20.07.2017

Cooler Beton für heisse Tage

Von Anne Burgmer und Andreas C. Müller

An heissen Sommertagen ist es im Inneren einer Kirche schön kühl. Darüber hinaus kann der Besuch in den fünf Aargauer Betonkirchen von Aarau, Buchs, Ennetbaden, Suhr und Wettingen (Anton) für Architekturinteressierte zu einem richtig coolen Erlebnis werden. Horizonte machte die Probe aufs Exempel und liess sich die Schmuckstücke vom leitenden Denkmalpfleger des Kantons Aargau, Reto Nussbaumer, zeigen. Wir beginnen mit Aarau und Ennetbaden.

Jubla-Jugendliche lagern im Hof zwischen offenem Pfarrhaus Aarau und der Kirche Peter und Paul. Es ist düppig, der Himmel wolkenverhangen. Der erste Eindruck im Inneren von Peter und Paul ist: Weite. Nichts verstellt die Sicht zum Altar, das Auge darf frei umherschweifen und einzig der Farbverlauf der Fenster lenkt den Blick ein wenig gen Altar. Ein Raum, wie ein leerer Schuhkarton.

Kühne Konstruktionen mit altem, neuem Werkstoff

Reto Nussbaumer nimmt diesen Eindruck amüsiert zur Kenntnis. Er zückt verschiedene, grossformatige Bilder und Ausdrucke. «Der Innenraum, so wie Sie ihn hier sehen, ist nicht immer so gewesen. Vorne gab es links und rechts schmale Wände vom Boden bis zur Decke, die den Hauptraum abtrennten und einen Chorbereich schufen», erklärt Reto Nussbaumer, bevor er einen kurzen Abriss über die Geschichte des sakralen Betonbaus lenkt.

Das Material an sich hätten bereits die Römer gekannt und verwendet. Der Beton, wie wir ihn heute kennten und verwendeten, gehe auf das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. In Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde mutig mit Beton als Baustoff für Kirchen gearbeitet, unglaublich schlanke und hohe Säulen tragen das Gewicht der Decke. Man mag beim Blick auf die Fotos kaum glauben, dass es hält. Von Frankreich aus verbreitete sich der Trend über die Nachbarländer. Hielten die konventionell gebauten Kirchgebäude durch Druck, also pure Schwerkraft, zusammen, veränderte sich die Herangehensweise und die Architekten begannen die Eigenschaften des Betons mit eingelegten Armierungseisen zu verbessern. So konnte der Beton zusätzlich Zugkräfte aufnehmen, um alles stabil zu machen: Ortsbeton nennt man das, Peter und Paul in Aarau wurde so gebaut.

Aarau: Sonderbaubewilligung in Kriegszeiten

Von 1938 bis 1940 – in einer Zeit, in der der drohende Weltkrieg kaum zu Neu-Bauten motivierte – bauten die Aarauer Katholiken also eine neue Kirche. Die alte Kirche, deren Standort jenseits des Kasernenareals an der Kasinostrasse lag, war zu klein geworden. «Die Planer der Kirche in Aarau hatten Glück. Wer während des 2. Weltkrieges in Stahlbeton bauen wollte, brauchte eine bundesrätliche Bewilligung, weil das Material für den Bunkerbau benötigt wurde», weiss Reto Nussbaumer.

Während die Verwendung von Beton aufgrund der harten Zeiten sanktioniert wurde, erlaubten es die gleichen Umstände, dass die Kirche mehr sogenannten Bauschmuck erhielt. «Die sehr klare und konsequente Entwurfshaltung der Moderne hatte man schon hinter sich. Man stellte die Frage, ob man nicht ‚menschlicher‘ bauen könne. Die Weltlage war ja hart genug», erklärt Reto Nussbaumer. Was er mit Bauschmuck meint, zeigt er aussen: Geschwungene schmiedeeiserne Fenstergitter an der Sakristei, mit Kreuzen geschmückt. «In der strengen Phase der Moderne hätte das strikter ausgesehen», sagt Reto Nussbaumer und zeichnet mit schnellen Bewegungen ein schlichtes Gitter in die Luft.

Unterschutzstellungsverfahren kurz vor Abschluss

Es sind einerseits Details, die Peter und Paul spannend machen: So gibt es eine architektonisch ausgestaltete Hierarchie zwischen dem ehemaligen Haupteingang, welcher einen aussen aufgesetzten Rahmen hat, und dem Eingang zu Sakristei, der ein schlichtes, in die Wand eingelassenes Türgewände besitzt. Die Griffe der beiden Türen sind Einzelanfertigungen, nach dem Entwurf des zuständigen Architekten Werner Studer. Andererseits fasziniert die Gesamtanlage. Die Passerelle, parallel zur Poststrasse, verbindet mutig die neue, moderne Kirche mit der alten Industriellenvilla, die heute das offene Pfarrhaus beherbergt. Wieder im Inneren, wird die Vielfalt der verwendeten Materialien deutlich: Verschiedene Hölzer, glänzender schwarzer Marmor, grauer Stein, Chromleuchter, Bronze bei Altar, Ambo, Tabernakel und Weihwasserbecken.

