05.03.2023

Diskussionsrunde «Pfefferoni» des Aargauischen Katholischen Frauenbundes
Flüchtlinge aus der Ukraine - was sind und waren die Herausforderungen?

Von Cornelia Suter

  • Mit welchen Herausforderungen sehen sich Geflüchtete sowie die Behörden und Gastfamilien in der Schweiz ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine konfrontiert?
  • Die Diskussionsrunde Pfefferoni, organisiert vom Aargauischen Katholischen Frauenbund AKF, befasste sich mit dieser Frage.
  • Die Geschäftsführerin der Caritas, ein Flüchtlingsbetreuer, eine geflüchtete ukrainische Mutter, ein Stadtrat von Rheinfelden und die Co-Leiterin des Sozialdiensts Aargau diskutierten, in welchen Situationen der Schweizer Perfektionismus zum Problem wird und welche Modelle im Asylwesen Zukunft haben sollten.

Vor einem Jahr begann die Invasion Russlands in der Ukraine. Tausende Menschen verliessen fluchtartig das Land, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch im Kanton Aargau suchten seit März 2022 bereits zehn Mal mehr Flüchtlinge Unterschlupf als noch ein Jahr zuvor. Der Aargauische Katholische Frauenbund hat deshalb in einer Diskussionsrunde im Hotel Kettenbrücke in Aarau die Herausforderungen angesprochen.

«Vsjo budet choroscho – Alles wird gut.» Ein Ukrainischer Satz, den Flüchtlingsbetreuer Thomas Häfeli mehrmals täglich hört und inzwischen auch selbst zum Besten gibt. Hunderte Flüchtlinge betreut er in Gipf-Oberfrick. Die meisten von ihnen sind Mütter mit ihren Kindern oder ältere Leute. «Diese Konstellation hat zu einer sofortigen Solidarität bei der Schweizer Bevölkerung geführt», erklärt Häfeli. Von einem Tag auf den anderen sei der Krieg da gewesen, niemand hatte so etwas erwartet. «Und alles war so nahe, in einem europäischen Land gleich nebenan», so Häfeli.

«Schutzstatus S»

Im März letzten Jahres wurde in der Schweiz erstmals der «Schutzstatus S» für Geflüchtete aus der Ukraine aktiviert. Er gilt für Personen, welche vom Bundesrat aufgrund von bestimmten Kriterien für «schutzbedürftig» erklärt werden. Ihre Aufnahme in der Schweiz erfolgt ohne Asylverfahren, rasch, und bis der Schutzbedarf wieder entfällt. So schreibt es das Asylgesetz vor. Ein neuer Status, welcher Kantone und Gemeinden vor Herausforderungen stellte: «Plötzlich stand ich vor einem Berg Formulare, frei nach dem Motto `Mach mal`», erzählt Thomas Häfeli von seinen Erfahrungen. Aber auch das Hilfswerk Caritas stand auf einmal vor unerwarteten Problemen:   

Es haben alle Unterstützung nötig

«Wir hörten Sätze wie: `Die Ukrainer sind echte Flüchtlinge, die kommen aus einem echten Krieg`», erzählt die Geschäftsführerin von Caritas Aargau, Fabienne Notter. Hier in der Schweiz würden jedoch viele weitere Flüchtlinge leben, welche ebenfalls aus Kriegsgebieten geflohen sind: «Diese verstehen dann natürlich nicht, weshalb die ukrainischen Flüchtlinge mit ihrem «Schutzstatus S» beispielsweise gratis in den Zug steigen dürfen und sie nicht», erklärt Notter. Klar gäbe es zu unterscheiden, ob es sich um junge eritreische Männer handle oder um ukrainische Mütter mit ihren Kindern. «Die haben jedoch auch nicht dieselben Bedürfnisse», so Notter. Trotzdem findet sie: «Alle haben Unterstützung nötig. Da muss sich die Schweiz jetzt einfach öffnen und allen Hilfe anbieten».

