19.10.2023

Zur Ausstellung: «Wer in diesem Land die Arbeit macht»
Diese Menschen machen unsere Arbeit

Von Wolfgang Holz/kath.ch

  • Der Illustrator Daniel Lienhard will die Menschen sichtbar machen, die prekäre Arbeiten verrichten.
  • Seine Ausstellung zeigt zwölf Bildmontagen mit Heiligen.
  • Damit wollte der Illustrator die Menschen, die ganz unten in der Gesellschaft sind, erhöhen.

Mussten Sie in Ihrem Leben schon einmal sogenannte Drecksarbeit machen?

Daniel Lienhard: Wenn Sie Drecksarbeit als Arbeit verstehen, die keiner machen will: Nein, das musste ich nie. Aber ich kenne prekäre Arbeitsverhältnisse aus eigener Erfahrung. Ich hatte diese Arbeiten jedoch selbst gewählt. Als 27-Jähriger habe ich mit einem Kollegen eine Privatschule gegründet. In den ersten Jahren konnten wir uns nur einen Hungerlohn auszahlen. Vom Unterrichten bis zum Putzen der Schultoiletten haben wir alles gemacht.

Amira, Mitarbeiterin im CleanTeam einer Grossbank. Muttergottes, Südfrankreich, um 1130 | Bildmontage: Daniel Lienhard

Sind Menschen, die solche Tätigkeiten ausführen müssen, quasi die Arbeitssklavinnen und -sklaven von heute?

Unsere Service-Gesellschaft braucht Sklavinnen und Sklaven, die diese Serviceleistungen erbringen. Wenn ich klick-klick im Internet etwas bestelle, dann will ich es auch subito geliefert bekommen. Also muss das jemand verpacken. Und jemand muss es mir an die Haustür bringen. Ab einem bestimmten Bestellwert zahle ich nicht einmal Lieferkosten. Schon daraus kann ich erahnen, wie wenig die Verpackerin und der Postbote verdienen. Der massive Wohlstand in unseren Breiten – wohlverstanden immer nur für einen Teil der Leute – kann nur aufrecht erhalten werden durch das Ausnützen der Zudienerinnen und Zudiener des Systems.

Sie haben in einer Bildserie Heiligenfiguren an die Stelle der Leute gerückt, die in prekären Verhältnissen arbeiten.

In meiner Arbeit als Illustrator kombiniere ich gerne Elemente aus verschiedenen Welten und hoffe auf einen Überraschungseffekt. Hier also Heilige aus der Welt von Religion und Spiritualität mit Arbeitsverhältnissen in der freien Marktwirtschaft. Im besten Fall funktioniert das dann wie in der Chemie, wenn man zwei Substanzen zusammenbringt. Es gibt einen Funken oder es knallt. Im allerbesten Fall sehen sie beim nächsten Mal im Supermarkt die Angestellten mit anderen Augen.

Yanko, Spargelstecher aus Bulgarien. Hl. Christophorus, ca. 1750, Museo Pedro de Oma, Barranco, Peru | Bildmontage: Daniel Lienhard

Sind Menschen, die als Paketzusteller, Krankenschwestern, Putzfrauen, Güselmänner arbeiten, die Märtyrerinnen und Märtyrer unserer Marktwirtschaft?

Nein, so habe ich es nicht gesehen. Ich wollte bloss, dass man die Leute ansieht, die die vielen, oft kaum sichtbaren Arbeiten verrichten. Ich wollte die Leute, die ganz unten in der Gesellschaft stehen, erhöhen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Mit Corona begann man plötzlich von «systemrelevanten Berufen» zu sprechen. Von genau den Berufen, die ich hier zeige. Leider läuft es in unserer Gesellschaft paradoxerweise so, dass die, auf die man locker verzichten könnte, in der Regel gut verdienen. Und die, die unverzichtbar sind, schlecht.

Pedro, Fahrer bei einem Express-Paketdienst. Hl. Petrus von Alcántara, Pedro de Mena y Medrano, Barcelona, 1663–1673 | Bildmontage: Daniel Lienhard

Haben Sie auch schon negative Reaktionen erhalten?

Dass ich «die Heiligen» vom Sockel herunterhole, das kommt eigentlich überall gut an. Bei Katholiken und Reformierten. Und auch bei Leuten, die mit der Kirche gar nichts am Hut haben.

