01.10.2020

Kirchliches Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative
Der Bischof tut’s, die Pfarreien sollen nicht

Von Andreas C. Müller

  • Am 29. November stimmen wir über die Konzernverantwortungsinitiative ab. Obschon kirchliches Engagement zugunsten politischer Anliegen umstritten ist, engagieren sich immer mehr Kirchgemeinden zugunsten der Initiative – auch im Aargau.
  • Nicht allen passt dieses politische Engagement: Verschiedentlich beschweren sich Pfarreimitglieder wegen Inseraten und Bannern. Auch die Bistümer Chur und Basel rüffeln ihre Pfarreien – obschon Bischof Felix Gmür prominent als Unterstützer der Initiative auftritt.
  • In Kantonen wie Zug halten sich die Kirchen zurück – Unternehmen wie Glencore, auf welche die Initianten zielen, zahlen dort hohe Summen an Kirchensteuern.

Banner an Kirchtürmen, Pfarreizentren und Verwaltungsgebäuden erinnern uns: Ende November stimmen wir darüber ab, ob Schweizer Firmen mit Sitz in der Schweiz die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren müssen. «Auf jeden Fall», finden die Schweizer Bischofskonferenz SBK, die Evangelisch-Reformierte Kirche der Schweiz, sowie 19 Kantonalkirchen und Bistumsregionen, über 600 reformierte Kirchgemeinden und katholische Pfarreien sowie über 60 kirchliche Organisationen wie Fastenopfer oder das HEKS.

Unter «Kirche für Konzernverantwortung» konzentriert sich das kirchliche Engagement. Wer alles mitmacht, zeigt die gleichnamige Webseite. Gegen 700 Personen stehen dort mit Namen und Bild für die Unterstützung der Initiative ein – aus dem Aargau unter anderem Beat Niederberger, Gemeindeleiter der Pfarrei Schöftland, Christina Burger, Seelsorgerin in Kleindöttingen, und Patrik Suter, Pfarreiseelsorger in Ausbildung in Oeschgen.

Support von einem Fünftel der Aargauer Pfarreien

Patrik Suter, Seelsorger in Ausbildung, Oeschgen | zvg

«Das Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative hat für mich eine sehr persönliche Seite», bekennt Patrik Suter gegenüber Horizonte. Er habe sich schon vor zweieinhalb Jahren mit der Initiative auseinandergesetzt und in Gipf-Oberfrick auch schon einmal zur Thematik gepredigt, führt der Seelsorger weiter aus. Zusammen mit Martin Linzmeier aus Gipf-Oberfrick und Uli Feger aus Frick werde er noch besprechen, was für Aktionen bis zum Abstimmungswochenende im November stattfinden sollen. Ob man Banner aufhängen werde, sei ebenfalls noch offen. «Wir wollen das Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung und gegen die Missachtung von Menschenrechten schärfen, aber nicht Abstimmungspropaganda betreiben», so Patrik Suter. Der Seelsorger in Ausbildung ist sich bewusst, dass politisches Engagement seitens der Kirche von den Gläubigen nur bedingt goutiert wird.

Die Bistümer sagen klar: «Keine Banner»

Bischof Felix Gmür als prominenter Unterstützer der Konzernverantwortungsinitiative. | Screenshot Webseite vom 29.9.2020

Einerseits figuriert die Schweizer Bischofskonferenz als Unterstützerin auf der «Kirche für Kovi»-Webseite, andererseits hat das Bistum Chur unlängst seine Pfarreien wegen der Pro-Kovi-Banner gerüffelt. Die «Instrumentalisierung von Kirchengebäuden und kirchlichen Bauten» im Bistum Chur werde grundsätzlich abgelehnt, erklärte Bistumssprecher Giuseppe Gracia in einer Mitteilung bereits Anfang September.

Etwas diplomatischer kommt die Formulierung aus Solothurn daher – aber in der Aussage zielt sie in dieselbe Richtung wie das Bistum Chur. Auf Anfrage sagt Bistumsprecher Hansruedi Huber: «Die Pfarrei kann ein Ort sein für politische Diskussion, aber nicht für Abstimmungsparolen.» Das heisst: «Keine politischen Parolen und auch keine Banner», bestätigt Nicole Jörg vom Kommunikationsstab des Bistums Basel.

Auf die Frage, warum denn Bischof Felix gar auf der Webseite der Initianten mit Foto als prominenter Unterstützer neben erlauchten politischen Persönlichkeiten wie dem Ex-FDP-Ständerat Dick Marty und dem Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried auftaucht, meint Nicole Jörg nur: «Das tut Bischof Felix in seiner Funktion als Präsident des Stiftungsrates des Fastenopfers.» Allerdings: Unter dem Foto des Basler Oberhirten steht zum Zeitpunkt der Anfrage beim Bistum schlicht und einfach: Bischof (siehe auch Screenshot). Die Funktion auf der Website der Konzernverantwortungsinitiative sei zwischenzeitlich geändert worden von «Bischof» zu «Stiftungsratspräsident Fastenopfer», lässt Solothurn diese Woche verlauten.

