01.03.2018

Eine Atmosphäre grösstmöglicher Geborgenheit

Von Anne Burgmer

  • Jeweils am ersten Märzwochenende begeht die Katholische Kirche den Krankensonntag. Aus diesem Anlass besuchte Horizonte die Spitalseelsorgerin Franziska Schär. Die Theologin begleitet Eltern und Kinder in der Klinik für Kinder und Jugendliche (KKJ) im Kantonsspital Aarau.
  • Im Zusammenspiel von Medizin, Pflege und Seelsorge ist gute Kommunikation das A und O; Konfession oder Religion treten im Rahmen des Spiritual Care Konzeptes des Kantonspitals Aarau (KSA) auch mal in den Hintergrund.

 

Zwei kleine Mädchen. Rote Pullover, helle Hosen. Die grössere hat lange wilde dunkle Locken. Sie ist vielleicht 5-jährig und hält ihr tapsiges jüngeres Geschwisterchen an der Hand. Hinter ihnen kommen die Eltern. Im Vorbeigehen sieht man auf dem linken Schulterblatt des kleineren Kindes einen langen, dünnen, aufgerollten Sauerstoffschlauch: Ein Engelsflügel ohne Federn, schiesst die Assoziation durch den Kopf.

Rettende Technik

Zu Besuch am Arbeitsort von Franziska Schär. Die reformierte Theologin steht im Flur der Neonatologie. In dieser Abteilung der KKJ des Kantonsspitals Aarau werden Frühgeborene und neugeborene Babys medizinisch und pflegerisch begleitet. «Hier sind es besonders die Eltern, denen ich mich vorstelle. Für sie ist die Situation oft unerträglich. Sie sollen wissen, dass es mich gibt und sie mich ansprechen können», sagt Franziska Schär. Vom Pflegebereich geht es durch eine Glastür in den intensivmedizinischen Bereich. Transportbettchen, sie sind mehr Technik als Bett, stehen an der Seitenwand. Der Blick fällt durch eine Glasscheibe zunächst auf noch mehr Technik, auf Überwachungsmonitore und Infusionsständer, auf Intensivbetten. Zwischen der monströs anmutenden Technik, die Leben ermöglicht, sitzen Männer und Frauen. Es sind Eltern, die bei ihren Kindern sind.

Ab der 24. Schwangerschaftswoche können Frühgeborene in Aarau betreut und in ihrer Entwicklung unterstützt werden, der Standard der Neonatologie entspricht dem der Universitätsspitäler. «Manchmal verlegt das Inselspital Bern aus «Platzgründen» Frühgeborene hierher. In einem Fall hätte die Mutter mit ihrem Kind wieder nach Bern zurückkehren können, verzichtete aber darauf. Die Beziehung zum Pflege- und Ärzteteam hier war so gut, dass es unnötigen Stress bedeutet hätte, in Bern in der Neonatologie ein neues Beziehungssystem aufzubauen», sagt Franziska Schär. Besonders in diesem intensivmedizinischen Bereich sei es eine Herausforderung, einen geschützten Raum zu schaffen. «Am Anfang schüchtert die Technik ein und alle sind in einem Zimmer. Wenn es einem Kind schlechter geht, bekommen das auch die anderen Eltern mit», beschreibt Franziska Schär.

Careteam statt Seelsorge

Beziehung ist das A und O in der KKJ. Nicht nur zwischen den Eltern, den Pflegenden und Ärzten, dem Seelsorgeteam und den Kindern und Eltern, sondern auch zwischen Spital und Seelsorgeteam. «Es gibt einen gesetzlichen Anspruch auf seelsorgliche Betreuung im Spital», erklärt Franziska Schär. Doch es gehe nicht einfach darum, auf diesem Anspruch zu beharren, sondern im Gespräch zu sein. Céline Gautier, Stationsleiterin der Neonatologie, bestätigt diese Aussage: «Wir sind sehr froh, dass Franziska Schär mit ihrer persönlichen Erfahrung durch ihre vier Kinder im Kinderspital arbeitet. Wenn Eltern den Wunsch haben, sich mit ihr zu unterhalten, kann dies sehr heilsam sein. Sie begegnet den Eltern auf Augenhöhe.»