Zweimal erlebte der Innenraum von Peter und Paul Veränderungen. Zunächst 1984. Der Haupteingang wurde zum Innenhof zwischen Kirche und Pfarrhaus verlegt und – optisch ein grosser Eingriff – das wellenförmige Gewölbe wurde aus akustischen Gründen teilweise mit einer abgehängten Decke versehen. Dann nochmals 2004, nachdem ein Brand den Kirchenraum in Mitleidenschaft gezogen hatte. Die beiden trennenden Wandscheiben zwischen Altar- und Hauptraum wurden entfernt, der Boden einheitlich belegt, neues sakrales Inventar gebaut. Der Raum erhielt seine heutige Weite und Materialvielfalt. 2008 schliesslich stufte die kantonale Denkmalpflege den Kirchenbau als schützenswert ein. Faktisch steht die Betonkirche, die nur im Turminneren und im Dachgeschoss ihre wahre Konstruktion ganz ungeschminkt zeigt, noch nicht unter Denkmalschutz. Doch ist das Unterschutzstellungsverfahren ist kurz vor dem Abschluss, für eine weitere Betonkirchenperle im Aargau.

Ennetbaden: Der «Briefkasten Gottes»

Letzten August feierten die Ennetbadener den 50. Geburtstag ihrer Kirche: Ein architektonisches Meisterwerk, erschaffen im Aufwind des Zweiten Vatikanums. Historisch kühn provozierte der kubische Betonbau mit seiner besonderen Lichtführung im Inneren die Gemüter: «Obstharasse» oder «Briefkasten Gottes» – Die Ennetbadener zeigten sich mit Übernamen überaus findig, schlossen aber gleichwohl ihre neue Kirche alsbald ins Herz.

Die Planungs- und Baugeschichte, an dessen Ende schliesslich am 14. August 1966 im Beisein von Bischof Franziskus von Streng ein dreistündiger Weihegottesdienst stand, gestaltete sich jedoch schwierig. Renata Wetzel, 67-jährig, in Ennetbaden aufgewachsen und seit 50 Jahren im Kirchenchor aktiv, erinnert sich: Seit den 1930er Jahren wurde in Ennetbaden Geld für einen Kirchenneubau gesammelt. Dieser sollte die alte Kapelle ersetzen, doch mochte man sich nicht auf einen Standort einigen.

Vom Basler Stararchitekten Hermann Baur erbaut…

«Wo kommt sie hin? Was ist der beste Platz? Das war ein Riesenstreit», erklärt Renata Wetzel. Entscheidend sei aber gewesen, «dass es gelang und wir eine eigenständige Pfarrei mit einem eigenen Pfarrer wurden.» In den kommenden Jahren, so Renata Wetzel, sei es dann darum gegangen, für die Frauen den Platz in der Kirche zu erkämpfen. «Es gab lange Zeit ein starkes konservatives Lager. Für die war nur die traditionelle Euchariste-Feier etwas wert.» Entsprechend brauchte es Zeit, bis Frauen sich als Lektorinnen einbringen und Mädchen ministrieren konnten. Dass Ennetbaden mit Silvia Guerra von 1998 bis 2010 endlich eine Pastoralassistentin bekam, erfüllt Renata Wetzel noch heute mit grosser Genugtuung.

Am heuten Standort, dem Holdener-Platz, gab es beim Bau auch topografische Herausforderungen, die das Bauvorhaben verzögerten und verteuerten. Dass als Siegerprojekt der Vorschlag des schweizweit bekannten modernen Sakralarchitekten Hermann Baur reüssierte, sorgte ebenfalls für Diskussionen, doch die Verantwortlichen in Baukommission und Kirchenpflege – allen voran der Zuger Kirchenarchitekt Hanns A. Brütsch (u. a. Erbauer der Kirchen in Suhr und Buchs) – vermochten für das Projekt bei den Leuten mit viel Fingerspitzengefühl Begeisterung zu wecken.

…und vom umstrittenen Maler Ferdinand Gehr geschmückt

Auch bei der Gestaltung des Inneren liessen sich die Ennetbadener vom modernen Zeitgeist des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) leiten. Augenfällig wird dies beispielsweise anhand des von Ferdinand Gehr gestalteten Wandteppichs, der Jakobsleiter. Noch in den 1950er Jahren provozierte die Gestaltung eines Altarbildes durch Ferdinand Gehr in Wettingen die Weigerung des damaligen Bischofs (übrigens ebenfalls Franziskus von Streng), die dortige Kirche zu weihen, weshalb das Werk übermalt werden musste. In den 1960er Jahren hatte das Zweite Vatikanum den unversöhnlichen Kampf der katholischen Kirche gegen die Moderne jedoch beendet, weshalb Ferndiand Gehrs Kunst in Ennetbaden willkommen war.

 

Horizonte-Sommerserie 2017: Wie geht’s weiter?

Betonkirchen sind umstritten. Fünf entsprechende Gebäude stellen wir in der diesjährigen Sommerserie vor. In der kommenden Print-Ausgabe von Horizonte gibt es einen Beitrag zur Kirche in Buchs, die selbstverständlich auch online gelesen werden kann. Auf unserem Webportal stellen wir darüber hinaus in den nächsten Wochen die Kirchen in Suhr und Wettingen (Anton) vor. Einfach immer mal wieder bei uns vorbeischauen.

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