17.01.2023

Zum zehnten Mal findet der Veganuary, der vegane Januar statt
Katholisch und darum vegan

Von Eva Meienberg

  • In der Bibel ist der Umgang mit den Tieren von Gewalt geprägt.
  • Theologin Simone Horstmann aber steht für eine Theologie der Tiere.
  • Vegan sein ist für sie deshalb kein Verzicht, sondern religiöse Überzeugung.

Simone Horstmann, sind Sie Veganerin?
Simone Horstmann:
Ja, wobei ich diesen Begriff nicht mag.

Wieso nicht?
Der Begriff polarisiert so stark, dass er kaum hilfreich ist – ich spreche meist nur davon, dass ich mich pflanzlich ernähre.

Seit wann sind Sie Veganerin und warum sind Sie es geworden?
Ich habe mit sieben Jahren beschlossen, dass ich kein Fleisch mehr essen wollte. Ich würde gerne sagen, dass das moralische Gründe hatte, aber damals war es mir einfach auf einer körperlichen, auf einer Gefühlsebene zuwider. Im Studium kam ich in Kontakt mit vegan lebenden Studierenden. Ich habe mich mit der Milchindustrie auseinandergesetzt und gesehen, was wir den Tieren antun. Das war für mich der Anstoss, vegan zu werden. Ich wollte das, was ich als Vegetarierin begonnen hatte, nun konsequent weiterführen.

Veganuary, der vegane Monat

In der Schweiz findet zum vierten Mal (international zum zehnten Mal) der Veganuary statt. Der vegane Monat wird von der Veganen Gesellschaft Schweiz durchgeführt. Interessierte registrieren sich kostenlos auf der Seite veganuary.ch und erhalten einen täglichen Newsletter mit Alltagstipps, Hintergrundinformationen und Rezepten für eine vegane Lebensweise. Die Vegane Gesellschaft Schweiz hofft, dass sie 2023 weltweit 3 Millionen Teilnehmende seit Beginn der Kampagne im Januar 2014 erreicht.

Die vegane Bewegung nennt ökologische und tierethische Gründe für eine vegane Lebensweise. Gibt es auch religiöse Gründe?
Wir sollten diese vermeintlich säkularen Gründe auch als religiöse Gründe anerkennen, sie sind einfach zu wichtig. Ein möglicher Mehrwert religiöser Zugänge könnte allerdings darin bestehen, dass Religionen nicht neue Gründe, eher neue Wahrnehmungen ermöglichen: Als Christinnen schauen wir auf die Natur und sehen die Schöpfung. Die Religion verhilft zu einer anderen Wahrnehmung der Wirklichkeit, wirft ein anderes Licht auf sie.

Haben Sie ein Beispiel für diese andere Wahrnehmung?
Viele halten eine vegane Ernährung für eine radikale Form des Verzichts. Für mich ist es aber kein Verzicht, sondern eine andere Wahrnehmungsweise. Aufgrund meiner religiösen Überzeugung nehme ich Tiere anders wahr: Sie sind von einer blossen Ressource zu etwas nicht mehr Essbarem geworden.

Diese Theologie scheint mir aber nicht die vorherrschende Tradition zu sein?
Nein, wir stehen in einer Tradition, die Tiere verobjektiviert hat, sie als minderwertig, verwert- und essbar wahrnimmt. Dogmatisch gesehen, werden die Tiere sogar als vernichtbar angesehen. In der vollendeten Wirklichkeit der klassischen Theologie fehlen die Tiere. Die Tiere werden oft auch als das Andere aufgefasst. Gerade diese Andersartigkeit von Tieren kann aber auch eine theologische Ressource sein.

Inwiefern?
Weil wir so häufig die Andersartigkeit von Tieren erleben, doch nur schwer ertragen: Diese Erfahrungen fordern uns heraus, oft überfordern sie uns. Wir verstehen die Tiere nicht, wir müssen mit ihrem Leiden und Sterben klarkommen. Die einen Menschen reagieren mit Gewalt auf diese Überforderung, andere mit anstrengenden, kleinteiligen Annäherungsbewegungen. Der Herrschaftsauftrag in der Genesis 1,28 erkläre ich mir so, dass hier Gewalt empfohlen wird, um der Unordnung dieser anderen Welt Herr zu werden.

