auf dem anderen, links daneben, ist eine Lebensmittel-Wunschliste. Seit bald drei Wochen leben die abgewiesenen Asylbewerber, denen die unmittelbare Ausschaffung droht, gemeinsam mit einigen Aktivisten im Untergeschoss der Matthäuskirche. Am 7. Februar 2016 verkündete die Gruppe im multinationalen «Mitenand Gottesdienst»: «Wir bleiben!» Die Aktion stiess seitens der Gottesdienstteilnehmenden auf Wohlwollen. Die Evangelisch-Reformierte Kirche Basel-Stadt spricht in ihrem Communiqué von «Hausfriedensbruch», duldet den Zustand aber vorerst.

Mit einer Besetzung ein Zeichen setzen
Ist diese Form von Widerstand gegen bestehendes Asylrecht ein sinnvolles Mittel? «Es hat vor allem die Wirkung, dass der Prozess der Abschiebung verlängert und der einzelne Fall vielleicht nochmals genauer angeschaut wird», sagt Marie-Eve Morf, Sozialdiakonin und reformierte Seelsorgerin im Bundesasylzentrum Bremgarten. Patrizia Bertschi, Präsidentin des Vereins Netzwerk Asyl Aargau, erklärt: «Man kann damit ein Zeichen setzen. Das ist legitim. Wenn ein Flüchtling nach dem Dublin-Abkommen in das Erst-Aufnahmeland ausgeschafft werden muss und die Zustände dort nicht tragbar sind, kann man mit einer Besetzung darauf aufmerksam machen. Doch das Gesetz ist sehr klar formuliert und kann auf diesem Weg nicht geändert werden.» Die Aktivisten in Basel schreiben auf ihrer Homepage darum auch, dass sie neben dem Schutz der abgewiesenen Asylbewerber einen «Raum für Begegnung und Austausch» schaffen wollen. Eine der jungen Beteiligten sagt: «Wir wollen mit der Aktion auf das unmenschliche Asylgesetz der Schweiz aufmerksam machen.»

«Wir erhoffen uns den Schutz der Kirche»
Auf die Frage, ob die Aktivisten konkret von Kirchenasyl sprechen, sagt sie: «Ja, schon. Wir erhoffen uns Schutz von der Kirche.» Diesen Schutz gewährt die Evangelisch-Reformierte Kantonalkirche Basel-Stadt, die Eigentümerin und Verwalterin des Gebäudes, insofern, als sie den Aufenthalt duldet und im Moment von einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch absieht. Es gibt zwar kein klassisches Kirchenasyl mehr, dennoch wissen sich die christlichen Kirchen dieser Tradition verpflichtet. Schutz für die Bedrohten – darf eine christliche Kirche da nein sagen? Auch, wenn sie – wie die Kantonalkirche im Fall Basel – vor vollendete Tatsachen gestellt wird? Basel ist nicht der einzige Ort, an dem abgewiesene und von Ausschaffung bedrohte Asylbewerber in einem Kirchenraum leben. Auch in Lausanne ist eine Kirche von abgewiesenen Asylbewerbern besetzt. Mit den dortigen Organisatoren, dem «collektif R», haben die Aktivisten in Basel zumindest im Vorfeld Kontakt gehabt, man sei in andere Kantone vernetzt. Ob man vorab im Gespräch mit Teilnehmenden der «Mitenand»-Gottesdienste war, oder ob man Hand bieten würde, sollten andere Gruppierungen um Organisationshilfe oder Tipps bitten, lässt die Gesprächspartnerin offen.

Kirchen im Aargau: Was wäre wenn?
Ein konkreter Fall von Kirchenasyl im Aargau ist weder Vertretern der Römisch-Katholischen Landeskirche noch der Reformierten Schwesterkirche für die letzten Jahrzehnte bekannt. Und wie würden die Landeskirchen reagieren, wenn sie mit einem Fall von Kirchenasyl konfrontiert würden? «Es gibt dazu keine Grundsatzdiskussion oder Stellungnahme im Kirchenrat, weil der Kirchenrat bisher damit nicht konfrontiert war. Sicher ist, dass wir jeden Fall individuell anschauen würden und nicht aufgrund irgendeines Prinzips», erklärt Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche Aargau. Luc Humbel, Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau, sagt: «Das ist abstrakt schwierig zu beantworten.» Doch die Landeskirche in der Funktion der Vermittlerin? «Im Vermitteln sind wir geübt», erklärt Luc Humbel.

Kirchenasyl wurde als Option bereits angedacht
Dass das Thema auch im Aargau präsent ist, wird deutlich, wenn Patrizia Bertschi sagt: «Es kam zwar nie dazu, doch das Thema Kirchenasyl wurde im privaten Rahmen und auch im Verein vor ein paar Jahren durchaus angesprochen.» Es sei deshalb nicht dazu gekommen, weil sich entweder andere Lösungen ergeben hätten, oder die entsprechenden Personen gegangen seien. Ausserdem, so erklärt Patrizia Bertschi weiter, könne das Kirchenasyl vielleicht mehr Kraft entfalten und zu einem Umdenken führen, wenn «ein Kirchenasyl mit anderen Engagierten zusammen an vielen Orten durchgeführt wird, und nicht nur vereinzelt wie heute». In Bremgarten hat sich Marie-Eve Morf gemeinsam mit ihrem katholischen Kollege Jaime Armas ebenfalls Gedanken zur «Was wäre wenn»-Frage gemacht: «Wir würden uns mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in Verbindung setzten und mit dem Netzwerk Asyl und mit den Landeskirchen im Dialog sein. Doch erzwingen lässt sich durch ein Kirchenasyl wohl kein Entscheid.» Beat Schalk, katholischer Seelsorger in der Pfarrei Aarau, erklärt auf Anfragen: «Wir würden als Seelsorgeteam bestimmt das Gespräch mit den Besetzern aufnehmen und die Situation, Rahmenbedingungen und Weiteres klären. Zudem wäre es wichtig, uns von einer rechtskundigen Person sowie von Vertretern des Vereins Netzwerk Asyl Aargau beraten zu lassen. Gleichzeitig müsste die Kommunikationsverantwortliche des Pastoralraums eingeschaltet werden, um Informationen für die Pfarrei und die Öffentlichkeit gezielt und gebündelt bereitzustellen.»

Beat Schalk bringt einen weiteren wichtigen Aspekt zur Sprache: «Ein Kirchenasyl hat eine zeitliche Beschränkung.» Einen Punkt, den auch Patrizia Bertschi aufgreift: «Es ist wichtig, dass Kirchen in das Engagement mit einbezogen werden, doch wie lange kann ein Kirchenasyl organisiert und aufrecht erhalten werden?» In Lausanne jedenfalls dauert die Besetzung der Kirche bereits ein Jahr.

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