27.06.2019

Missbrauchsprävention: Mehr als Kurse

Von Anne Burgmer

  • Per 1. März 2019 setzten die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und die Vereinigung der Höhern Ordensoberen (VOS’USM) die mittlerweile 4. Auflage der Richtlinien zu «Sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld» in Kraft.
  • Im Bistum Basel sollen nach der Überführung der Dekanate in die Pastoralräume die Pastoralraumleitenden ihre Mitarbeitenden schulen und sensibilisieren.

Alle Seelsorgenden, die durch den Bischof oder den Bischofsvikar im Bistum Basel ernannt oder mit einer Missio canonica beauftragt sind, nahmen in den Jahren 2016/2017 an einem halbtätigen obligatorischen Weiterbildungskurs «Nähe und Distanz» teil. Obligatorisch ist dieser Kurs auch für jene, die neu im Bistum in einen entsprechenden Dienst eintreten. Leitungspersonen wurden mit Blick auf ihre Führungsaufgabe zusätzlich einen weiteren Halbtag geschult.

Pastoralraumleitende sind gefordert

«Der Bischof von Basel kann Prävention nur auf der Ebene jener pastoralen Mitarbeitenden wahrnehmen, die er ernannt oder mit einer «missio canonica» beauftragt hat. Deshalb ist der Bischof darauf angewiesen, dass die Leitenden der Pastoralräume oder der Pfarreien auf ihrer Stufe die Präventionsmassnahmen wahrnehmen», präzisiert Fabian Berz, Personalverantwortlicher im Bistum Basel, die Gründe.

Bei den Pastoralraumleitenden rennen sowohl die SBK als auch das Bistum Basel mit den Neuerungen teilweise offene Türen ein. So beispielsweise im Pastoralraum Region Aarau. Pastoralraumleiter Beat Niederberger erläutert: «Seit Längerem werden bei Neuanstellungen die Strafregister- und Sonderprivatregisterauszüge von der Kreiskirchgemeinde Aarau eingefordert. Die Kreiskirchgemeinde hat bereits entschieden, dies nun auch bei allen älteren Anstellungen nachzuholen. Das betrifft sämtliche Mitarbeitende, die einen Anstellungsvertrag haben, ganz unabhängig von ihrem Einsatzgebiet und ihren Stellenprozenten.»

Weder Belästigung noch Übergriffe werden toleriert

Auch in der Pastoral werde bereits vieles umgesetzt, was gefordert werde, so der Pastoralraumleiter: «Schon letztes Jahr hat der Pastoralraum die Weiterbildung „Nähe und Distanz“, die vom Bistum eingefordert wurde, mit allen Mitarbeitenden durchgeführt. Im Herbst 2019 wird dieses Angebot wiederholt – für alle neu Beschäftigten.» Ein Kurs für alle Behördenmitglieder sei ebenfalls für diesen Herbst geplant.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Pastoralräumen Am Mutschellen und Bremgarten-Reusstal. Dort führte der Kirchlich Regionale Sozialdienst Mutschellen-Reusstal im Auftrag der Pastoralraumleitungen im März 2018 eine Veranstaltung zum Thema «Nähe und Distanz» durch. Robert Weinbuch, Leiter des Pastoralraums Am Mutschellen, gibt Auskunft: «Eingeladen waren alle Personen im kirchlichen Dienst, für die Mitarbeitenden war die Teilnahme verbindlich. Dabei wurde eng mit den Kirchenpflegen zusammengearbeitet. Das Ziel war, Freiwillige und Angestellte für den Umgang mit Grenzverletzungen, Mobbing und Übergriffen in der pfarreilichen Arbeit zu sensibilisieren und deutlich klar zu machen, dass die Katholische Kirche auf dem Mutschellen und in Bremgarten-Reusstal weder Belästigungen am Arbeitsplatz noch Übergriffe toleriert, die von Mitarbeitenden im Rahmen ihrer kirchlichen Tätigkeit verübt werden. Das eigene Verhalten sollte reflektiert und der Umgang mit problematischen Situationen thematisiert werden.»

«Es geht nicht nur um Kurse!»

An zwei Terminen hätten 67 Personen teilgenommen und sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Zudem seien die Seelsorgeteams und die Mitglieder der Kirchenpflegen auch weiterhin sensibel für das Thema; es komme in den unterschiedlichsten Kontexten immer wieder zur Sprache.

Dass das Thema nicht ausschliesslich im Rahmen einer halb- oder ganztägigen Weiterbildung abhakt werde, sei von entscheidender Bedeutung, so Fabian Berz. «Es geht nicht nur um Kurse! Zu den Präventionsmassnahmen gehört zum Beispiel auch ein Gespräch in einer Teamsitzung: Wie gehe ich mit heiklen Situationen um? Wie merke ich, dass ich jemandem zu nahe komme, wie gehen wir als Team damit um, wenn wir feststellen, dass ein Teammitglied jemanden zu nahe kommt. Prävention muss laufend erfolgen und ist nicht auf einzelne Kurse beschränkt.»

