16.01.2019

Zwingli im Kino: Eine gelungene Geschichtslektion

Von Andreas C. Müller

  • Morgen startet Stefan Haupts Zwingli-Film auch in den Aargauer Kinos. Die Mundart-Produktion führt ins Zürich der Renaissance-Zeit und bietet anschaulichen Geschichtsunterricht.
  • In den Hauptrollen glänzen Max Simonischek als Zwingli und Sara Sophia Meyer als seine Frau Anna.

Es ist eine raue Umgebung, die Zwingli im Jahre 1519 in Zürich vorfindet: Überall Schmutz, herumlungernde Strassenkinder und elend anmutende Gestalten, welche die Menschen auf dem Weg zum Kirchgang um Geld angehen. «Wer kümmert sich um die?», fragt der frischgebackene Leutpriester. «Niemand», erhält er zur Antwort, derweil dem Kinopublikum gezeigt wird, wie katholische Geistliche auf der Strasse Ablassbriefe verkaufen oder in der Kirche die hohle Hand fürs Lesen von Messen machen.

Reformation auf den Punkt gebracht

Kurz darauf sehen wir Zwingli im Messgewand – Max Simonischeks erster packender Auftritt als Reformator: Er wolle den Menschen das Evangelium vorlesen – auf Deutsch, verkündet er im Grossmünster und lässt durchblicken, dass er einiges ändern möchte.

Bereits in der ersten Viertelstunde schafft es der Film, die Gründe für reformatorisches Bestreben verständlich zu machen. Und er bringt Zwinglis Theologie in einfachen Sätzen auf den Punkt: Gott ist barmherzig und bestraft uns nicht, wir sollen Gottes Wort in unserer eigenen Sprache verstehen, daraufhin selbständig darüber nachdenken und uns nichts von kirchlichen Autoritäten vorkauen lassen.

Keine Kappeler Milchsuppe

Im Laufe der folgenden zwei Stunden bleibt der Kinobesucher an Zwinglis Seite bis zu dessen Tod im Jahre 1531 auf dem Schlachtfeld. Die Zeitraffung erfolgt subtil, schliesst vieles ein. Geschichtskundige vermögen sich anhand der verschiedenen im Film verarbeiteten Ereignisse der Chronologie entlang zu hangeln: Darunter die Herausgabe verschiedener Schriften, das Wurstessen zur Fastenzeit, die Klosteraufhebungen oder die Bibelübersetzung. Anstelle von eigentlich drei Zürcher Disputationen gibt es im Film allerdings nur eine. Und auch nur einen Kappeler Krieg. Die Episode rund um die berühmte Kappeler Milchsuppe wurde ausgespart.

Der von Max Simonischek verkörperte Zwingli mischt sich unters Volk, sitzt in der Beiz und ist sich nicht zu schade, nach den in den Strassen am Boden liegenden Kranken zu schauen – selbst als die Pest die Limmatstadt heimsucht. Zwingli bleibt, während die anderen Kirchenautoritäten fliehen. Um den Preis, dass er selbst erkrankt.

Ein vielschichtiger und ambivalenter Zwingli

Doch es bleibt nicht bei der eindimensionalen Lichtgestalt mit hehren Absichten. Der Film zeigt uns einen vielschichtigen Zwingli. Da ist zunächst der visionäre und gewiefte Sozialpolitiker, der die Überzeugung vertritt, dass die öffentliche Hand die Kranken- und Armenfürsorge übernehmen muss, wenn sich schon die Kirche nicht darum kümmert. Finanziert werden soll das Ganze mit Klostervermögen aus Enteignungen, wofür der Zürcher Rat gerne Hand bietet. Und dann ist da noch der Machtmensch Zwingli, der verstanden hat, dass er seine Idee von Kirche nur mit Unterstützung der Zürcher Regierung verwirklichen kann und darum seine radikalen Weggefährten, die Täufer, fallen lässt.

