20.12.2012

Das Tabu der Jungfrauengeburt

Von Horizonte Aargau

Er ist der vielleicht prominenstete Scheinvater der Welt, jener Mann, der als Krippenfigur meist mit sorgenzerfurchtem Gesicht eine Laterne über das neugeborene Christkind hält. Die Bibel zeigt Josef jedoch nicht als Betrogenen, sondern als bescheidenen Mann, der im Rahmen göttlicher Vorsehung Verantwortung und Fürsorge über biologische Tatsachen stellt. Tugenden, die auch heute noch Männer unter Beweis stellen.

Doch leider verkünden die meisten Kuckucksgeschichten keine frohe Botschaft. Es sind vielmehr tragische Episoden. Daran erinnert uns die Bibel nicht. Darauf müssen wir schon selber kommen. Und wir sollten es. Nur so kann letztlich das Leid vieler Männer und Kinder Linderung erfahren.

Ausserordentlicher Mut
Als Marcel Jenzer vor fünfzehn Jahren seine spätere Frau kennen lernt, eröffnet ihm diese alsbald, dass sie schwanger sei. Und zwar von einem anderen Mann. Was wird wohl Josef durch den Kopf gegangen sein, als ihm seine Verlobte Maria eröffnete, sie sei schwanger? Und dann nicht eben von einem anderen Mann, sondern vom Heiligen Geist. Gemäss Matthäus hat Josef zunächst mit dem Gedanken gespielt, das Verlöbnis aufzulösen. Alles andere wäre unter den damaligen Verhältnissen ein zweiter Skandal gewesen. Josef hatte also allen Grund, Maria in Schimpf und Schande der öffentlichen Verachtung auszusetzen, musste er doch annehmen, dass sie das Verlöbnis gebrochen hatte. Doch das tat Josef nicht. Nennt ihn der Evangelist Matthäus wohl deswegen «gerecht», weil sich Josef nicht um die damaligen Gepflogenheiten scherte? Bedeutet «gerecht», dass Josef über die empfundene Verletzung hinwegsehen konnte und darauf verzichtete, seine Verlobte öffentlich bloss zu stellen? «Er will ihr gut, auch in der Stunde der grossen Enttäuschung», schreibt Benedikt XVI. im letzten Teil seiner Jesus-Trilogie. Zudem beweist er «ausserordentlichen Mut im Glauben», indem er sich entscheidet, aufgrund eines Traumes, in welchem ihm ein Engel Gottes die Wahrheit von Marias Bericht bescheinigt, diese dennoch zur Frau zu nehmen. Josef übernimmt Verantwortung.

Selbstverständlicher Herzensentscheid 
Gut zweitausend Jahre später in Basserdorf: Auch Marcel Jenzer übernimmt Verantwortung für ein Kind, das nicht von ihm ist. Als sich zeigt, dass der leibliche Vater im Grunde nichts mit dem Kind zu tun haben will, erklärt sich Marcel Jenzer bereit, das Kind zu adoptieren. «Aus meinem Umfeld haben mich viele gewarnt», erinnert sich der Lagerist. Für Marcel Jenzer steht fest, dass er dem Kind einen sicheren Hafen bescheren will. Und die empfundene Liebe gegenüber seiner späteren Frau will er sich nicht von einem Makel trüben lassen. «Das war doch selbstverständlich, ein Herzensentscheid», meint der heute 48-Jährige. Dass das, was er getan hat, im Grunde Hochachtung verdient, darauf bildet sich Marcel Jenzer nichts ein. Er heiratet 1997. Drei Jahre später bringt seine Frau das zweite, gemeinsame Kind zur Welt. Das Glück scheint vollkommen.

Vorbild für Väter
Auch Josef dürften verschiedene Leute aus seinem Umfeld abgeraten haben, Maria als seine Frau anzunehmen. Uneheliche Schwangerschaften waren damals «ein Skandal, ein Affront», schreibt der deutsche Theologe Ezzelino von Wedel. Entsprechend wird Josef, so glaubt der Autor, sich mit seinem Entscheid ungleich schwerer getan haben als Marcel Jenzer gut zweitausend Jahre später. Kommt hinzu, dass die fantastische Geschichte, welche Maria ihrem Verlobten auftischte, wohl als das verzweifelte Geflunker einer Gefallenen anmuten musste. Dann träumt der Zimmermann: «Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist». Zu fürchten hatte Josef vor allem um den eigenen Ruf. «Entsprechend können wir uns vorstellen, wie er mit dieser ungeheuerlichen Traumbotschaft inwendig gerungen hat», schreibt Benedikt XVI. in seinem neuen Buch. Schliesslich tut Josef, was ihm der Engel nahe legt. «Er weiss nun, was er als das Rechte zu tun hat», schreibt Benedikt der XVI. in Anlehnung an die Bezeichnung des «Gerechten» im Evangelium. Josef handelt vorbildlich.

