29.04.2015

Acht Stunden hoch zu Ross

Von Bundesamt für Kultur (BAK) / mca

Feierliche Prozessionen und Bittgänge durch Felder und Wiesen am und um den Auffahrtstag, also an Christi Himmelfahrt am vierzigsten Tag nach Ostern, waren früher in katholischen Gebieten verbreitet. Heute finden sie nur noch an einigen Orten rund ums luzernische Beromünster statt.

Wie die Prozessionen an Fronleichnam erhielten auch die Auffahrts-Prozessionen ihr charakteristisches festliches Gepräge in der Zeit der Gegenreformation. Im Barock erfuhren sie oftmals noch eine Steigerung ins Pompöse. Heutzutage kennt in der Schweiz nur noch der Kanton Luzern die Tradition des Umgangs oder Umritts an «Uffert». In Altishofen, Beromünster, Ettiswil, Grosswangen, Hitzkirch, Müswangen und Sempach finden heute noch ausgedehnte Prozessionen statt. Die Teilnehmer bewältigen die Prozession je nach Funktion im Brauchgefüge zu Fuss oder zu Pferd. Der grösste, älteste und bekannteste dieser Anlässe ist der Auffahrtsumritt von Beromünster. Rund zweitausend Personen begeben sich jedes Jahr auf die achtzehn Kilometer lange Strecke – oder zumindest auf einzelne Etappen davon –, um in Gesellschaft anderer zu wandern, zu meditieren, zu beten, Segnungen zu empfangen oder Predigten zu hören. Von Beromünster aus führt der Weg über eine festgelegte, im Wesentlichen seit Jahrhunderten unveränderte Route in benachbarte Weiler und Dörfer. Nach achteinhalb Stunden gelangt der Prozessionszug wieder an den Ausgangspunkt zurück. Dort erwarten ihn bis zu achttausend Leute, um gemeinsam mit den Pilgernden die Feier ausklingen zu lassen.

Bestätigte Grenzen, gesegnete Fluren

D’Möischterer Uffert», wie die Prozession und die ihr angegliederten Brauchelemente von den Ortsansässigen genannt werden, steht historisch gesehen in der Traditionslinie der mittelalterlichen Umritte. Sie dienten den weltlichen oder kirchlichen Herren zur zeremoniellen Kennzeichnung und Bekräftigung ihres Hoheitsgebiets. In der Kirchgemeinde Beromünster fand ein solches rituelles Prozedere nachweislich im Jahr 1420 statt, als der Pfarrer mit einem kleinen Gefolge die Pfarreigrenzen abritt und Gott um Schutz für Menschen, Tiere und Felder bat. 1509 verfügte Heinrich Feer, der Propst des im Flecken angesiedelten Kollegiatstifts, alljährlich an Auffahrt eine Flurprozession durchzuführen. Dieser Beschluss gilt als eigentlicher Gründungsakt des Münsterer Auffahrtsumritts.

Stift mit strategischer Bedeutung

Als die benachbarten aargauischen Gemeinden 1528 zum neuen Glauben übertraten, erhielt das Stift für die katholischen Lande eine besondere geostrategische Bedeutung. Seine Repräsentanten formten die Prozession zu einer opulent ausgestalteten Manifestation des alten Glaubens aus. Im Gegensatz zu den reformierten Gebieten, in denen sich die Umritte zu säkularisierten Brauchritualen entwickelten, betonte die katholische Trägerschaft den Gedanken der kirchlichen Segnung der Äcker und Wiesen. Tatsächlich ist diese Akzentuierung bis heute unübersehbar. Immer wieder macht der Pilgerzug an Stationen halt, um Gottvater und seinen Sohn Jesus zu ehren, ihnen Dank zu sagen und sie um künftiges Wohlergehen zu bitten. Vierzehn auf die gesamte Strecke verteilte Triumphbögen aus Tannenreisig dienen der Markierung dieser Zwischenstopps. Sie werden meist von den Anwohnern des Prozessionswegs in aufwändiger Freiwilligenarbeit installiert und mit Blumen, Stoffbändern, Bildern, Figuren, Fähnchen, Kelchen und Kreuzen ausgeschmückt. Zur Palette der Dekorationsobjekte gehören seit dem 19. Jahrhundert auch Inschrift-Tafeln mit frommen Sprüchen. So lautet beispielsweise eine der dort angebrachten Botschaften: «Alles zu Ehren des einhergehenden Königs der ewigen Herrlichkeit!» An den repräsentativ aufgemachten Triumphbögen wiederholt sich stetig eine der zentralen Ritualhandlungen des Auffahrtsumritts: das Erteilen des Segens durch den Pfarrer. Die entsprechende Geste erfolgt unter Einbezug einer geweihten Hostie, die in der Monstranz mitgeführt wird. In der Münsterer Ausführung ist das schmuckvolle Hostienbehältnis in der Form einer ovalen, emaillierten Platte gehalten, damit es vom reitenden Pfarrer um den Hals getragen werden kann.

