12.10.2017

«Die Kirche hat bei ihren Gläubigen ausgeharrt»

Von Andreas C. Müller

Bischof Bohdan Dzyurakh hat die Maidan-Proteste in der Ukraine miterlebt und sich mit seiner Kirche auf die Seite der Demonstranten geschlagen. Im Interview mit Horizonte berichtet er von den damaligen Erfahrungen und äussert sich zur Situation im Osten des Landes, wo ein bewaffneter Konflikt noch immer die Menschen in Atem hält.

Bischof Bohdan, Sie haben in den letzten Wochen verschiedene Pfarreien in der Schweiz besucht und über die Situation in der Ukraine berichtet. Was wünschen Sie sich von ihren Schwestern und Brüdern im Glauben hier in der Schweiz?
Bischof Bohdan Dzyurakh:
Wichtiger als jede materielle Hilfe ist, dass der Konflikt in der Ukraine nicht vergessen wird. Ich möchte dazu beitragen, dass unsere Brüder und Schwestern in Europa die Wahrheit erfahren und erkennen, wer Opfer und wer Aggressor ist. Die russische Propaganda versucht, den Konflikt als Bürgerkrieg zu zeigen, das ist schlichtweg falsch.

Bischof Bohdan, Wie erleben Sie die Situation im Osten der Ukraine?
Ich war vor einem Jahr zu Ostern an der Front, um mit den ukrainischen Soldaten zu beten. Diese verrichten ihren Dienst in der ständigen Gefahr, ihr Leben zu verlieren. Denn Russland entsendet immer wieder neue Soldaten und Waffen, um den Konflikt in Gang zu halten. Eine schreckliche Folge des Konflikts sind überdies die vielen Binnenflüchtlinge – jene Menschen, die aus der Ostukraine geflüchtet sind.

Was haben Sie in der Begegnung mit diesen Menschen erlebt?
Viele dieser Menschen haben alles verloren. Besonders bewegt hat mich das Schicksal der Kinder. Ich habe mich erkundigt, wie es ihnen geht, welche Hoffnungen und Träume sie haben. Viele haben mir gesagt, dass sie wegen des Krieges keine Hoffnungen und Träume mehr hätten. Dies hat mich sehr betroffen gemacht.

Die ukrainisch griechisch-katholische Kirche wurde ja von Russland stets unterdrückt. Hat es noch Priester ihrer Kirche auf der Krimhalbinsel und im Osten der Ukraine?
Ja, wir haben im Osten noch zehn, auf der Krimhalbinsel noch fünf Priester. Offiziell ist unsere Kirche noch geduldet, doch es ist für keinen ein Geheimnis, dass unsere Priester stets beobachtet werden und unter Generalverdacht stehen. Sie sollen den örtlichen «Behörden» gegenüber nicht loyal genug sein.

Ist es in diesem Zusammenhang auch schon zu Gewaltakten gegen Geistliche gekommen?
Ja, verschiedentlich. Einige unserer Priester waren verhaftet worden, die anderen mussten das Kriegsgebiet verlassen. Es gab auch Demonstrationen gegen unsere Kirche im besetzten Donetsk. Aktuell ist die Situation stabil, aber von der Normalität weit entfernt.

Als Generalsekretär der Bischofskonferenz ihrer Kirche sind sie in Kiew stationiert und haben dort die Maidan-Proteste miterlebt.
Das ist richtig. Hunderttausende haben auf dem Maidan friedlich demonstriert. An einigen Tagen kamen über eine Million Demonstranten. Unsere Kirche hat diese Menschen unterstützt. Sie müssen sich vorstellen, im Winter ist es in der Ukraine bitterkalt. Wir haben unsere Kirchen für die Aktivisten geöffnet, ihnen Unterschlupf und warmes Essen zur Verfügung gestellt. Vor allem aber wurde auf dem Maidan viel gebetet.

Die Situation ist schliesslich gewaltsam eskaliert. Wie hat ihre Kirche dann reagiert?
Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Polizei und über hundert Toten, als Präsident Janukowytsch die Proteste blutig niederschlagen wollte. Als das passierte, haben die im Zentrum von Kiew gelegenen Klöster die Glocken läuten lassen, die Demonstranten vor der Polizei geschützt und ihnen in den Kirchenräumen Unterschlupf gewährt. Und weil die Verwundeten nicht ins Krankenhaus transportiert werden konnten, haben wir dafür gesorgt, dass sie in den Kirchen medizinisch behandelt werden konnten. Auf diese Weise wurden die Kirchen gewissermassen zum «Feldlazarett», um es mit den Worten von Papst Franziskus zu sagen. Jedenfalls hat die Kirche bei Ihren Gläubigen ausgeharrt und deren Schicksal geteilt.

 

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