Mindestens ein Kuckuckskind pro Schulklasse
Kuckucksvaterschaften gibt es viele, doch es wird nicht darüber geredet. In jeder Schulklasse sitze mindestens ein Kuckuckskind, schrieb vor einem Jahr der Blick in einem Artikel zu diesem Thema. Die meisten Kinder und Väter wissen es gar nicht. Und nur die wenigsten Geschichten entwickeln sich positiv, so wie bei Josef oder jenem Beispiel, das eine Berliner Pfarrerin vor zwei Jahren in ihrer Radio-Weihnachtspredigt brachte. Eine Frau, schwanger, wird sitzen gelassen. Der vertraute Kollege in der Firma, bei der sich die Frau ausheult, trifft eine beherzte Entscheidung: Er übernimmt die Vaterschaft.

Die Ohnmacht des Zweifelvaters
Den allermeisten Kuckucksväter-Geschichten kommt jede Romantik, jede Glorie ab. «Es sind Geschichten von Betrogenen, die zu Zahlvätern degradiert werden und meist ihre Kinder nicht einmal mehr sehen können» weiss Ludger Pütz, der als Max Kuckucksvater einen Blog zum Thema betreibt und auf diese Art und Weise eine Möglichkeit zum Austausch bietet. Auch Peter J. aus Schaffhausen fand auf http://kuckucksvater.wordpress.com/ Trost. Seine Frau hatte, als sie sich von ihm trennte, in einem Streit einmal gemeint, er sei im Grunde nicht der Vater seines Sohnes. Seither lebt Peter J. im Zweifel. «Ein Gefühl der Ohnmacht, ein unauflösliches Dilemma», bekennt der Betroffene gegenüber Horizonte.

Betrogen und abgeblitzt
Marcel Jenzers Geschichte nimmt leider eine unglückliche Wendung. Seine Frau nimmt sich einen anderen Mann, säuft und flüchtet mit den Kindern auf den Bauernhof einer Freundin. Es kommt zur Trennung, das Jugendamt schreitet ein, die Tochter landet in einer Pflegefamilie, der Sohn in einem Heim. «Sie hat alles getan, damit ich so wenig wie möglich Kontakt zu den Kindern habe. Warum auch immer», klagt der Lagerist. Doch es kommt noch dicker. Kaum hat Marcel Jenzer ein paar Jahre seine neue Partnerin und spätere, zweite Frau Yvonne kennen lernt, macht ihn diese darauf aufmerksam, dass sie kaum Ähnlichkeiten zwischen ihrem Partner und dessen Sohn erkennen kann. Marcel Jenzer entschliesst sich zu einem Vaterschaftstest. «Das Resultat war ein Hammerschlag: Der Test fiel negativ aus», erinnert sich der 48-Jährige. Seither zahlt Marcel Jenzer für zwei Kinder, die nicht von ihm sind und die er kaum sehen darf. Doch die Gerichte liessen den Betrogenen immer wieder abblitzen. «Es ist ungeheuerlich, dass in der Schweiz eine Vaterschaft nur innert der ersten fünf Jahre wiederrufen werden kann» empört sich Yvonne Jenzer. «Meist kommt die Wahrheit bei Kuckuckskindern ohnehin erst spät ans Licht», meint Marcel Jenzer. «Besonders, wenn in der Beziehung alles rund läuft, ignorierst du doch alle Zweifel».

Keine Konsequenzen für Mütter
Ludger Pütz hofft mit seinem Blog eine breite Öffentlichkeit für die Probleme der betroffenen Männer sensibilisieren zu können. Schicksale wie jene von Marcel Jenzer kennt er zuhauf. Zudem teilt er das Schicksal mit den Betroffenen. Das grosse Problem sei, dass die Verantwortung der Mütter nicht hinreichend berücksichtigt werde. «Es ist doch ungeheuerlich, wenn eine Frau einem Mann sagt: Das ist dein Kind. Obschon es nicht stimmt. Und rechtlich bleibt das ohne Konsequenzen für die Mütter.»

Glück in der zweiten Beziehung 
Obschon Marcel Jenzer «böse untendurch» musste, hat er den Lebensmut nicht verloren. Dies dank seiner zweiten Frau Yvonne, die ihn, wie er sagt, wunderbar unterstützt hat. Gemeinsam brechen die beiden das Tabu und tragen Marcels Schickals an die Öffentlichkeit. Dies in der Hoffnung, dass sich etwas verändert. «Ein Verein vielleicht, der politisch etwas bewegen kann», hofft Yvonne Jenzer. «Dafür wäre meine Frau die ideale Präsidentin», meint schmunzelnd ihr Mann.

Andreas C. Müller

 

 

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