Jene Radikalen um Felix Manz (gespielt von Michael Fringer) mit basisdemokratischen Ideen, welche nicht nur die Papstkirche ablehnen, sondern auch der Zürcher Obrigkeit ihre Gefolgschaft verweigern, ruft Zwingli zunächst zur Raison, als sie im Rahmen des Bildersturms Kunstschätze aus den Kirchen verbrennen und auf Geistliche losgehen. «Nun benehmen wir uns doch bitte wieder alle wie richtige Christen», fordert er. Die Erwachsenentaufe verurteilt Zwingli – wohl wissentlich, dass sie die städtische Ordnung und damit auch seine Reformation untergräbt. War er es zunächst, der von papstkirchlichen Autoritäten der Gotteslästerung bezichtigt wurde, so bezeichnet er nun die Erwachsenentaufe als Gotteslästerung und erscheint für einen Moment lang nicht besser als jene, denen er vorgeworfen hat, mit Gottes Wort Schindluder getrieben zu haben. «Du legst die Schrift aus, wie es dir passt», wirft man ihm im Film denn auch vor und auch seine Frau Anna (gespielt von Sara Sophie Meyer) unterstellt ihm, aus Kalkül seine Weggefährten zu opfern.

Als sich schliesslich die katholischen Orte anschicken, gegen das reformatorische Zürich vorzugehen, erleben wir auch einen fanatischen Zwingli, der von der Zürcher Obrigkeit mehrfach den Präventivschlag fordert und sich schliesslich mit Feuereifer in die Schlacht stürzt. «Warum?», klagt seine Frau Anna. «Hast du nicht immer gesagt, schickt die Menschen nicht in Schlachten». Zwingli entgegnet: «Für eine gerechte Sache zu kämpfen ist etwas anderes».

Anna Reinhart: Erst verschüchtert, dann selbstbewusst

Sara Sophia Meyer als Anna Reinhart zeigt Zwinglis Frau als eine Figur, die sich entwickelt. Verschüchtert finden wir sie zu Beginn des Films vor einem Altar kniend. Sie trauert um ihren Verflossenen, einen Söldner, und fürchtet sich vor dem Fegefeuer. Von schlechtem Gewissen geplagt, gibt sie dem Kaplan Geld, damit dieser für ihren verstorbenen Mann die Totenmesse liest. Dann hört sie Zwingli in der Kirche, will lesen lernen, um Gottes Wort selbst zu begreifen, bringt dem an der Pest erkrankten, neuen Leutpriester zu essen und pflegt ihn, lässt sich mit ihm ein und überwirft sich darüber mit ihrer Mutter und anderen in der Stadt. Und sie scheut sich auch nicht, Zwingli zu kritisieren.

In weiteren Rollen finden sich Anatole Taubmann als Zwinglis Weggefährte Leo Jud, Stefan Kurt als Bürgermeister Röist, Oscar Sales Bingisser als Generalvikar Johann Faber, Ueli Jäggi als Bischof von Konstanz und Rachel Braunschweig als Äbtissin Katharina von Zimmern.

Ein Aargauer rettet die Zürcher Reformation

Immer wieder vermag der Film in konzentrierter Dichte die Bedeutung von Schlüsselentwicklungen auf den Punkt zu bringen. Beispielsweise die Aufhebung der Klöster: Die Zürcher Obrigkeit stimmt dem zu, weil ihr auf diesem Weg eine finanzierte Möglichkeit geboten wird, die Verhältnisse in der Stadt zu verbessern. Die Armen und Kranken in der Stadt können versorgt werden, herumlungernde Strassenkinder erhalten ein Dach über dem Kopf und für junge, ins Kloster abgeschobene Frauen eröffnen sich neue Perspektiven. Obschon der Film in diesem Zusammenhang aus didaktischer Notwendigkeit heraus verkürzt, differenziert er ausreichend genug und deutet zumindest an, dass für einzelne Klosterfrauen eben gerade jenes Leben im Konvent eine sinnstiftende Existenz bedeutete, die mit der Aufhebung der Stifte zerstört wird.

Aus Aargauer Sicht erfreulich: Heinrich Bullinger kommt im Film ebenfalls vor. Ihm gebührt laut den Machern das Verdienst, dass sich Zwinglis Reformation durchsetzen konnte.

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