14.11.2019

Aargauer Landeskirchen: Gemeinsam für Palliative Care

Von Andreas C. Müller

  • Seit 2016 engagieren sich die Aargauer Landeskirchen gemeinsam in der Aus- und Weiterbildung von Palliative Care-Fachleuten und Freiwilligen. Dies als Ausdruck der christlichen Lebensauffassung, die den Tod als natürlichen Teil des Lebens sieht und dem Trend hin zu assistierten Suiziden eine würdevolle Begleitung im Sterben entgegensetzen möchte.
  • Aargauer Seelsorgende gestalten das Aargauer Ausbildungsangebot im Bereich Palliative Care in enger Zusammenarbeit mit Institutionen und Care-Organisationen aktiv mit und sensibilisieren für religiöse Bedürfnisse und Fragestellungen.

 

Während an jenem Oktobernachmittag draussen die herbstlich verfärbten Blätter im Sonnenlicht leuchten, warten im «Haus der Reformierten» in Aarau neun Frauen gespannt auf das Referat von Hans Niggeli, dem Leiter Spitalseelsorge der Aargauer Landeskirchen. Die Anwesenden sind Profis, tätig im Bereich Pflege oder Seelsorge. Sie besuchen den «Zertifikats-Lehrgang Interprofessionelle Spezialisierte Palliative Care». An besagtem Nachmittag geht es um christliche Rituale im Rahmen der Sterbebegleitung.

«Viele Menschen am Ende des Lebens wollen ein Ritual»

Zum Einstieg wird zusammengetragen, was über Rituale im Allgemeinen sowie im Rahmen der Sterbebegleitung bereits bekannt ist, und was die Erwartungen an den Kursnachmittag sind. «Mich interessiert, welche Rituale ich mit Menschen machen kann, die am Lebensende aufgrund einer Krankheit wie beispielsweise Demenz bereits stark beeinträchtigt sind», meldet sich eine Kursteilnehmerin. Eine andere hofft auf Anregungen im Umgang mit der Sprachlosigkeit der Angehörigen. Und eine Pflegefachfrau, die aufgrund ihrer kirchenfernen Sozialisierung wenig über christliche Rituale weiss, will zunächst einmal erfahren, was eine Krankensalbung oder «die letzte Ölung» ist.

Hans Niggeli geht auf alle Anliegen ein und lässt immer wieder in Kleingruppen zu verschiedenen Aspekten Inhalte erarbeiten. Sein Fazit: «Welche Handlungen und Rituale tatsächlich erwünscht sind, ist völlig individuell». Man könne da nichts aufgrund der Konfessionszugehörigkeit ableiten. Aber: «Viele Menschen am Ende des Lebens wollen ein Ritual. Sie wissen nur oft nicht genau, was.» Entsprechend sei es wichtig, einfühlsam nachzufragen.

Erfahrbar machen: «Du bist nicht allein!»

Natürlich wird im Laufe des Nachmittags auch besprochen, was denn ein Ritual ist und worin seine Kraft liegt. Dazu Hans Niggeli: «Ein Ritual ist etwas, das nach klaren Vorgaben gemacht wird und einen hohen Symbolgehalt aufweist». Und dann nennt Hans Niggeli ein Beispiel: «Wenn ich zum Beispiel ein Kerze anzünde, um Licht ins Dunkel zu bringen». Es gehe bei Ritualen ums Erfahren und Erleben, führt der Leiter Spitalseelsorger der Römisch-Katholischen Landeskirche weiter aus: «Darum, mit einer Handlung erfahrbar zu machen: Du bist nicht allein mit deiner Krankheit, mit deinem Schmerz». Auf diese Art und Weise könnten Rituale bei Übergangssituationen unterstützen.

«Und was kann ich im Rahmen solcher Rituale tun, um Menschen ihre Situation erträglicher zu machen?», will eine Kursteilnehmerin wissen. «Vielen ist körperliche Nähe sehr wichtig: Eine Umarmung, die Hand halten», antwortet Hans Niggeli. «Das sage ich jeweils auch den Angehörigen. Zudem: Rituale gewinnen an Stärke, wenn sie öfter durchgeführt werden oder mehrere zusammen sie machen».

Der Kanton unterstützt die Aus- und Weiterbildungen

Die Aargauer Landeskirchen gehören im Aargau seit Jahren zusammen mit dem Roten Kreuz oder dem Careum Weiterbildungszentrum für das Gesundheits- und Sozialwesen zu den wichtigen Kursanbietern im Bereich Palliative Care. Mehrere Hundert Freiwillige und Profis haben in den vergangenen Jahren bereits eine Aus- oder Weiterbildung absolviert. «Nicht zuletzt infolge der vom Kanton gesprochenen Aus- und Weiterbildungsbreiträge gab es einen regelrechten Run auf die Kurse», weiss Jürgen Heinze, katholischer Seelsorger am Kantonsspital Baden und seit vielen Jahren Kursleiter in der Ausbildung von Freiwilligen.

Wer einen Kurs in Palliative Care besuchen möchte, kann einen Weiterbildungbeitrag beantragen. Für hochspezialisierte Kurse auf Niveau B2 beträgt dieser sogar mehrere tausend Franken.  «Noch bis 2021 können Beiträge beantragt werden», erklärt Daniela Mustone vom Spitex-Verband Aargau. Bis dann soll das Departement für Gesundheit und Soziales ein Konzept für Palliative Care im Aargau erarbeitet haben.

Die Reformierten waren Vorreiter

Seit 2016 treten die Aargauer Landeskirchen mit ihrem Engagement zugunsten von Palliative Care gemeinsam auf. Dies, nachdem die Synode der Reformierten Landeskirche Aargau bereits 2009 den Auftrag gab, eine Ausbildung in Palliative Care zu konzipieren und einen Dienst aufzubauen, der die Gemeinden bei der Begleitung von Sterbenden und ihren Angehörigen unterstützen sollte. Ein erstes Kursangebot 2010 fand grossen Zuspruch und wurde sukzessive erweitert.

Die ökumenische Zusammenarbeit folgte erst später. Dass sie erst aufgrund knapper werdender Ressourcen insbesondere bei den Reformierten erfolgte, wird von verschiedener Seite zwar immer wieder erwähnt, aber nicht offiziell bestätigt. «Das Bewusstsein, dass alle Aufgaben gemeinsam und auch mit der Christkatholischen Landeskirche erbracht werden sollten, musste zuerst wachsen», erklärt dazu Jürgen Heinze.

Gemeinsam ist man stärker

Die ökumenische Zusammenarbeit im Bereich Palliative Care trägt jedoch Früchte. So existiert heute eine ökumenische Begleitkommission mit Mitgliedern aus den Kirchenräten, dem Hospiz und verschiedenen Fachpersonen aus dem Bereich Palliative Care.

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