21.02.2019

Achtsame Kirche in der Fair Trade-Stadt Aarau

Von Andreas C. Müller

  • Am 11. Mai organisiert die Stadt Aarau ihren ersten Fair Trade-Tag. Parallel dazu wird die Römisch-Katholische Kirche  im Rahmen der Aktion «Achtsames Aarau» Spiritualität im öffentlichen Raum erlebbar machen. Eine gewollte Verzahnung.
  • Mit einer Klagemauer, einem Gesprächssofa, Stadtexerzitien und anderen Meditationsformen will die Römisch-Katholische Kirche vom 9.-11. Mai spirituelle Angebote besonders auch Menschen zugänglich machen, die keinen Bezug mehr zu den Kirchen haben.

 

Längst nicht nur Schülerinnen und Schüler demonstrierten vor Kurzem für eine konsequentere Klimapolitik. «Es kann so nicht weitergehen», lautete der Konsens. Das betrifft auch das Verständnis für unsere Handelsbeziehungen zum Süden. Lange Zeit hat sich kaum jemand daran gestört, dass für die günstigen Preise von exotischen Früchten, Kaffee oder Kleidung die Arbeiterinnen und Arbeiter in Entwicklungsländern die Zeche bezahlen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Spätestens mit Max Havelaar begann sich der Fair Trade-Gedanke Ende der 1980er-Jahre auch innerhalb einer breiten Öffentlichkeit zu etablieren.

Ein neues Label: Fair Trade-Stadt

Gut 30 Jahre später verspüren gar Schweizer Städte nach Erreichen des Labels «Energiestadt» Lust auf eine weitere Herausforderung: Sie wollen als sogenannte Fair Trade-Städte zertifiziert werden und arbeiten darauf hin, ihr Gewerbe sowie ihre Bürgerinnen und Bürger für fairen Handel zu sensibilisieren. Das Label wird von den bekannten Fair Trade-Organisationen vergeben, wenn eine Stadt nachweislich fairen Handel unterstützt. Dazu gehört, dass sich eine Arbeitsgruppe intensiv mit der Thematik befasst und Gastrobetriebe und Detailhandel Fair Trade-Produkte im Angebot haben müssen.

Auch Aarau will Fair Trade-Stadt werden und veranstaltet hierfür am 11. Mai – just am internationalen Tag des fairen Handels – einen ersten Fair Trade-Tag. Auffallend: Auch die Römisch-Katholische Kirche ist mit von der Partie. Unter dem Motto «Achtsames Aarau» werden vom 9.-11. Mai verschiedene Aktivitäten angeboten, die «Spiritualität und besonders Achtsamkeit im Alltag als Lebensressource erfahrbar machen sollen», bringt Projektleiterin Susanne Andrea Birke von der organisierenden Fachstelle Bildung und Propstei der Römisch-Katholischen Landeskirche das Ziel auf den Punkt.

Achtsamkeit trifft fairen Handel: Eine gewollte Verknüpfung

«Ich hatte schon länger die Idee, mit Spiritualität im öffentlichen Raum präsent zu sein», erinnert sich Susanne Andrea Birke. Aus verschiedenen deutschen Städten, aber auch aus Zürich kenne sie ähnliche Projekte: «Stilles Frankfurt» beispielsweise. «Im Team haben wir darüber nachgedacht, wo und wie wir das im Aargau umsetzen können und haben im Pastoralraum Aarau einen Kooperationspartner gefunden». Dann sei man mit der Stadt Aarau ins Gespräch gekommen und habe realisiert, dass sich ein solch kontemplativer Ansatz gut mit den Aktionen ergänzt, welche Aarau als «Fair Trade Town« umsetzt.

Achtsamkeit, Spiritualität und fairer Handel: Wie geht das zusammen? Sind das nicht ganz verschiedene Themen? Der Fair Trade-Tag und «Achtsames Aarau» seien unabhängig voneinander entstanden, aber man wolle Synergien nutzen, erklärt Andreas Burri, Projektkoordinator Fair Trade-Town Aarau. Die Kantonshauptstadt strebe aufgrund eines Vorstosses aus dem Einwohnerrat an, als Fair Trade-Stadt zertifiziert zu werden.