Thomas Wallimann-Sasaki: «Die Kirche ist wieder ein Machtfaktor!»

Thomas Wallimann-Sasaki, Theologe und Sozialethiker. | © Felix Wey 

Was ist der Grund für dieses widersprüchliche Verhalten? Fürchten die Bischöfe Kirchenaustritte? «Nein», sagt der profilierte katholische Sozialethiker und Politexperte Thomas Wallimann-Sasaki. «Die Bischöfe sind wohl erschrocken ob der Wirkung des aktuellen kirchlichen Engagements. Die Forderungen der kirchlichen Soziallehre können nun ganz konkret umgesetzt werden. Das bedeutet aber auch, sich mit reichen und einflussreichen Persönlichkeiten und Kräften auseinanderzusetzen. Es gibt Bischöfe, die können damit umgehen, andere scheuen das.»

Im Übrigen, so der Sozialethiker und Leiter des christlichen sozialethischen Instituts «ethik22», könne man mit Stolz zur Kenntnis nehmen, dass das Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative die Kirche wieder zu einem Machtfaktor mache. «Das politische und wirtschaftliche Establishment im Land hat die Kirchen in den letzten Jahrzehnten doch meist nur noch belächelt, wenn sie zur Politik etwas gesagt haben.»

«Aus den Kantonalkirchen und von Seiten der Kirchgemeinden und Pfarreien ist die Zustimmung sehr gross», heisst es auf Nachfrage bei «Kirche für Konzernverantwortung». Schaut man die Zahlen genauer an, relativiert sich allerdings das Bild. Gemäss Stand Ende September unterstützen im Aargau lediglich 44 Kirchgemeinden die Initiative – darunter 25 katholische Pfarreien (also weniger als ein Fünftel). Der katholische Aargau offenbart sich somit deutlich zurückhaltender als beispielsweise Zürich, wo 34 von 95 Pfarreien für die Initiative eintreten. Nochmals umfassender ist der Support im Kanton Luzern: 48 Pfarreien von gesamthaft 76 unterstützen die Initiative – das sind deutlich mehr als die Hälfte.

Um der Freiheit willen keine Banner auf dem Mutschellen

Ob die Initiative bei den Reformierten mehr Rückhalt geniesst als bei den Katholiken? Von den 75 reformierten Aargauer Kirchgemeinden stehen 18 für die Initiative ein, das sind im Vergleich zu den Katholiken etwas mehr. Und von den 220 Berner Kirchgemeinden positionieren sich mit 118 immerhin mehr als die Hälfte für die Initiative. Allerdings unterstützen im Raum Zürich nur 23 von 126 reformierten Kirchgemeinden die Initiative. Bei «Kirche für Konzernverantwortung» will man nichts von konfessionellen Unterschieden wissen. In der Gesamtheit sei der Umfang der Unterstützung ausgeglichen, erklärt Katharina Boerlin.

Aber gerade politisches Engagement von Seiten der Kirchen stösst vielen Kirchenmitgliedern sauer auf. «Sehr unangenehm aufgefallen ist mir, dass versteckt Reklame für die Annahme der Konzernverantwortungsinitiative gemacht wird», schreibt beispielsweise Bernhard Schmid aus Erlinsbach an die Horizonte-Redaktion und bezieht sich auf die Inserate im Pfarreienteil, wo verschiedene Pfarreien für ein «Ja» werben.

Robert Weinbuch, Pastoralraumleiter im Pastoralraum «am Mutschellen» nimmt in der aktuellen Horizonte-Ausgabe präventiv Stellung: Er sei neulich angefragt worden, ob er nicht an den Kirchtürmen des Pastoralraums Fahnen mit der Aufschrift «Konzernverantwortungsinitiative – Ja!» anbringen werde. «Kirche ist politisch, wenn sie für die Werte eintritt, die Christus vorgelebt hat: für das Leben, für Freiheit und Gerechtigkeit, für die Menschen. Durch die Taufe wurde uns diese politische Aufgabe übertragen. Ob ein Ja zur Konzernverantwortungsinitiative unserer Berufung als Getaufte entspricht – das jedoch muss jeder und jede christliche Stimmberechtigte selbst entscheiden; um dieser Freiheit willen hängen an unseren Kirchtürmen keine orangen Banner.»

