11.08.2016

Der Krimi mit dem Zauberberg

Von Vera Rüttimann

Achtzig Frauen des Aargauischen Katholischen Frauenverbandes (AKF) reisten diese Woche nach Davos – auf den Spuren ihres einstigen Lungensanatoriums Sanitas. Als dieses in den 1990er-Jahren verkauft wurde, schienen die AKF-Frauen zunächst um den Verkaufserlös betrogen. Beharrlicher Kampf verhalf ihnen zu ihrem Recht – und dem Aargau zum AKF-Frauenpreis, der dieses Jahr zum 20. Mal verliehen wurde.

Lokalhistoriker Klaus Bergamin schaut versonnen auf die Liegen, auf denen einst betuchte Tuberkulose-Kranke aus aller Welt in Liegekuren gepflegt und untätig der Katastrophe des Ersten Weltkriegs entgegen dämmerten. Das einstige Luxussanatorium Hotel Schatzalp hat die letzten 100 Jahre ohne grössere Veränderungen überdauert. Auch die Waschbecken mit ihren propellerförmigen Armaturen können die AKF-Frauen noch besichtigen. Sie staunen auch, als sie vom Davoser erfahren, mit welch abenteuerlichen Methoden hier einst versucht wurde, die Tuberkulose zu heilen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für viele den Tod bedeute.

Wegen mangelnder religiöser Betreuung ein Sanatorium

Doch der Besuch im Hotel Schatzalp gilt nicht eigentlich jenem Ort, der Thomas Mann zu seinem Zauberberg-Roman inspirierte. Die Frauen wollen hier etwas von jener Atmosphäre aufnehmen, die wohl auch im AKF-eigenen Sanatorium Sanitas geherrscht haben musste, das 1916 vom AKF und anderen Frauenbund-Kantonalverbänden gekauft und betrieben wurde.

Vor hundert Jahren beklagten sich nämlich aargauische Patientinnen über mangelnde religiöse Betreuung auf der Barmelweid sowie in anderen Höhenkliniken. Zwei initiative Frauen aus dem Kantonalvorstand des AKF wandten sich daher an ihre katholischen Schwesterverbände in anderen Kantonen mit der Idee, ein eigenes katholisches Sanatorium in Davos zu gründen. Diese Idee zündete und so fand am 14. März 1916 die Gründungsversammlung statt.

Mutiges Sozialwerk für sozial schwache Frauen

Die AKF-Frauen laufen mit Klaus Bergamin durch das Englische Viertel auf einem Weg, den Thomas Mann vor hundert Jahren ebenfalls entlang spaziert war, und gelangen dann zu den zwei Gebäuden des einstigen SANITAS-Lungensanatoriums. Auch wenn heute in Eigentumswohnungen umgewandelt, geht von diesen Gebäuden noch immer etwas Besonders aus. Beatrice Hausherr, derzeitige Co-Präsidentin des AKF, sagt: «Ich wusste lange nicht, dass der AKF ein solches Haus besass. Ich war sofort fasziniert von der Geschichte dieses Ortes.»

Das Sanatorium Sanitas, war, so Klaus Bergamin, eine unverzichtbare Institution, und zwar dank des Engagements des AKF vor allem für sozial schwächer Gestellte. Beatrice Koller-Bichsel, die seit 30 Jahren mit dem AKF für Frauenrechte kämpft, sagt: «Dass hier vor allem Frauen aus ärmeren Schichten sich pflegen lassen konnten, war damals ein sehr sozialer Gedanke.» Das sieht auch Lokalhistoriker Klaus Bergamin so, der selbst 1954 im Sanatorium Sanitas seine Tuberkulose-Krankheit auskurieren musste. Der Lokalhistoriker erinnert sich, wie er damals jeden Donnerstagabend als Plattenaufleger ein Wunschkonzert für die Patientinnen des Sanatoriums zusammenstellte, dass diese über Kopfhörer geniessen konnten.

Von den Holländern über den Tisch gezogen

Als 1990 das Sanatorium Sanitas an die AG Sanatorium Davos (Niederländisches Asthmazentrum) für acht Millionen Franken verkauft wurde, erfuhr dies der AKF erst durch die Überweisung aus dem Verkauf. Die Freude wich jedoch schnell der Ernüchterung, weil die Frauen mit dem lächerlich geringen Betrag von knapp 65 000 Franken abgespeist werden wollten. Beatrice Koller-Bichsel erinnert sich: «Wir wollten uns nicht für dumm verkaufen lassen.» Sie bekam mit, wie sich dank des Einsatzes des damaligen AKF-Kantonalvorstandes unter dem Präsidium von Caroline Meier-Machen und Elisabeth Sailer sowie dank der Unterstützung des Badener Anwaltes Wendolin Stutz gelang, einen gerechten Anteil am Verkaufserlös zu bekommen. Die Summe, die der AKF 1995 erhielt, war dann um ein vielfaches höher: Knapp 1,5 Millionen Franken. Caroline Meier-Machen bilanziert: «Ich finde es toll, dass wir es geschafft haben, die anderen Kantonalverbände auf unser Anliegen aufmerksam zu machen, so dass wir das Geld erhielten, was uns zustand.» Beatrice Koller-Bichsel, die dieses Ringen als junge AKF-Frau verfolgte, sagt: «Es war ein langer Weg. Ich habe die zwei Frauen für ihren Mut bewundert, diesen Kampf gegen Anwälte und das niederländische Unternehmen aufzunehmen.»

Frauenpreis-Stiftung aus dem erkämpften Erlös

Der erkämpfte Erlös aus der Verkaufssumme des Lungensanatoriums Sanitas wurde nicht einfach für eigene Bedürfnisse verwendet, er wurde in dem neu geschaffenen gemeinnützigen «AKF-Sanitas-Fonds» angelegt. Daraus entstand der AKF-Sanitas-Preis (heute AKF-Frauenpreis), der höchstdotierte Frauenpreis der Schweiz, der dieses Jahr zum 20. Mal verliehen wurde. Beatrice Koller-Bichsel, Mitglied von der AKF-Frauenpreis-Kommission: «Mit dem Preis von 20 000 Franken wollen wir Frauen animieren, sich auf kreative Weise sozial in die Gesellschaft einzubringen.» Beatrice Hausherr ergänzt: «Dieser Preis wurde zu einem jährlichen Ereignis mit hoher Publizität – auch für den AKF.» Besonders schön fand sie die diesjährige Preisverleihung, bei welcher der Preis aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums an 120 ehrenamtlich arbeitende Frauenbundsfrauen ging, die in Ortsvereinen, Kommissionen und im Kantonalverband mitwirken.

Im AKF-Frauenpreis lebt der Geist des Sanatoriums weiter

Zum Abschluss des Ausfluges stehen einige Frauen trotz des feuchten Nieselregens noch angeregt diskutierend vor den beiden Sanitas-Gebäuden. Sie wirken zufrieden. Beatrice Koller-Bichsel, der die Würdigung der vielen Frauen, die im Stillen Grosses leisten, stets ein grosses Anliegen war, sagt: «Mit dem AKF-Frauenpreis lebt das Werk der ersten AKF-Frauen, die damals mit Mut und Engagement an Bazaren jeden Einfränkler für die Gründung des Hauses Sanitas zusammen getragen haben, weiter.» Caroline Meier-Machen fügt hinzu: «Von der Arbeit dieser Pionierinnen profitieren auch die mutigen Frauen von heute.»

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