17.05.2018

Der Beichtstuhl heute: Lädeli, Abstellraum und Notausgang

Von Anne Burgmer

  • seit Jahren verändert sich die Beichtpraxis. Statt der Einzelbeichte besuchen Menschen gemeinschaftliche Bussfeiern, Beichtgespräche oder Versöhnungswege. Mit Konsequenzen für den traditionellen Beichtstuhl.
  • Horizonte ging der Frage nach, wie denn die traditionellen Beichtstühle heutzutage noch verwendet werden und entdeckte Erstaunliches.

Wer in einer Kirche einen Blick in den Beichtstuhl wagt, sieht sich oft mit einem kreativ genutzten Abstellraum konfrontiert. Was zunächst ein Schmunzeln oder Kopfschütteln provoziert, ist Ausdruck einer «Umnutzung en miniature». Die Beichtpraxis hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert, die klassischen Beichtstühle werden kaum mehr benutzt.

«Beichten ist out»

«Beichten ist out» überschreibt das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) in St. Gallen die entsprechende Statistik für das Jahr 2016. Die Tabelle zeigt deutlich, regelmässige Beichtzeiten werden in den meisten Pfarreien des Bistums Basel praktisch nur noch zu kirchlichen Hochfesten angeboten. Vielerorts wird gar keine Beichtmöglichkeit für Erwachsene angeboten. Regelmässig –das heisst wöchentlich oder öfter, monatlich oder alle zwei bis drei Wochen – bieten nur insgesamt 89 Pfarreien beziehungsweise Pfarreiverbände Bichtmöglichkeiten an. Zwar gebe es keine langjährigen Beichtstatisiken, doch es sei kein Geheimnis, dass das Beichtsakrament in den letzten Jahrzehnten eine eigentliche Erosion erlebt habe, heisst es im erklärenden Begleittext zur Tabelle. Die Erosion gründe sowohl in der fehlenden Nachfrage als auch im teilweisen Rückgang der Priesterzahlen.

Vasen, Staubsauger und Co

Wenn die Beichtstühle nicht mehr als solche genutzt werden, liegt eine pragmatische Verwendung nahe. Sei es, dass im Verenamünster in Bad Zurzach ein Schreiner Bretter einzog und der Beichtstuhl eine Zeitlang zum «Verenalädeli» wurde oder dass Sakristane die kleinen Räume als Lager für Vasen, Weihnachtsdekorationen oder Staubsauger verwenden. Auch themenbezogene Lagerung kommt vor: In einer Kirche im Dreiländereck wird die Taizé-Ikone für das regelmässige Taizé-Gebet im Beichtstuhl aufbewahrt. Die Beichtpraxis hängt vielfach am Pfarrer einer Gemeinde. Bietet er regelmässige Beichtzeiten an oder nicht. Meist werden gemeinschaftliche Versöhnungsfeiern organisiert oder Versöhnungswege angeboten.

Es braucht einen gewissen Druck zur Versöhnung

Der Blick in den Pastoralraum Aargauer Limmattal offenbart verschiedene Herangehensweisen: Martin von Arx, Katechet und Jugendarbeiter in der Pfarrei Neuenhof, macht mit dem Versöhnungsweg gute Erfahrungen. An einem Mittwoch im Jahr werde dieser für die Schüler der 4. Klasse angeboten, am folgenden Donnerstag und Freitag für die Firmlinge (Jugendliche ab 17 Jahren). «Die Eltern der Schülerinnen und Schüler und die Paten der Firmlinge begleiten sie. Die Reaktionen auf den Versöhnungsweg sind eigentlich immer positiv.» Es sei eine schöne Erfahrung. Bei den Firmlingen, die den Weg mit ihren Firmpatinnen und -paten gingen, kämen in der Regel gute Gespräche zustande, präzisiert Martin von Arx. Er sagt aber auch, dass die Leute nicht von sich aus kämen, da sie diese Möglichkeit des Umgangs mit Schuld und Versöhnung heutzutage nicht mehr kennen.

