30.08.2018

Zum Beispiel... Offenbarung

Von Anne Burgmer

  • In der neuen Serie Zum Beispiel… versucht Horizonte, alltagstaugliche Theologie zu verschiedenen Glaubensbegriffen zu betreiben.
  • Im ersten Teil geht es um Offenbarung.

 

Nachbar, Tante oder Lebenspartner – wer auch immer uns etwas mitteilen will, muss dafür Kontakt aufnehmen. Die Einladung zum Grillplausch geschieht per Zuruf über den Gartenzaun, und die Tante greift zum Telefon, um ihren Besuch anzukündigen. Je nach Wichtigkeit der Nachricht wählen Menschen verschiedene Kommunikationsmittel. Der Partner oder die Partnerin beschreibt seine Gefühle vielleicht in einem handgeschriebenen Brief. Eröffnet uns eine Mitteilung, ein Buch, Film oder Musikstück ganz neue Perspektiven, heisst es oft: «Das war eine Offenbarung».

Gottes Wunsch nach Kontakt

Füttert man die Suchmaschine Google mit dem Begriff Offenbarung, spuckt diese über 4 Million Treffer aus. Die Ergebnisse der Online-Bildersuche zum Thema zeigen viele Fotos von Sonnenstrahlen zwischen dunklen Wolken, wolkig-pastellfarbene Jesusbilder, Buchcover, mittelalterliche Illustrationen und eine Handvoll eher unappetitlicher Fotos aus einem Horrorfilm. Die meisten Treffer haben einen religiösen Bezug, viele verweisen auf die Offenbarung (des Johannes) und damit das letzte Buch im Kanon der Bibel. Dort tauchen die Begriffe «Offenbarung» und «offenbaren» im sogenannten Alten Testament knapp 30 Mal auf, gen 50 Mal begegnen sie im Neuen Testament. Das bezieht sich auf die deutsche Übersetzung und sagt nichts über die Begriffe im hebräischen oder griechischen Ursprungstext. Zwar definiert der Duden den Begriff «Offenbarung» als «auf übernatürlichem Wege erfolgende Mitteilung göttlicher Wahrheiten oder eines göttlichen Willens», doch im christlichen Kontext könnte man auch vom Wunsch nach Kontaktaufnahme Gottes sprechen. Und da gilt im Grossen und Ganzen, was oben geschrieben steht. Will Gott etwas von den Menschen, muss er sich melden.

Fantasievoller Gott

Gott ruft dazu nicht über den Gartenhag. Er schickt – die Bibel beschreibt es – Engel, Träume oder einen Regenbogen; er verrät im brennenden Dornbusch seinen Namen und schenkt uns später im Mensch Jesus von Nazareth gar sich selbst: Gott wird Mensch und begibt sich auf Augenhöhe mit seinem Geschöpf; ein Wunder. Ein Aargauer Priester beginnt seine «Hosentaschendefinition» von Offenbarung denn auch so: «Offenbarung ist für mich das Wunder, dass Gott sich überhaupt die Mühe macht, mit uns Menschen in Kommunikation zu treten». Sinn ergibt dieses Wunder nur, wenn wir dem Gesprächswunsch Gottes Glauben schenken. Der Priester schreibt entsprechend weiter: «Damit diese Kommunikation überhaupt zustande kommt, braucht es eine wichtige Voraussetzung, die im Begriff Offenbarung verborgen liegt, nämlich Offenheit. OFFENbarung. Offen werden und offen sein für die Möglichkeit, dass Gott sich auch in meinem Leben zeigt und auf viele Möglichkeiten mit mir in Kommunikation treten möchte. Da ich an einen fantasievollen Gott glaube, bin ich überzeugt, dass seine Möglichkeiten, wie und wo er sich mir zeigen will, quasi unbegrenzt sind.» Doch bevor Menschen Spuren von Gottes Kontaktwunsch sehen und erleben können, müssen sie überhaupt erst mal erfahren, dass Gott Kontakt will. Glaube kann nur geschehen, wenn die Botschaft verkündigt und gehört wird. Das schreibt Paulus im Römerbrief.

