13.06.2019

5G auf Aargauer Kirchtürmen?

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Von den rund 900 Handyantennen im Aargau steht nur ein knappes Prozent auf einem Kirchturm.
  • Weil es für die Einführung von 5G nun massiv mehr Antennenstandorte braucht und Kirchtürme aus Sicht der Netzbetreiber als idealer Ort für Mobilfunkantennen gelten, sind vermehrt Anfragen an Kirchgemeinden zu erwarten.
  • Die Landeskirchen halten sich mit Empfehlungen zurück, während «oeku und Kirche» durch den «exzessiven Ausbau des Mobilfunks» die Kernthemen Klimaschutz und Biodiversität betroffen sieht.

«Zwiespältig» ist wohl das Wort, mit dem sich das Verhältnis der Schweizer Bevölkerung zum neuen Mobilfunkstandard am besten beschreiben lässt. Lange angekündigt und teilweise sehnlich erwartet, ist 5G trotzdem selten vorbehaltlos willkommen. Wo eine 5G-Anlage hinkommt – oder besser: hinkommen soll – hagelt es Einsprachen. Noch wird das Thema in der Kirche im Aargau kaum diskutiert. Doch Beispiele aus anderen Kantonen zeigen, dass sich die Kirche auch hier mit 5G wird auseinandersetzen müssen.

70 Antennen auf Kirchtürmen

Rund 50 ihrer Antennen seien auf Kirchtürmen platziert, gibt die Swisscom an. Die Medienstelle der Konkurrentin Sunrise sagt, dass rund 20 ihrer Anlagen auf Kirchtürmen oder Kirchengebäuden stehen. Wie viele dieser insgesamt 70 Antennen sich auf Aargauer Kirchtürmen befinden, wollen die beiden Firmen zwar nicht sagen. Aber das kantonale Departement für Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) gibt an, von den über 900 Mobilfunkanlagen im Aargau stünden «maximal 5 bis 10» auf Kirchtürmen. Das entspricht einem Anteil von etwa einem Prozent.

«Kirchtürme sind ideal»

Der geringe Anteil an Mobilfunkanlagen auf Kirchtürmen verwundert. Denn sowohl von Seiten der Netzbetreiber wie auch des Kantons heisst es: «Kirchtürme eignen sich ideal als Mobilfunkstandorte.» Das BVU erklärt: «Die Kirchen stehen meistens mitten im Dorf und verfügen über eine gewisse Höhe, so dass von dort aus die Umgebung optimal versorgt werden kann.» Ausserdem brauche die Technik immer weniger Platz, so dass die Antennen im Turm versteckt werden können und das Ortsbild nicht stören. Die Einnahmen durch eine Anlage könnten für eine Kirchgemeinde durchaus interessant sein, heisst es beim Kanton weiter.  Netzbetreiberin Sunrise führt auch gesundheitliche Argumente für den meist zentral gelegenen Kirchturm an: «Antennen müssen dort stehen, wo Leute ihr Handy brauchen. Das reduziert insbesondere auch die Strahlung der Handys, welche den Grossteil der individuellen Belastung durch Mobilfunk ausmacht.»

Bis zu 15’000 neue Standorte müssen her

Um die nötigen Kapazitäten für neuen Mobilfunkstandard 5G zu schaffen, müssen zusätzlich zu den schweizweit bestehenden 18’000 Anlagen weitere Antennen gebaut werden. In städtischen Gebieten seien heute 90 Prozent der Sender am Limit der erlaubten Leistung, schreibt die Swisscom.Bleiben die gesetzlichen Strahlengrenzwerte so bestehen, benötigt es laut Branchenverband der Mobilfunkanbieter landesweit 15’000 zusätzliche Antennen. Für diese müssen Standorte gefunden werden. Deshalb könnte sich das BVU vorstellen, dass die Anfragen an Kirchgemeinden für die Montage einer Antenne auf dem Kirchturm zunehmen.

Antenne auf dem Kirchturm in Leuggern

So dürften auch Aargauer Kirchgemeinden Anfragen von Telekomfirmen erhalten haben oder noch erhalten. Eine dieser Kirchgemeinden ist Leuggern. Auf die Anfrage durch die Swisscom reagierte die Kirchenpflege gemäss Präsident Beat Elsener positiv. Nach einem öffentlichen Bewilligungsverfahren ist die Anlage inzwischen auf dem Turm der Kirche St. Peter und Paul installiert. Die Installation erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den Vertretern des lokalen Naturschutzvereines, damit sich die unter Schutz stehenden Dohlen weiterhin im Kirchturm wohl fühlen.

