07.05.2020

Beinwil im Freiamt: Mit einer Mauer gegen Corona

Von Andreas C. Müller

  • Seit dem Weissen Sonntag steht hinter der Kirche in Beinwil im Freiamt eine kleine Klagemauer, an der Menschen alles, was sie beschäftigt, aufschreiben und deponieren können.
  • Errichtet hat die Klagemauer Mirjam Koch aus Hitzkirch. Horizonte hat mit der Religionspädagogin gesprochen.

 

Frau Koch, Sie haben in Beinwil im Freiamt eine kleine Klagemauer errichtet. Welchem Zweck soll die Mauer dienen?
Mirjam Koch: Aktuell haben wir ja schon eine schwierige Zeit, die es zu überstehen gilt. Ich hatte eigentlich vor, dieses Projekt zur Fastenzeit zu lancieren, damit die Menschen während dieser Zeit der Einkehr ihre Sorgen, aber auch Freudvolles, wofür sie dankbar sind, deponieren können. Aber dann kam die Corona-Pandemie und ich musste mich zuerst mit anderen Herausforderungen beschäftigen.

Wie kamen Sie auf die Idee mit der Klagemauer? Das entstammt ja der jüdischen Tradition.
Ich war früher im Raum Luzern tätig. Dort habe ich das mit der Klagemauer kennengelernt – aus der Arbeit mit Primarschülern. Das war sehr schön – sowohl für die Projektleitenden, als auch für die Menschen aus der Pfarrei. Und ja: die Klagemauer entstammt der jüdischen Tradition. Aber es geht nicht darum, unseren jüdischen Mitmenschen «Konkurrenz» zu machen oder ihre Tradition zu kopieren. Vielmehr geht es um das Bild der Mauer. Eine Mauer kann Schutz bieten, Grenze sein. Vielleicht ist der Name «Klagemauer» etwas unglücklich gewählt, aber die Menschen können sich etwas darunter vorstellen.

Schliesslich haben Sie die Mauer doch noch realisiert – und nicht nur für Primarschüler.
Ja, ich habe mich im Verlauf der letzten Wochen auf das Projekt besonnen – auch weil es bei uns in der Pfarrei noch keine speziellen Projekte als Antwort auf die mit der Coronakrise verbundenen Einschränkungen gab. Ich habe meine Idee der Kirchenpflege vorgestellt; die fanden das grossartig und haben mich ermuntert, das umzusetzen.

Wie gross ist denn die Mauer?
Nicht sehr gross. Ungefähr zwei Meter auf einen Meter.

Wer hat die Mauer gebaut?
Ich wollte sie zunächst mit meinen Schülern und Schülerinnen aus dem Religionsunterricht bauen, aber der Religionsunterricht fiel ja aus, und die Schülerinnen und Schüler haben mit der momentanen Situation genug zu tun. So habe ich die Mauer allein gebaut – mit Steinen aus dem Garten meiner Mutter. Verwendet habe ich Backsteine, Sandsteine und runde Steine – um zu zeigen, dass auch unsere Freuden, Ängste und Zweifel ganz verschieden sind.

Wenn da jetzt jemand etwas hinterlegen möchte, muss er seinen Zettel selbst mitbringen?
Nein, ich habe eine Box mit einem Stift und Zetteln hinterlegt. Wenn man aber keine Worte findet, dann darf man auch einen Stein, ob gross oder klein, hinlegen.

Wie rege wird das Angebot genutzt?
Ich gehe jede Woche kurz vorbei. Hierbei durfte ich feststellen, dass immer einige neue zusammengeknüllte Zettel hinzukamen. Auch einen bemalten Stein habe ich dort schon gefunden.

Haben Sie Rückmeldungen von Menschen?
Ja, kurze SMS von verschiedenen Personen, die mich kennen – von Schülerinnen und Eltern und anderen… Es wird geschätzt, dass es so etwas gibt.

Wie lange soll die Mauer stehen?
Sicher bis Pfingsten – oder bis wir wieder gemeinsam Gottesdienst feiern dürfen.

Ist ein gemeinsamer Abschluss geplant?
Ja. Sobald wir wieder gemeinsam feiern dürfen, werden die Zettel eingesammelt und in einem Feuer mit Weihrauch verbrannt und in Licht und Wärme verwandelt. Schön wäre, wenn das an Pfingsten stattfinden könnte, weil das gut zum Fest des Heiligen Geistes passt. Und je nach Situation wäre es schön, die Mauer mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam abzubauen.

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