04.01.2016

Behinderung ist kein Hindernis

Von Andreas C. Müller

Alberto Stankovic fehlt seit seiner Geburt ein Arm. Gleichwohl kann der 19-Jährige im Tastaturschreiben mit jedem Profi mithalten. Dies beweist er auch auf dem Pfarreisekretariat in Suhr. Ermöglicht hat ihm dies ein Praktikum der Fachstelle Pastoral für Menschen mit Behinderung der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau. Im Interview ziehen die Fachstellenleiterin und der Praktikant Bilanz. Das Fazit: Inklusion kann gelingen.

Frau Deschler, mit Alberto Stankovic haben Sie als Leiterin der Fachstelle Pastoral für Menschen mit Behinderung der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau einen Praktikanten auf der Fachstelle sowie in der Pfarrei. Quasi der Tatbeweis für die von Ihnen stets postulierte Inklusion?
Isabelle Deschler:
Schon von meinen Kolleginnen und Kollegen Peter Schmitz-Hübsch und Kitti Steffen war angedacht worden, dass Menschen mit Behinderung bei uns arbeiten. Als Angestellte auf der Fachstelle ist das aufgrund der beschränkten Pensen leider nicht möglich. Mit dem Praktikum und der Ausdehnung des Fokus auf die Pfarreien haben sich neue Möglichkeiten eröffnet. Alberto Stankovic arbeitet sowohl bei uns auf der Fachstelle als auch auf dem Pfarreiamt in Suhr.

Warum hat es denn niemand in Ihrem Team mit Handicap?
Isabelle Deschler:
Sehen Sie, es gibt ohnehin nur wenige Theologinnen und Theologen. Und auf Stellenausschreibungen können Sie nur aus jenen Leuten auswählen, die sich auch beworben haben.

Sie propagieren die Inklusion anstelle von Integration. Ist das nicht eine begriffliche Spitzfindigkeit?
Isabelle Deschler:
Ich streite bestimmt nicht mit jemandem über Begrifflichkeiten. Besonders nicht, wenn Menschen das umsetzen, worum es mir eigentlich geht.

Was macht denn den Unterschied?
Isabelle Deschler:
Bei Integration bleiben «die anderen» anders, bei der Inklusion existiert der Gegensatz zwischen uns und «den anderen» nicht mehr.

Wie lässt sich das konkret vermitteln?
Isabelle Deschler:
Ich spreche immer wieder bewusst davon und erfahre oft als Reaktion, dass mir die Leute sagen: «Ja genau, darum geht es eigentlich.» Es findet ein Umdenken statt, wenn man sich das bewusst macht.

Und mit welchem Effekt? Beispielsweise in Bezug auf Herrn Stankovic?
Isabelle Deschler:
Dass jemand mit einem Handicap wie Alberto sehr viel gibt. Als Theologin verstehe ich zum Beispiel nicht viel von Computern, Alberto hingegen schon. Insofern ist das Praktikum keine Beschäftigungstherapie, sondern ein echtes Arbeitsverhältnis.

Wie haben Sie das erlebt, Herr Stankovic?
Alberto Stankovic:
Man hat mir viel zugetraut. Man übergibt mir Arbeit und lässt mich machen. Es wird nicht nachkontrolliert. Ich geniesse dasselbe Vertrauen wie jeder andere Mitarbeitende auch.
Isabelle Deschler: Mit Einschränkungen einzig dort, wo es der Praktikanten-Status per se mit sich bringt. Aber das hat nichts mit der Person oder dem Handicap zu tun.

Herr Stankovic, erleben Sie aufgrund Ihres Handicaps Diskriminierung?
Alberto Stankovic:
Nein. jedenfalls nicht direkt. Gewiss ist es so, dass ich es bei der Stellensuche schwieriger habe, weil sich Arbeitgeber oft nicht vorstellen können, wie ich die Arbeit genau gleich gut und gleich schnell machen kann wie alle anderen auch. Oder aber Menschen, die mir allzu voreilig ihre Hilfe anbieten, mir beispielsweise in die Jacke helfen wollen oder die Türe öffnen. Aber Ausgrenzung habe ich nie erfahren.

Was sind Ihre Ziele für die Zukunft, Herr Stankovic?
Alberto Stankovic:
Ich möchte meine Bürolehre erfolgreich abschliessen, im ersten Arbeitsmarkt Fuss fassen und später auf Kinderbetreuung umsatteln.

Und Ihre, Frau Deschler? Für Ihre Fachstelle?
Isabelle Deschler:
Ich wünsche mir, dass auch andere Pfarreien Menschen mit einer Behinderung beschäftigen. In welchem Rahmen auch immer. Dafür will ich mich einsetzen.

 

 

 

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