Unbemerkte Aufrüstung in «Bagatellverfahren»

Die Antenne auf dem Kirchturm in Leuggern sendet mit 4G. Sunrise erklärt, sie betreibe zur Zeit keine 5G-Antenne auf Kirchengebäuden. Doch die drei Konkurrentinnen Swisscom, Sunrise und Salt treiben ihren Plan, 5G in der Schweiz möglichst bald flächendeckend zu installieren, mit Hochdruck voran. In einem ersten Schritt werden die bereits bestehenden Anlagen, welche noch freie Kapazität aufweisen, auf 5G umgerüstet. Dafür braucht es laut Recherchen der Aargauer Zeitung nicht zwingend eine Baubewilligung. Mobilfunkstandorte, die technologieneutral bewilligt wurden, können im sogenannten Bagatellverfahren auf 5G aufgerüstet werden. Das kantonale Departement BVU bestätigte auf Anfrage der Aargauer Zeitung, dass die Mobilfunkbetreiber dabei ihre Anpassungen im Sinne einer Selbstdeklaration melden. Weil es laut Swisscom bei einem Drittel der Bauvorhaben Einsprachen gibt, ist das Bagatellverfahren für Telekom-Anbieter interessant.

«Irgendwo muss sie ja hin!»

Im Aargau sind neben dem Leuggermer Kirchturm auch die Kirche St. Martin in Rohrdorf sowie die Kirche in Abtwil mit Mobilfunkanlagen bestückt. Aus anderen Pfarreien sind «Horizonte» keine laufenden Verhandlungen mit Netzbetreibern bekannt. Hans-Peter Frey, verantwortlicher Kirchenpfleger für Bau und Liegenschaften in Muri, erklärt: «Nach meinem Wissensstand – ich bin seit 20 Jahren in der Kirchenpflege – hatten wir in dieser Zeit noch nie eine Anfrage.» Deshalb gebe es kein offizielles Statement der Kirchenpflege, wie sie dem Bau einer Antenne gegenüberstehen würde. Der Kirchenpfleger vermutet: «Käme eine solche Anfrage, würden wir Vor- und Nachteile, Kosten und Nutzen sicher genau abwägen.» Er selber würde voraussichtlich eine solche Variante gutheissen, nach dem Motto: «irgendwo muss sie ja hin!» Ob dies auch die Kirchenbürger so sähen, könne er schwer einschätzen.

Die Rechnung ohne den Wirt gemacht

In den vergangenen Monaten wurden in der Schweiz mehrere Fälle publik, in denen die Kirchenpflege die Rechnung ohne die Bevölkerung gemacht hatte. In Alpnach hatte der Kirchgemeinderat den Vertrag mit dem Provider schon abgeschlossen, als die Pläne öffentlich wurden und für einen Aufstand im Obwaldner Dorf sorgten. Wie die Neue Zürcher Zeitung berichtete, führten die Gegner vor allem ethische Gründe an. Mit der 5G-Technologie könne beispielsweise von der Schweiz aus Kriegsmaterial in anderen Ländern produziert werden. Zudem sei keineswegs garantiert, dass Swisscom langfristig in Schweizer Hand bleibe und den Zugang zum Turm ermögliche. Dort hängen Glocken, von denen die älteste aus dem Jahr 1458 stammt und damit wichtiges Kulturgut darstellt. Auf massiven Druck aus der Bevölkerung musste der Kirchgemeinderat den Vertrag mit der Swisscom wieder kündigen.

Zurückkrebsen

Im solothurnischen Kriegstetten argumentierten die Gegner ähnlich. Auch dort hatte der Kirchenrat eine Handy-Antenne ohne Einbezug der Öffentlichkeit bewilligt. Die Einnahmen hätte er gut für den Bau eines neuen Pfarreizentrums brauchen können. Doch auch in Kriegstetten musste der Kirchenrat zurückkrebsen und den Vertrag kündigen. Ein Mitarbeiter der Pfarrei erklärte gegenüber der Solothurner Zeitung, vom theologischen Standpunkt aus gesehen gehöre eine Mobilfunkanlage nicht in einen Kirchturm: «Dort gehören Glocken hin, mit denen wir zu Gott sprechen.»

Installation einer Antenne als Zweckentfremdung?