Der erste Aarauer Fair Trade-Tag vom 11. Mai soll dazu beitragen, die Bevölkerung für fairen Handel zu sensibilisieren. Das Nebeneinander von Fair Trade-Tag und «Achtsames Aarau« sei eine gewollte Verzahnung, führt der Projektkoordinator und Leiter der Aarauer Wirtschaftsfachstelle weiter aus. Den Anstoss gab mit Marcel Notter der Generalsekretär der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau als Mitglied der Aarauer Fair Trade-Arbeitsgruppe. «Nachhaltigkeit hat immer auch mit Achtsamkeit zu tun», so Andreas Burri. «Und die katholische Kirche bemüht sich engagiert um Nachhaltigkeit. Da gibt es viele Parallelen zum fairen Handel.»

«Angebote ohne missionarische Absicht»

Ist ein achtsamer Mensch ein fairerer Mensch? Und führen Spiritualität und Religion zu einem achtsameren Umgang mit der Welt, beziehungsweise bringen uns Gebet und Mediation dazu, gezielter und vor allem mit mehr Verantwortungsgefühl gegenüber Menschen in Entwicklungsländern zu konsumieren? Diese Fragen wollen die Organisatoren bewusst offen lassen. Für sie ist jedenfalls der Umgang mit Schöpfung und Mitmenschen ein zentraler Aspekt von Achtsamkeit. Das Vorbereitungsteam von «Achtsames Aarau» hofft allerdings, mit derart niederschwelligen Angeboten Interesse für kirchliche Angebote zu wecken. In einem Arbeitspapier, in das Horizonte Einsicht bekam, heisst es, man wolle «spirituelle Angebote besonders auch Menschen zugänglich machen, die nicht (mehr) in den Kirchen suchen».

Gehmeditationen, eine Klagemauer, ein Gesprächssofa: Alles Erfahrungs- und «Gesprächsangebote ohne missionarische Absicht», meint Beat Niederberger, Leiter des Pastoralraums Aarau. Der Seelsorgeverband, der Aarau und seine umliegenden Gemeinden umfasst, engagiert sich massgeblich bei der Umsetzung von «Achtsames Aarau». Mehr noch: Alle Ressourcen für den alle zwei Jahr stattfindenden Pastoralraumtag fliessen dieses Jahr in den Aarauer Stadt-Event. Anstelle eines Zirkustages wie vor zwei Jahren stellen Freiwillige zusammen mit dem Seelsorgeteam ein Kerzenlabyrinth vor dem Pfarrhaus Peter und Paul auf, geben Reisenden gute Wünsche mit auf den Weg, erzählen Kindern Märchen und biblische Geschichten. Weiter gibt es einen Fotowettbewerb, eine Seifenblasenkation sowie die Möglichkeit, mit dem Musikpädagogen Boris Lanz allerlei Alltagsgegenstände zum Klingen zu bringen. Und natürlich stammen alle Getränke und Snacks, die hierbei abgegeben werden, aus fairem Handel.

Eine Klagemauer in der Markthalle 

Der Jüdisch-Christliche Arbeitskreis plant derweil in der Markthalle sogar eine Klagemauer, an der Menschen ihre Gedanken, Wünsche und Sorgen deponieren können. Vorbild sei die Klagemauer in Jerusalem, erklärt Bernhard Lindner, Erwachsenenbildner der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau gegenüber Horizonte .«Die Absicht des Projekts ist es», so Bernhard Lindner, die Verbindung von Christentum und Judentum im gemeinsamen Gebet sichtbar zu machen. Der Christlich-Jüdische Arbeitskreis zeigt sich denn auch für die Klagemauer verantwortlich und wird mit Vertretern vor Ort sein. Der Islam darf bei einer solch interreligiösen Initiative nicht fehlen. Für ein interreligiöses Gebet kommen mit Jasmin El-Sonbati und Kerem Adigüzel zwei prominente progressive Muslime nach Aarau.

Stadtexerzitien schnuppern

Weiter haben die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, eine Schnuppererfahrung in Sachen Stadtexerzitien zu machen «Das ist eine Gegenbewegung zur üblichen Praxis, für eine Auszeit in ein Kloster auf dem Land zu gehen», erklärt Bernhard Lindner. «Bei Stadtexerzitien verweilen die Menschen an einem belebten Ort und beobachten, was an Eindrücken auf sie einströmt und was das an Gefühlen und Gedanken auslöst. Das wird dann hernach besprochen und reflektiert.» In der Regel dauere ein solcher Prozess mehrere Tage. An den Aktionstagen «Achtsames Aarau» werde ein Schnupperangebot von etwa einer Stunde angeboten.

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