29.12.2022

Bibliodrama kann neue Dimensionen des Glaubens eröffnen
Biblische Rollenspiele öffnen den Zugang zum Text und zum Ich

Von Christian Breitschmid

  • Seit 22 Jahren vermittelt die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge einen ganz besonderen Zu- und Umgang mit biblischen Texten.
  • Eine Ausbildung, die Fachleuten der praktischen Seelsorge neue Wege eröffnet, um die Bibel erlebbar zu machen.
  • Durch Rollenspiele lernen die Teilnehmer mehr über biblische Figuren und über sich selber.

Biblische Texte sind für heutige Menschen oft schwer zu verstehen. Das liegt zum einen an der Sprache, die zahlreiche Wörter und Formulierungen aufweist, die heute nicht mehr gebräuchlich sind. Zum anderen spielen die biblischen Geschichten in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die die meisten Leser der Gegenwart weder nachvollziehen noch richtig interpretieren können. Was kann man also tun, um die lehrreichen und wichtigen Texte der Bibel nicht ungenutzt oder unverstanden in irgendeinem Bücherregal verstauben zu lassen? Auf diese Frage fand die Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge im Jahr 2000 eine ebenso einfache wie überzeugend wirkungsvolle Antwort: das Bibliodrama.

Dem Familienstellen ähnlich

Vielleicht ist dem einen oder anderen Leser die psychologische Therapiemethode des Familienstellens ein Begriff. Da werden Personen in einem Raum placiert, die stellvertretend für real existierende Familienmitglieder eines Patienten von dessen Therapeuten befragt, je nachdem auch umplaciert und zum Austausch mit dem Patienten angeregt werden, um tief liegende Verletzungen, Missverständnisse oder andere Belastungen der Seele endlich aussprechen und dadurch letztlich überwinden zu können. So ähnlich kann man sich eine bibliodramatische Veranstaltung vorstellen.

«Wobei es aber schon einen Unterschied gibt», räumt Claudia Mennen, Ausbildnerin in Bibliodramaleitung an der Wislikofer Schule für Bibliodrama, ein. «Beim Familienstellen bleibe ich in meinem eigenen Familien- und Psychodrama. Beim Bibliodrama spiele ich im Rahmen einer Geschichte. Das heisst, da werden Themen eingetragen, die nicht zu meiner Erfahrungswelt gehören. Und vor allem steht das Thema Gott und Glaube beim Bibliodrama im Zentrum, mit Gott als riesengrossem Gastgeber, der nicht auf das Ansehen der Person schaut und sich schon gar nicht von Sündern abwendet. Wir arbeiten dabei schon mit einigen Strukturmerkmalen, die Ähnlichkeit haben mit dem Organisations- oder Familienstellen, aber wir machen kein Psychodrama. Wir sind auch keine Therapeuten, sondern wir sagen, wir sind Seelsorgende.»

Für Seelsorgeprofis

Neben Mennen, bekannt im Kirchenaargau als Leiterin der Fachstelle Bildung und Prop​stei, bilden seit der Gründung der Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge auch noch Sabine Tscherner und Nicolaas Derksen neue Bibliodramaleiter aus. Unterstützt werden sie dabei von den Theologen und Bibliodramaleitern Detlef Hecking, Esther Rüthemann und Nadia Rudolf von Rohr. Die Ausbildung, die in Kooperation mit dem Theologisch-pastoralen Bildungsinstitut der deutschschweizerischen Bistümer (tbi) durchgeführt wird, dauert zweieinhalb Jahre und richtet sich an bereits beruflich in der Seelsorge tätige Theologen, Religionspädagogen, Jugendarbeiter et cetera.

Das Bibliodrama als «Instrument der Rezeptionsästhetik» und als «Form der angewandten Exegese», wie es Mennen beschreibt, sei eine hervorragende Methode, um die biblischen Texte als unerschöpfliche Ressource des Glaubens neu zu entdecken, Kraft daraus zu schöpfen und die eigene Identität zu nähren. Das sei in der aktuellen Situation, in der sich die Kirche befindet, wichtiger denn je: «Die Seelsorgenden werden immer mehr zu Administratoren und Managern. Viele verlieren dadurch ihre Spannkraft und Energie. Die Beschäftigung mit ganz existenziellen Fragen im Bibliodrama vermittelt Befriedigung und Tiefe. Das fördert auch die Widerstandskraft im Beruf.» Unter www.bibliodramaundseelsorge.ch erfährt man mehr darüber, was einem die Bibel sagt, wenn man mit seinem eigenen Ich zu einer ihrer Figuren wird.

Bibliodrama-Tagung

Am 28. März 2023 veranstaltet das Theologisch-pastorale Bildungsinstitut in Zürich eine Tagung rund um das Thema Bibliodrama als pastorales Instrument unter dem Titel «Bin ich der Hüter meines Bruders?». Impulsvorträge und Ateliers zeigen, wie Bibliodrama einen Beitrag leisten kann zur Identitätsfindung und Beziehungsfähigkeit sowie zu einer zukunftsfähigen Pastoral. Anmeldung und Informationen unter www.tbi-zh.ch.

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