Alle Seelsorgenden am KSA sind gleichzeitig auch Teil des internen Careteams. Sie sind als «Caregiver» nach dem Standard des Nationalen Netzwerkes Psychologische Nothilfe ausgebildet. Franziska Schär erklärt: «Besonders beim Notfall werden wir als Careteam aufgeboten. Konfession und Religion treten dabei in den Hintergrund, es geht darum, Eltern oder Angehörige in ihrem Stress und ihrer Angst aufzufangen und zu beruhigen. Ein Gespräch ist ganz oft erst möglich, wenn sich die Kinder stabilisiert haben. Die Sorge der Eltern ist gross, wenn sie mit ihrem Kind in den Notfall kommen», sagt Franziska Schär. Die Diplomierte Pflegefachfrau Selina Renggli, die auf der Neonatologie arbeitet, formuliert es so: «Die Eltern befinden sich während dem Spitalaufenthalt in einer Ausnahmesituation. Wenn sie aktiv in ihren Sorgen und Ängsten begleitet und unterstützt werden, kann der Aufenthalt erleichtert werden. Denn wenn die Eltern sich sicher und ernstgenommen fühlen, überträgt sich diese Ruhe auch auf das Kind.»

Mehr als Medizin

Ein weiterer Bereich der Arbeit sind die sogenannten «Ethischen Dialoge». Spital-Seelsorgende und Mitglieder des Ethikforums, die dafür ausgebildet sind, moderieren diese Dialoge, die sich um Fragen der weiteren Behandlung aus ethischer Sicht drehen. «Ein ethisches Gespräch moderiere ich allerdings im Fall der Neonatologie nur, wenn ich nicht befangen bin, weil ich beispielsweise die Eltern seelsorglich begleite», verdeutlicht Franziska Schär auch Grenzen ihrer Tätigkeit.

Akute Einsätze im Rahmen des Careteams, Gespräche mit Eltern auf der Infektiologie oder Neonatologie, Gespräche mit Pflegenden – auch aus anderen Kliniken des KSA –, Franziska Schär bringt sich als Seelsorgerin in vielen Momenten ins System Spital ein und ist damit ein Teil des Spiritual-Care-Konzeptes. Dieses gewinnt in Spitälern an Gewicht und anerkennt, dass eine rein medizinische Betrachtung des kranken Menschen zu kurz greift. «Manche Kinder kommen immer wieder», sagt Franziska Schär, «es entstehen Bindungen zwischen den Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und den medizinischen Fachleuten, den Pflegenden und Seelsorgenden auf der anderen Seite. Die Atmosphäre auf der KKJ ist speziell. Die Pflegenden schaffen hingebungsvoll eine Umgebung grösstmöglicher Geborgenheit. Ein Jugendlicher, der mit 18 von der KKJ auf die Erwachsenenstation wechseln musste, empfand das geradezu als Schock.»

 

Krankensonntag 2018

Alljährlich, meist am ersten Sonntag im März, gedenkt die Kirche in der Schweiz der Kranken. Der diesjährige Krankensonntag steht unter dem Motto «Zeit für mich – Zeit für dich – Zeit für uns». Bei aller Verschiedenheit von Krankheiten hätten doch alle gemeinsam, dass Diagnose, Akzeptanz, Heilung, Neuorganisation wegen und mit der Krankheit Zeit beanspruchen würden, heisst es im Faktenpapier zum Tag der Kranken 2018 auf der Seite des Vereins «Tag der Kranken». Das Wort der Schweizer Bischöfe, verfasst von Marian Eleganti, bezieht sich auf die Botschaft von Papst Franziskus zum diesjährigen Welttag der Kranken. Der Papst weist auf Maria, die Mutter Jesu, als Beispiel hin. Sie habe unter dem Kreuz dem Leiden standgehalten «ohne aufzuhören, an die Liebe und Weisheit der Ratschlüsse Gottes zu glauben». Es sei paradox, doch das Leiden sei für viele Christen ein Ort der Gottesbegegnung geworden, heisst es im Schreiben.

www.bischoefe.ch

www.tagderkranken.ch

 

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