Auch der Religionsunterricht steht unter Beobachtung

Dafür ist eine offene Atmosphäre in den Teams und in den Pfarreien notwendig. Beat Niederberger beispielsweise spricht das Thema immer wieder auch in Freiwilligengruppen an. «Ich habe es auch schon in Predigten aufgegriffen», sagt er.

Im Pastoralraum Oberes Freiamt steht der entsprechende Weiterbildungskurs, der für alle Angestellten, das heisst das Seelsorgeteam, Katechetinnen und Katecheten, Sakristane, Sekretärinnen und den Ministrantenpräses, obligatorisch ist, zwar erst an, doch das Thema ist schon jetzt präsent. Martina Suter, Leitungsassistenz und Bereichsleitung Katechese Pastoralraum Oberes Freiamt, sagt auf Nachfrage: «Bei den Unterrichtshospitationen habe ich das Thema Nähe und Distanz für dieses Jahr als speziellen Punkt aufgeführt und richte ein besonderes Augenmerk darauf.»

Landeskirche: Strafregisterauszüge nicht für alle Angestellten

Für Diskussionen sorgen die Sonderprivatauszüge und Privatauszüge aus dem Strafregister. Weniger, dass sie eingefordert werden, sondern für wen sie verpflichtend eingefordert werden sollen. Die Richtlinie der SBK legt im Bereich Vertragsgestaltung und Teamvereinbarungen fest, dass die «Richtlinien bei der Gestaltung von Verträgen, mit denen Personen im weitesten Sinne in seelsorgerliche, erzieherische oder betreuende Funktionen im kirchlichen Dienst eingesetzt werden, berücksichtig werden». Im daran anschliessenden Punkt Anstellung und Verträge, heisst es: «Konkret gilt im Einvernehmen mit den staatskirchenrechtlichen Einrichtungen, dass bei jeder Anstellung im kirchlichen Umfeld ein Privatauszug und ein Sonderprivatauszug aus dem Strafregister vorgelegt werden».

Luc Humbel, Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Landeskirche im Aargau, erklärt auf Anfrage: «Nach der Aussprache mit dem Bischof steht fest, dass dieser selbst um die Auszüge für alle Personen mit missio besorgt ist. Diese Auszüge bringt er uns im Einverständnis mit den betroffenen Personen als Anstellungsbehörde zur Kenntnis. Aktuell gilt die Praxis bei der Landeskirche, dass wir stellenbezogen das Beibringen von Strafregisterauszügen durchsetzen, nicht aber generell für alle kirchlichen Angestellten. Der Kirchenrat wird sich nach den Sommerferien mit allfälligen weiteren Massnahmen befassen.»

Klar ist: Bei allen Seelsorgenden, die durch den Bischof oder Bischofsvikar ernannt beziehungsweise mit einer Missio canonica beauftragt sind, müssen bis zum 30. September 2019 deren Auszüge aus dem Strafregister vorliegen. «Die allermeisten Anstellungsbehörden begrüssen die Initiative des Bischofs, dass er die beiden Auszüge aus dem Strafregister von den Personen, die er ernannt oder die er mit einer Missio beauftragt hat, eingefordert hat und die Kopien den Anstellungsbehörden zur Verfügung stellen wird.», so Fabian Berz.

Das Ziel bleibt «Null Fälle»

«Das, was mit der Einsetzung eines Fachgremiums 2002 und mit der Erstellung der Richtlinien begonnen hat, war nicht das Drehen eines Schalters, sondern der Beginn eines Prozesses. Es braucht viel Einsatz und Geduld, bis in einer so föderalistisch organisierten Institution wie der katholischen Kirche möglichst alle einbezogen sind», so Altabt Martin Werlen und dazumal Mitglied des Fachgremiums der SBK «Sexuelle Übergriffe in der Pastoral» an einer Medienkonferenz der SBK im Jahr 2011.

Der Prozess dauert an. Und auch, wenn er vielen zu langsam geht, ist mit der Umsetzung der neuen Richtlinien durch die pastorale wie die staatskirchenrechtliche Seite des dualen Systems jetzt ein weiterer Schritt in Richtung Missbrauchsprävention gemacht. Zwar seien gemäss einer gemeinsamen Medienmitteilung der Bistümer Basel und St. Gallen vom 28. Februar 2019 in den letzten Jahren kaum mehr neue Übergriffe gemeldet worden, doch das Ziel bleibe «Null-Fälle».

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