Tradition als Beziehungsarbeit

Die ersten Zeugen der christlichen Botschaft hörten und erlebten die Offenbarung Gottes in Jesus Christus entweder durch Jesus von Nazareth selber oder durch seine Freunde und Freundinnen, die nach den Osterereignissen die «Nachricht» weiterverbreiteten. Doch mündliche Überlieferung verändert sich mit der Zeit. Oftmals gibt es von einem Ereignis so viele Erzählungen wie Augenzeugen vor Ort waren. Bei einer wichtigen und zentralen Botschaft liegt es deshalb nahe, sie aufzuschreiben. Mit dem Verstreichen der Zeit – rund 2000 Jahre – wurde über den Inhalt und die Form der Offenbarung nachgedacht, darum gerungen und gestritten. Auf mehr als einem Konzil vertieften Kirchenväter, Theologen und kluge Menschen in Diskussionen das Verständnis von Offenbarung. Aus christlicher Perspektive hat diese ihren Höhepunkt in der Menschwerdung Gottes erreicht: Es kommt nicht noch mehr. Seitdem geht es «nur» um ein besseres und tieferes Verständnis der Offenbarung. Übersetzt ins Bild einer menschlichen Paarbeziehung könnte die Tradition als Beziehungsarbeit verstanden werden. Sie vertieft die Liebe und hilft, sie besser zu verstehen und zu leben.

Ebenen von Offenbarung

Zum Abschluss soll ein Diakon zu Wort kommen, der die verschiedenen Ebenen von Offenbarung beschreibt: «Eine Offenbarung ist ein Ereignis in meinem Leben, das mir hilft, „neu zu sehen“. Etwas Unbekanntes, Vages oder Unklares wird deutlich, für mich verständlich und hilft mir, meine Umwelt oder Mitmenschen besser zu verstehen. – Religiös gesprochen ist Jesus Christus in seinem Reden und Tun, seinem Leben, Sterben und Auferstehen für mich als Christ die sichtbar, spürbar und Mensch gewordene Offenbarung Gottes. – Darüber hinaus glaube ich, dass Offenbarung sich über den Kanon der Bibel hinaus weiterschreibt und vollzieht. Offenbarung im Sinne des „Durchscheinens des Göttlichen“ hinein in unsere Welt erlebe ich in tiefen Gesprächen, menschlich bereichernden Begegnungen, in Momenten des (gemeinsamen) Betens oder in Augenblicken tiefer «Lebens-Dankbarkeit».

 

DENKANSTOSS

«Wenn ich Offenbarung höre, dann denke ich an den letzten Teil der Bibel, worin Andeutungen oder Verborgenes nochmals deutlich sichtbar werden. Jesus ist allmächtig, er ist der Anfang und das Ende!» – Kindergärtnerin, 25 Jahre

«Das Buch der Offenbarung in der Bibel beschreibt die Wiederkunft von Jesus auf die Erde. Es gibt viele Gleichnisse, die ich schwierig zu interpretieren finde.» – Pharmaziestudentin, 24 Jahre:

«Wenn an einem ganz gewöhnlichen Montag Dinge passieren, die realistisch überlegt gar nicht passieren können, Momente sich nahtlos aneinanderfügen, Probleme sich von selber lösen und verworrene Situationen sich entwirren. Wenn ich plötzlich ganz klar sehe und stauend merke, dass jemand seine Hand über mir hält, dann ist das meine ganz persönliche Offenbarung.» – Kirchenpflegerin, ca. 63 Jahre

«Mit ihrer umfassenden Bildersprache ist die Offenbarung für mich faszinierend und doch schwer verständlich zugleich. Sie schildert für mich eine bedrohliche Gegenwart und anderseits zeigt sie, dass der Sieg durch Christus errungen worden ist! Durch das Wort «Selig, die zum Hochzeitsmal des Lammes geladen sind» gilt dies auch derzeit für mich als ein Appell an die heutigen Christen zur Wachsamkeit im Leben.» – Mann, ca. 50 Jahre

«Für mich ist «mein Glaube» an sich eine Offenbarung. Immer wieder entdecke ich neue «Facetten» darin.» – Mutter von vier Kindern

«Die theologische Dimension des menschlichen Erkennens, wie Gott in meinem Leben wirkt, ist ein Teil meines Verständnisses des Begriffs Offenbarung. Der andere Teil ist profan. Momente, in denen ich begreife, was mir alles geschenkt ist und ich dies oftmals gar nicht gewahr werde. Ich lebe im «Paradies» und merke es nicht. Ich erfahre Wohlwollen und sehe vorwiegend die Kritik an mir. Was kann ich tun, dass diese Offenbarung sich bei mir nicht sofort wieder verflüchtigt?» – Diakon, Region Baden

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