Aargauer Landeskirche gibt keine Abstimmungsempfehlung

Marcel Notter, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau| Foto: Felix Wey

Offensiver gehen es da die Römisch-Katholische Landeskirche und der Pastoralraum Region Brugg-Windisch an. Am Verwaltungsgebäude der Kantonalkirche prangen gleich zwei Pro-Kovi-Banner. Es sei aber nicht so, dass man die Kirchgemeinden auffordere, ebenfalls aktiv zu werden», erklärt Generalsekretär Marcel Notter. «Der Kirchenrat trägt das Grundanliegen der Initiative zwar mit, gibt aber keine Abstimmungsempfehlung heraus. Auch der Entscheid für den Auftritt auf der Webseite «Kirche für Kovi» sei nicht einstimmig, sondern per Mehrheitsentscheid gefallen. «Die Haltung des Kirchenrates ist es, zu sensibilisieren und die Meinungsbildung und Diskussion anzuregen», fasst es Marcel Notter zusammen.

Im Pastoralraum Region Brugg-Windisch werden in Windisch und Brugg ebenfalls Banner aufgehängt. Zudem werde es in den übrigen Seelsorgestellen Plakate geben, wie die Kommunikationsverantwortliche Dorothee Fischer auf Anfrage erklärt. Man sei sich schon dessen bewusst, dass es Kritik geben könnte. Man wolle die Kritiker aber mit gebotenem Feingefühl abholen, so Dorothee Fischer.

Brugg-Windisch: Argumente gegen den Kirchenaustritt

Man habe ein Argumentarium erarbeitet, mit dem die Mitarbeitenden den Gläubigen begegnen könnten, führt Dorothee Fischer aus. In diesem finden sich beispielsweise Handreichungen zum «Vorwurf der politischen Beeinflussung der Kirchgänger». Oder aber auch Vorschläge, wie der Androhung eines Kirchenaustritts begegnet werden kann. Man solle im Kontakt mit diesen Menschen darlegen, dass die Kirche sich bei ihrem Engagement zugunsten der Konzernverantwortungsinitiative an ihrem biblischen Grundauftrag orientiere, und dass in den letzten Jahren eben sehr viele Menschen aus der Kirche ausgetreten seien, weil sich die Kirche ihrem Ermessen nach zu wenig am Evangelium orientiert habe.

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Mitte August wurde auch in Untersiggenthal ein lokales Unterstützungs-Komitee für die Konzernverantwortungs-Initiative gegründet. | © Marie-Christine Andres

Sollen Kirchgemeinden und Pfarreien mit Bannern und Plakaten auf Ihr Engagement zugunsten der Konzernverantwortungsinitiative aufmerksam machen? Ihre Zuschriften veröffentlichen wir gerne als Leserbeitrag auf unserer Webseite. Sie erreichen uns per Mail an die Redaktion.

Im Übrigen werde niemandem vorgeschrieben, wie er abstimmen solle, heisst es in besagtem Argumentarium. Die Frage sollte nicht sein: «Darf sich die Kirche politisch engagieren?», sondern: «Darf die Kirche wegschauen, wenn es um die Beschneidung der Gerechtigkeit und der Missachtung grundlegender christlicher Werte geht?»

Kanton Zug: Schweigen wegen Steuergeldern?

Zur Frage, ob und inwieweit Kirche politisch sein darf, wird gerade innerhalb der katholischen Kirche seit Jahren gestritten. Der Pastoralraum Aare-Rhein will dazu am 20. November, anlässlich der anstehenden Abstimmung, ein öffentliches Diskussionscafé veranstalten. «Wir wollen so auf die Kritik jener eingehen, die unser Engagement zugunsten der Initiative nicht gutheissen, erklärt Christina Burger, Seelsorgerin in Kleindöttingen. Das Seelsorgepersonal aller sieben Pfarreien stünde hinter der Initiative, so Christina Burger. Innerhalb der Kirchenpflegen gebe es jedoch zum Teil divergierende Meinungen. Gleichwohl würden Banner an den Fahnenmasten vor den Kirchen aufgehängt.

Doch nicht überall engagieren sich die Kirchen für die Initiative. Im Kanton Zug unterstützt kaum eine Pfarrei offiziell die Konzernverantwortungsinitiative. «Die Pfarreien lehnen sich politisch nicht aus dem Fenster», erklärt Margrit Hammer von der Vereinigung der Katholischen Kirchgemeinden des Kantons Zug VKKZ. Nahezu die Hälfte der Steuereinnahmen der Pfarreien stammen von juristischen Personen. VKKZ-Präsident Karl Huwyler dazu: «Natürlich haben Steuereinnahmen bei den Kirchgemeinden einen wichtigen Stellenwert, sie sind aber nicht das entscheidende Kriterium.»

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