Wie sind Sie vorgegangen?

Mir sind die vielen Lastwagen aufgefallen, die sich Nacht für Nacht auf den Rastplätzen der Rheintalautobahn drängen, weil die Fernfahrer ja irgendwo übernachten müssen. Diese einsamen Fahrer aus Rumänien oder der Slowakei in ihren Führerkabinen, die im Vornherein auf Familie verzichten oder erst schmerzhaft erkennen müssen, dass Frau und Kinder mit diesem Beruf nicht kompatibel sind. Deren imposante Trucks vergessen lassen, dass da eigentlich Arbeitssklaven unterwegs sind.

Zur Person

Daniel Lienhard ist visueller Gestalter und Illustrator in Bregenz am Bodensee. Er lebte von 1981 bis 2018 in Zürich und Rorschach und arbeitet in den Bereichen Bildung, Kultur und Religion. Von 1990 bis 2010 war Lienhard reformierter Kirchgemeindepräsident der ökumenischen Predigerkirche in Zürich.

Ausstellungen

Die nächste Ausstellung der Illustrationen in der Schweiz findet vom 27. Oktober bis zum 10. November im katholischen Pfarreizentrum Wil SG statt. Vom 19. November bis zum 9. Dezember sind die Illustrationen im Haus der Religionen in Bern zu sehen. Während der Ausstellung gibt es an beiden Orten verschiedene Begleitveranstaltungen.

Personen, welche die Ausstellung in ihrem Umfeld zeigen möchten, können die 13 Ausstellungstafeln kostenlos bei Daniel Lienhard beziehen. Kontakt: lienhard.illustrator@mailbox.org

Wie kamen Sie auf die Heiligen?

Ich bin ich zufällig auf die Skulptur des Heiligen Benedetto gestossen. Dieser lebte – aufgrund unfreiwilliger Migration – im 16. Jahrhundert mit seinen Eltern als Sklave auf dem Gut eines sizilianischen Orangen-Bauern. Als Benedetto mit 18 Jahren die Freiheit geschenkt wurde, ging er ins Minoritenkloster Santa Maria di Gesù in Palermo. Dort arbeitete er in der Küche. Schon bald und gegen seinen ausdrücklichen Willen wurde er zum Abt gewählt. Er reformierte das Kloster sehr intelligent, behielt aber sein ganzes Leben lang seinen Dienst in der Küche bei.

Dunkelhäutige Migranten als Ernte-Sklaven in Süditalien haben wir auch heute vor der globalen Haustür. So prallte in meinem Kopf und in meinem Herzen die Welt des Heiligen aus Palermo auf die Welt der Fernfahrer auf der Rheintalautobahn.

Kathy, Kassierin im Supermarkt. Hl. Katharina, ca. 1275–1325, Metropolitan Museum of Art, New York | Bildmontage: Daniel Lienhard

Wie können sich Menschen in solchen prekären Arbeitsexistenzen wehren? Was können wir alle dagegen tun?

Dass die Leute ganz unten aus eigener Kraft die Verhältnisse ändern könnten, da bin ich eher pessimistisch. Ich glaube, sie brauchen unsere Hilfe. Auf der individuellen Ebene vielleicht durch das, was meine Bilder auf ihre Art versuchen. Nämlich zuerst einmal die Leute zu sehen, die den Dreck für uns machen. Man muss sie ja nicht gleich zu Heiligen machen, aber man kann sie ansehen und das würdigen, was sie für uns tun.

Und was kann oder sollte die Kirche tun?

Ich sage nicht, die Kirche tue nichts. Aber sie hat schon mehr Übung darin, zu predigen als sich mutig einzumischen. Was hat die Kirche doch nicht schon alles aus der Hand gegeben: Fürs Klima kämpft heute die Klima-Jugend, für die Umwelt Greenpeace, für die Gefangenen Amnesty, für die Geflüchteten Ärzte ohne Grenzen, für die Transzendenz die Esoterik und für die Erklärung der Welt Google. Dabei gehörte doch all das auch zum Kerngeschäft der Kirche. Die Kirche müsste wieder politischer werden. Und kompromissloser. Wären wir nur ein Zehntel so unbequem, wie man es uns von Jesus erzählt, die Welt sähe anders aus.


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