In den Wettinger Pfarreien Sankt Anton und Sankt Sebastian sowie in Würenlos werden Einzelbeichten zu jeder Zeit angeboten. Ulrike Zimmermann, Gemeindeleiterin ad interim, verweist auf die Telefonnummern, die im Horizonte veröffentlicht werden. «Unsere Pfarreisekretariate vermitteln ausserdem den Kontakt zu einem Priester. In allen drei Pfarreien werden jeweils in der Fasten- und in der Adventszeit pro Pfarrei je eine Buss- und Versöhnungsfeier angeboten», erläutert Ulrike Zimmermann. Die Seelsorgerin macht deutlich: «Ob und wenn ja welche Gegenstände in den Beichtstühlen gelagert werden, bespricht der zuständige Hauswart oder Sakristan mit der Leitung der Pfarrei».

Elegant umgenutzt: Als Notausgang

Trotz des Beichtangebots werden in Sankt Sebastian und Sankt Anton in Wettingen die traditionellen Beichtstühle nicht mehr als solche genutzt. In Sankt Anton schon so lange, dass einer der Beichtstühle zum Notausgang umgenutzt wurde. Reto Nussbaumer, Denkmalpfleger des Kantons Aargau wirft einen Blick in die Akten: «Im Jahr 2000 wurde eine Innenrenovation der 1954 eingeweihten Kirche notwendig. Die Beichtstühle werden bereits in den damaligen Planunterlagen als Lagerraum bezeichnet. Der Beichtstuhl an sich wurde dann so belassen und ein Durchbruch nach Aussen gemacht. Das ist eine sehr gelungene Umnutzung, die elegant das Innenbild der Kirche bewahrt. Unter Schutz gestellt wurde Sankt Anton dann 2007». Wenn ein Beichtstuhl bauzeitlich sei, also von Anfang an ins Gesamtbild der Kirche gehöre, empfehle man, diesen zu belassen, so Reto Nussbaumer. Nachträglich eingebaute Beichtstühle würden teilweise entfernt.

Beichtzimmer ersetzen Beichtstuhl

Genau dies geschah in Sankt Mauritius in Berikon im Zuge der Renovation in den Jahren 2009 und 2010. «Das war ein bewusster Entscheid aufgrund der veränderten Beichtpraxis. Statt der beiden früheren Beichtstühle haben wir in Sankt Mauritus nun ein Beichtzimmer. Darin befindet sich eine Kniebank vor einem Paravent. Das ist für alle, die eine klassische Beichte ablegen wollen. Menschen, die lieber das direkte Gespräch wünschen, können um den Paravent herumgehen und auf einem der Stühle Platz nehmen», erklärt Michael Jablonowski, Pastoralassistent im Pastoralraum am Mutschellen. Gleichzeitig gebe es auf der anderen Seite einen extra Abstellraum für Putzutensilien, Vasen und Co.

Beichte an Wallfahrtsorten nach wie vor gefragt

Beichtstühle werden nicht mehr benötigt; die Veränderung weg von der Einzelbeichte hin zu Versöhnungsfeiern schlägt sich auch in der Statistik des SPI nieder (die entsprechende Tabelle findet sich in der Fotogalerie). Die Schätzzahlen verdeutlichen, dass es fünfmal mehr Teilnehmende an Versöhnungsfeiern als an Beichten gebe. Dass sich das Sakrament der Busse und Versöhnung verändert, veranlasste die Schweizer Bischofskonferenz bereits 2007 dazu, ein Impulspapier zu verfassen. Darin wird der Fokus auf die Einzelbeichte gelegt, die vorrangig in der Pfarrei abzulegen sei. Wo das nicht möglich sei, könne über einen zentralen Beichtort im Dekanat* nachgedacht werden. Auch Klöster könnten die Funktion dieser Beichtzentren erfüllen. In Einsiedeln beispielsweise gibt es eine grosse Beichtkapelle, in der mehrere Beichthäuschen zur Verfügung stehen und Benediktinerpatres den Versöhnung suchenden Pilgern das Sakrament spenden. Doch für die zwei grundlegenden Herausforderungen bietet auch das Papier keine wirkliche Lösung: Das veränderte Bewusstsein in Bezug auf das Beichtsakrament und die Tatsache, dass das Sakrament an einen Priester gebunden ist. Und die, so heisst es in einem Pfarrsekretariat halb belustigt, halb resigniert, könne man nicht herzaubern.

*Mittlerweile ist die Auflösung der Dekanate zumindest im Bistum Basel beschlossen.

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