24.08.2014

Das christliche Profil schärfen

Von Anne Burgmer

Zwei Türsteher empfangen die Leute. Nein, keine finster dreinblickenden Sicherheitsmänner mit Knopf im Ohr, die über Eintreten oder Draussenbleiben entscheiden. Am Eingang der Neuapostolischen Kirche in Baden stehen zwei freundliche Herren, reichen jedem die Hand und heissen die Kirchgänger willkommen. Damit beginnt der Gottesdienst der Neuapostolischen Kirche (NAK) eigentlich schon vor dem Betreten des Kirchenraums.

Ein Neuapostolischer Gottesdienst, wie ihn die NAK-Gemeinde Baden-Wettingen an diesem Abend feiert, ist ein Gesamtkunstwerk. Der Chor ist dabei jenes Element, das Aussenstehenden besonders auffallen wird: Unversehens erhebt sich ein Teil der Gemeinde aus den Bänken, klappt das Gesangsbuch auf und beginnt mehrstimmig zu singen. «Jede NAK-Gemeinde hat ihren Chor, der Chorgesang ist fester Bestandteil des Gottesdienstes», erklärt Gaby Gühring. Sie wirkt selber als Dirigentin und Sängerin, früher erteilte sie auch Sonntagsschul- und Religionsunterricht. Der Unterricht für die Kinder findet im gleichen Gebäude statt wie die Gottesdienste, die Kirchen der Neuapostolischen Gemeinden sind – salopp formuliert – religiöse Mehrzweckgebäude.

Zeitgleich Entstehung
In Baden befindet sich der Gottesdienstraum im Obergeschoss. Hell, schlicht, mit Holzbänken, wie man sie in vielen katholischen Kirchen findet. Auch die Feier weist zahlreiche «katholische» Elemente auf. Die NAK versteht sich als Nachfolgerin der katholisch-apostolischen Gemeinden. Entstanden waren diese in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England. Der Hirte und Vorsteher der NAK-Kirchgemeinde Baden-Wettingen, Hansruedi Herter, betont: «Speziell an der Entstehungsgeschichte der NAK ist, dass ihre Gründung nicht von einer Person ausging, sondern sie fast zeitgleich überall auf der Welt entstand. Die Menschen hatten das Bedürfnis, dass der Heilige Geist wieder stärker wirke.»

Gelebte Seelsorge
Sterbebegleitung, Seelsorge und persönliche Begleitung leistet der Priester. Das Priesteramt ist eine Berufung. Ein Gemeindemitglied wird von anderen Priestern für das Amt angefragt. «Es erschrickt, glaub’ ich, jeder, der angefragt wird, oder?» fragt Gaby Gühring in die Runde. Denn das Priesteramt ist eine (zeit-)intensive Aufgabe, die neben einem «zivilen» Vollzeitjob Platz finden muss. Bezirksevangelist André Stutz, der zusammen mit vier Kollegen für 18 Kirchgemeinden mit 4800 Gläubigen verantwortlich ist, relativiert: «Die Seelsorge ist ein Prozess, in den die ganze Gemeinde involviert ist – das funktioniert, weil unsere Gemeinde aus aktiven Kirchgängern besteht. Man trifft einander und merkt, wenn jemand Hilfe braucht, kann fragen, wie es dem anderen geht.»

Bibelstelle zeigt die Richtung
Für Gemeindevorsteher Hansruedi Herter war seine Berufung ins Priesteramt ein prägendes Erlebnis: Seelsorger hatten ihm ihren Besuch angekündigt. Um sich vorzubereiten, las er in der Bibel und stiess auf die Stelle im Johannesevangelium, wo Jesus Simon Petrus fragt: «Hast du mich lieb?» (Johannes 21,15-17) Dreimal stellt Jesus diese Frage. Und Hansruedi Herter sagt heute: «Diese Bibelstelle hat mich in jenem Moment sehr berührt und mir die Richtung gezeigt. Eine Berufung ist emotional und die Entscheidung fällt mit Hilfe des Glaubens.»

Rasante Entwicklung
Im April dieses Jahres unterzeichnete die Neuapostolische Kirche zusammen mit sechs weiteren Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK) die gegenseitige Anerkennung der Taufe. André Stutz erinnert sich: «Als Kind habe ich die Zeiten noch erlebt, als wir als Sekte oder «Stündeler» bezeichnet wurden. Das hat sich geändert, unsere Kirche hat einen grundlegenden Wandel durchgemacht.» Auch der Presseverantwortliche der NAK, Simon Werren, sieht in diesem Schritt eine wichtige Öffnung seiner Kirche: «Gemeinsamkeiten zu stärken ist allen ein Anliegen, für uns ist es wichtig, das christliche Profil zu schärfen.» Und Hansruedi Herter fügt an: «Eine rasante Entwicklung, die unsere Kirche in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens durchgemacht hat.»

Marie-Christine Andres

Themen Ökumenisch
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