Es scheinen also weit mehr als gesundheitliche Bedenken zu sein, welche den Vorbehalten gegenüber Handyantennen auf Kirchen zugrunde liegen. Dies lässt sich auch aus einem Empfehlungsschreiben an die Kirchgemeinden im Gebiet der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn herauslesen, das zwar aus dem Jahr 2004 stammt, doch sehr aktuell klingt: «Es ist nicht Aufgabe der Kirche, eine umstrittene Technik zu fördern, deren Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen zumindest langfristig noch nicht genügend erforscht ist; dies steht in einem gewissen Widerspruch zum diakonischen Auftrag und zum sozialen Engagement der Kirche», heisst es da. Aber auch: «Allerdings kann sich im Einzelfall auch ergeben, dass die Installation einer Antenne auf dem Kirchturm für die Strahlenbelastung der Bevölkerung das kleinere Übel ist […]» und weiter: «[…] so ist doch auf das Empfinden der Gläubigen Rücksicht zu nehmen, welche die Kirche als Ort der Besinnung, der Trauer und des Trostes wahrnehmen und sich durch die Nähe einer Mobilfunk-Basisstation beeinträchtigt fühlen. Tatsächlich stellt die Installation einer Antenne eine Zweckentfremdung dar.»

Entscheidung in der Kompetenz der Kirchgemeinden

Im Aargau halten sich die reformierte und die römisch-katholische Landeskirche zurück mit Empfehlungen. Während die römisch-katholische Landeskirche bis Redaktionsschluss noch keine Stellung nahm, erklärt Frank Worbs, Kommunikationsverantwortlicher der reformierten Kirche im Aargau: «Die Entscheidung über den Einbau von Mobilfunkantennen in kirchlichen Gebäuden liegt grundsätzlich in der Kompetenz der Kirchgemeinden. Der Kirchenrat hat dazu keine Richtlinien erlassen. Der 5G-Standard verändert nichts an dieser Situation.» Falls die Kirchenpflege eine Antenne auf dem Kirchturm plane, stelle sie ein entsprechendes Baugesuch an die politische Gemeinde, das öffentlich ausgeschrieben wird. Wenn das Baugesuch bewilligt wird, muss es auch noch der Kirchgemeindeversammlung vorgelegt werden. So sei zum Beispiel in der Kirchgemeinde Reitnau eine Mobilfunkanlage abgelehnt worden. Weil Baugesuche von den Landeskirchlichen Diensten geprüft werden müssen, erfährt die reformierte Landeskirche von solchen Vorhaben. Frank Worbs hält fest: In den letzten acht bis zehn Jahren ist uns keine reformierte Kirchgemeinde im Aargau bekannt, die eine Antenne in den Kirchturm eingebaut hat.»

Klima und Biodiversität indirekt betroffen

Der Verein oeku Kirche und Umwelt, das kirchliche Beratungsorgan in ökologischen Fragen, hat sich nach eigenen Angaben bisher nicht vertieft mit dem neuen Mobilfunkstandard befasst, sodass es nicht offiziell Position bezieht. Doch der Theologe und Leiter der oeku-Fachstelle, Kurt Zaugg-Ott, sagt: «Unsere Schwerpunkte sind die Klimakrise und der Verlust der Biodiversität. Indirekt sind durch den exzessiven Ausbau des Mobilfunks beide Themen betroffen. Einerseits wird der Energieverbrauch durch den Netzausbau weiter ansteigen. Zudem sollten keine Mobilfunkantennen in der Nähe von Nistplätzen bedrohter Arten eingerichtet werden.» In Kirchtürmen sind häufig Fledermäuse, Alpen- und Mauersegler zu Hause. Problematisch finde er persönlich, dass auf dem Verordnungsweg die bisher in der Schweiz geltenden strengen Strahlungsgrenzwerte aufgeweicht werden sollen. Er für sich würde den Kirchgemeinden empfehlen, mit der Bewilligung von neuen Antennen auf kirchlichen Gebäuden zurückhaltend zu sein, da der Widerstand in der Bevölkerung beträchtlich sei.

Die Antenne bekämpfen, aber das Handy nutzen

Zum Schluss sei eine Passage aus dem oben erwähnten Schreiben an die Kirchgemeinden im Gebiet der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn aus dem Jahr 2004 zitiert, welche die Zwiespältigkeit angesichts neuer Technologien auf den Punkt bringt: «Glaubwürdigkeit setzt voraus, dass mit neuen Technologien generell ein verantwortungsbewusster Umgang gepflegt wird. Es ist deshalb widersprüchlich, die Installation von Basisstationen zu bekämpfen, gleichzeitig aber das Handy ohne jede Zurückhaltung einzusetzen. Dies bedeutet, dass gerade mit der jüngeren Generation, welche mit der neuen Technologie aufgewachsen ist, über den sinnvollen Umgang das konstruktive, nicht belehrende Gespräch gesucht werden muss.»

Auf der Übersichtskarte sind alle Mobilfunkanlagen in der Schweiz ersichtlich.

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