Zu Fuss und hoch zu Ross – ein langer Umzugstross

Der grösste Teil des Zugs besteht aus rund zweitausend Pilgern, die den Weg in einzelnen Gruppen zu Fuss begehen. Die einen beten laut den Rosenkranz, die anderen verrichten ihre Gebete still. Auch gibt es Teilnehmende, für die weniger das katholisch ritualisierte Beten im Vordergrund steht, sondern das Meditieren im Allgemeinen. Der gemeinsame Nenner aller Praktiken besteht wohl in einer Art der Selbstbesinnung, die das eigene Ich im Kontext der sozialen, natürlichen und göttlichen Umwelt betrachtet und befragt. Für den planmässigen Ablauf sorgt ein berittener Ordnungsdienst. Er besteht aus etwa zwei Dutzend Männern in historischen Kavallerieuniformen, die sich auf den ganzen Pilgerzug verteilen. Das Ende der Prozession bilden bis zu zweihundert Reiterinnen und Reiter. Sie werden vom rot gewandeten Stiftsweibel mit dem St. Michaelsstab angeführt, gefolgt von Fahnen, Kreuz und Laternenträgern in weissen Chorröcken. Dann treten die zwanzig uniformierten Bläser der «Reitermusik Gunzwil» in Aktion. An genau festgelegten Wegmarken intonieren sie Märsche, Choräle, Kirchenlieder und – jeweils kurz nach Beginn des Umritts – die Schweizerische Nationalhymne. Ihre Präsenz verleiht dem Brauchanlass nebst der charakteristischen musikalischen Grundierung einen kräftigen Schuss Exklusivität und Spektakel, zumal das harmonische Musizieren hoch zu Ross einiges an Geschicklichkeit verlangt und es in der Schweiz auch nur noch eine Handvoll solcher berittener Formationen gibt.

Auch der Bischof sattelt das Pferd

Die Reitermusik ging 1897 aus der sechs Jahre zuvor gegründeten «Feldmusik Gunzwil» hervor. Seither begleitete sie, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, jeden Umritt. Gewiss vermochte das Spiel der Blasmusiker neue klangliche und ästhetische Standards zu setzen, eine eigentliche Brauchinnovation stellte es aber nicht dar. Bereits im Jahr 1696 vermerkte der Stiftschronist den Auftritt von vier berittenen Trompetern an der Auffahrtsprozession. Hinter der Musik reihen sich die kirchlichen Amts- und Würdenträger in den Zug ein. Zunächst die Kirchenräte der Pfarrei St. Stephan und die Mitglieder des «Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem», danach die Geistlichkeit in weissen Kirchengewändern. Eine besondere Position im Tross nimmt der jährlich wechselnde Ehrenprediger auf dem Schimmel ein. Oftmals handelt es sich um einen Bischof, einen Generalvikar, einen Abt oder einen Kapuzinerpater. Er zelebriert auf halber Strecke eine anderthalbstündige Messe in der Kirche Rickenbach und ergreift dann zum Abschluss des Umritts in Beromünster nochmals das Wort. Am Ende des offiziellen Prozessionszugs reiten die Sängerinnen und Sänger des Kirchenchors, die Kirchenräte von Rickenbach sowie verschiedene Standartenträger mit. Ihnen schliessen sich noch Privatpersonen auf ihren eigenen Pferden an. Ihre Anzahl schwankt je nach Witterung zwischen fünfzig und hundert.

Festlicher Einzug in Beromünster

Was morgens um 5.30 Uhr im Flecken Beromünster unter den Augen einiger weniger Zuschauer begann, endet am selben Ort um 14 Uhr vor einem grossen Publikum. Tausende warten am Strassenrand, um den Einzug der Prozession zu erleben. Die Feierlichkeit des Moments wird durch das Hinzufügen weiterer Dekorationselemente am Dorfrand noch betont: Die Pferde des Ehrenpredigers und des Pfarrers erhalten eine weisse gehäkelte Decke umgelegt. Der Reitermusik wird ein Pferd mit umgehängten Pauken zugeführt (während des Umritts wird auf Schlaginstrumente verzichtet). Und der Pfarrer bekommt vier Reiter zum Geleit, die einen weissgoldenen Baldachin über ihm und dem Allerheiligsten – der in der Monstranz präsentierten Hostie – aufspannen. Unter dem in der Hauptgasse aufgestellten Triumphbogen nehmen die Geistlichen die letzten zeremoniellen Handlungen vor. Sie beten gemeinsam mit den anwesenden Gläubigen das Vaterunser und sprechen den Schlusssegen. Zum Ausklang wird das bekannte Kirchenlied «Grosser Gott, wir loben Dich» angestimmt. Die meisten Pilger und Zuschauer begeben sich danach auf einen Umtrunk oder eine kleine Mahlzeit in die umliegenden Gasthöfe. Einige machen zuvor noch einen kurzen Abstecher in die Stiftskirche, wo ihnen die Chorherren ein letztes, sehr bildhaftes Auffahrtsritual bieten: Eine hölzerne Christusfigur schwebt – an Seilen emporgezogen – zur Decke hin, um dann durch eine Öffnung im (Himmels-)Gewölbe zu entschwinden.

Anregung vom Chorherrenstift Beromünster

Nebst dem Auffahrtsumritt in und um Beromünster finden im Kanton Luzern fünf weitere, im Wesentlichen analog ablaufende Umritte statt, nämlich in Altishofen, Ettiswil, Grosswangen, Hitzkirch und Sempach. Vieles deutet darauf hin, dass die Anregung zu deren Entstehung direkt vom Chorherrenstift Beromünster ausging – zumindest unterhielt der damalige Stiftspropst Heinrich Feer verwandtschaftliche und freundschaftliche Kontakte in die genannten Gemeinden. Die Erstdurchführung des Grosswanger Umritts erfolgte 1510, also nur ein Jahr nach dem Beginn in Beromünster. In Sempach hingegen nahm man die Ritualpraxis erst 1520 auf.

 

Mehr zum Brauchtum in der Schweiz: www.lebendigetraditionen.ch

 

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