Warum steht in der Einheitsübersetzung der Bibel aus dem Jahr 2016 nichts mehr von herrschen?
Die Bibelexegese hat in den letzten Jahrzehnten dazu tendiert diesen Vers abzuschwächen. Sie argumentiert, die hebräischen Begriffe «kabash» und «radah»  seien gar nicht so gewaltvoll. Damit versucht die Exegese, die Tradition zu verteidigen. Ich möchte die Gewalt in den Texten hingegen herausstreichen, sichtbar machen, sogar nach ihr suchen. Meine theologische Strategie ist es, die Gewalt in den Texten stark zu machen, um sie im wirklichen Leben abzuschwächen.

Simone Horstmann

Die Theologin Simone Horstmann (39) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am theologischen Institut der Technischen Universität Dortmund. Im Bereich der Theologie der Tiere hat sie mehrere Buchprojekte realisiert. 2021 ist «Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen. Eine theologische Spurensuche» erschienen.

Wie sieht eine Theologie aus, die die Gewalt in der Tradition anerkennt?
Ich erkläre es Ihnen am Beispiel der Wundmale des auferstandenen Christus’. Langezeit hat man mit der Darstellung der Wundmale am Auferstehungsleib von Christus gerungen. Die Erklärung war dann, dass die Wundmale zeigen sollen, dass die Gewalt, die Christus erlitten hat, nicht einfach getilgt wird. Sie wird dadurch geheilt, dass die Wundmale sichtbar bleiben – aber schmerzlos. Ich erhoffe mir, dass eine vergleichbare Anerkennung der Gewalt in den Texten dabei hilft, das ganz reale Verhältnis zu den Tieren zu heilen.

Was meinen Sie mit dem Mythos der erlösenden Gewalt?
Der Begriff stammt vom amerikanischen Theologen Walter Wink. Wink ist überzeugt, dass unsere Gesellschaft geprägt ist von der Vorstellung, dass durch die Anwendung von Gewalt, Gutes entstehen kann. So wie bei James Bond, der mit Gewalt die Welt rettet. Auf den ersten Blick habe diese Vorstellung viel gemeinsam mit Christus am Kreuz, der durch sein Opfer die Welt erlöst, sagt Walter Wink. Dieses Opfer sei aber ein Selbstopfer. Gerade in vielen säkularen Kontexten kann man beobachten, dass beide Motive vermischt werden: Wir reden dann davon, dass Tiere ihr Leben in Tierversuchen opfern, dass sie Milch geben oder Fleisch liefern – stets unterstellen wir ihnen ein freiwilliges Opfer. Das ist offensichtlich absurd: Tiere opfern sich nicht. Sie stellen auch nicht ihren Körper in den Dienst der Wissenschaft. Sie geben keine Milch, sondern ihnen wird die Milch genommen. Solchen Deutungen sollten also gerade Theologinnen und Theologen widersprechen.

Es gibt also gute theologische Gründe, aufs Fleischessen zu verzichten.
Die gibt es, aber die haben oft wenig Wirkung. Die Interessen der Tiere motivieren die Menschen zu wenig, um ihr Verhalten zu ändern. Die Wahrnehmung der Menschen muss sich ändern. Da bieten literarische Texte, auch die biblischen Texte die Möglichkeit, zu einer anderen Wahrnehmung der Tiere zu kommen.

Könnte man sogar argumentieren, dass aus christlicher Sicht auf das Fleischessen verzichtet werden soll.
Wenn Sie aus einer christlichen Sicht die Tiere nicht mehr als minderwertig, verwert- und essbar anschauen, dann würden Sie in der Konsequenz keine tierischen Produkte mehr essen.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.