Marjana Tabarkevych ist letzten März 2022 mit ihren beiden Kindern in die Schweiz geflohen. | Foto: zvg

Die Leute haben ihre Herzen geöffnet

Viel Unterstützung hat auch die Ukrainerin Marijana Tabarkevych erfahren. Vor einem Jahr ist sie mit ihren Kindern und ihrer Schwester aus der Ukraine geflohen. In der Zwischenzeit arbeitet sie als Betreuerin in der Asylunterkunft in Lenzburg. «Die Menschen hier in der Schweiz haben nicht nur ihre Türen geöffnet, sondern auch ihre Herzen», erzählt die zweifache Mutter dankbar. Jeden Tag seien aufs Neue Leute gekommen und hätten sie gefragt, was sie noch brauchen können: «So haben wir zum Beispiel Laptops organisiert und spontan Deutschkurse angeboten», erzählt Tabarkevych.

Gerade die deutsche Sprache sei sehr wichtig, betont die Ukrainerin. Nur so bekämen die Flüchtlinge rasch eine Arbeitsstelle: «Die Leute möchten selbst Geld verdienen, in Wohnungen ziehen und auch Miete dafür bezahlen.» Doch die Organisation der Sprachkurse lässt laut den anwesenden Flüchtlingen etwas zu wünschen übrig: «Diese Bürokratie hier, es dauert einfach alles sehr lange», sagt Tabarkevych verwundert. 

Auch der Kanton wünschte sich mehr Flexibilität

Weshalb es mit den Deutschkursen so lange dauert, kann auch Pia-Maria Brugger, die Co-Leiterin des Sozialdiensts des Kantons Aargau, nicht beantworten. Dies liege nicht in ihrem Zuständigkeitsgebiet. Tatsächlich warten jedoch einige Personen seit elf Monaten auf einen geeigneten Sprachkurs. Brugger gesteht: «Ehrlich gesagt wurden auch wir am Anfang ziemlich überrannt mit der Situation». Zudem sei die Schweiz ein perfekt organisiertes Land und gerade dieser Perfektionismus bringe das System manchmal an die Grenzen, wie Brugger mit einem Beispiel aus ihrem Zuständigkeitsgebiet veranschaulicht: «Schicken wir beispielsweise Leute ohne professionelle ukrainische Sprachkenntnisse mit den Flüchtlingen zum Arzt, so könnte etwas falsch verstanden werden.» Auch gäbe es Ärzte, welche die Patienten ohne Dolmetscher schlicht nicht empfangen wollten. «Also organisieren wir dafür professionelle Übersetzer, um uns abzusichern, und das führt dann zu langen und teuren Wartelisten», so Brugger.

Wunsch nach Frieden ist allgegenwärtig

Zum Schluss blickte Moderatorin Noemi Landolt mit ihren Gästen noch etwas in die Zukunft. Was wünschen sie sich für 2023? «Frieden für meine Heimat und meine Landsleute und dass alle wieder ein glückliches Leben führen können», antwortet die Ukrainerin Marjiana Tabarkevych. Auch Dominik Burkhardt, Stadtrat von Rheinfelden, stimmt ihr zu. 450 Geflüchtete kann er in der Überbauung Dianapark in Rheinfelden aufnehmen. Viele sind bereits letzten Juni eingezogen, noch hat es aber Plätze frei. Sein Schlussfazit: «Ich bin vorsichtig optimistisch. So viel Engagement und so viel Solidarität, wie wir im letzten Jahr erlebt haben, das wäre wohl in anderen Situationen nicht so gewesen. Es wird nicht einfach sein, solche Unterkunftsmodelle wie zum Beispiel die Gastfamilien in anderen Fällen aufrecht zu erhalten.» Trotzdem wünschen sich alle Anwesenden: «Wir müssen die Erfahrungen in die Zukunft tragen und die neu geschaffenen Modelle, wie die Unterkunftsmöglichkeiten, möglichst beibehalten.»

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