04.06.2023

Die Lange Nacht der Kirchen bewegte den Aargau
«Diese Nacht ist viel zu kurz!»

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Wippende Füsse, brennende Wädli, ein Wummern im Bauch: die Lange Nacht der Kirchen am Freitag, 2. Juni, erfasste Körper und Geist.
  • Schweizweit besuchten 50’000 Personen die Kirchen und Kapellen.
  • Im Aargau bewegte das attraktive Programm rund 8000 Besucherinnen und Besucher.

Die Lange Nacht der Kirchen hat die Menschen im Aargau bewegt. Zu Fuss, mit dem Velo, dem Zug oder dem Auto besuchten sie die Kirchen und Kapellen im Kanton. Dort erklommen die Kinder, Frauen und Männer den Kirchturm, krochen hindurch unter den Glocken, streiften bei einer Schnitzeljagd rund ums Kirchenzentrum oder wippten im Takt der Gospelmusik.

Die «Trychler vom Burghorn» läuteten im ökumenischen Kirchenzentrum in Ehrendingen die Lange Nacht der Kirchen ein. | Foto: Roger Wehrli

Schwingung im Bauch

In Ehrendingen läuteten die «Trychler vom Burghorn» die Lange Nacht ein. Mit ihren mächtigen Trycheln versetzten sie den Innenhof des ökumenischen Kirchenzentrums Ehrendingen in Schwingung. Die versammelte Gästeschar spürte die Schwingungen im Bauch und merkte: diese Lange Nacht erfasst einen körperlich. In den folgenden Stunden kamen sie in den Genuss eines Programms für alle Sinne: Neben der Besteigung des Kirchturms konnten sie die Geheimnisse des Weihrauchs erschnuppern oder zu einer Schnitzeljagd rund um die Kirche aufbrechen.

Die Siebtklässlerinnen und Siebtklässler mit den Katechetinnen Valeria Puliafito und Martina Petranca präsentieren die selbstgemachten Köstlichkeiten. | Foto: Roger Wehrli

«Go with the flow»

Ein bewegtes Programm erwartete die Besucherinnen und Besucher auch im katholischen Kirchenzentrum in Nussbaumen. Vor der Kirche lief Popmusik, zu der Alt und Jung zusammen tanzten. Zu Beginn noch etwas verhalten, mit der Zeit immer lockerer und freudiger. Die Siebtklässlerinnen und Siebtklässlern hatten sich im Religionsunterricht Gedanken gemacht, was ihnen an der Kirche gefällt und was ihnen fehlt. So hatten sie Ideen für die Lange Nacht entwickelt und ein besonders kreatives Programm auf die Beine gestellt: Versteckis in der Kirche, gemeinsames Tanzen, Geschichten erzählen, ein Bibelquiz.

Die Besucherinnen und Besucher in der katholischen Kirche Nussbaumen planten keine Abstecher in andere Kirchen, sondern genossen das Programm vor Ort: «Es läuft im ganzen Kanton so viel, diese Nacht ist viel zu kurz», sagte eine Besucherin beim Apéro.

Ein Hauch Magie

Der Gospelchor «Spirit of Gospel» erfüllte das reformierte Kirchenzentrum Nussbaumen mit einem Hauch Magie. | Foto: Roger Wehrli
Nur einige hundert Meter entfernt, im reformierten Kirchenzentrum Nussbaumen, gibt es ebenfalls viel zu entdecken. Beim Eintreten riecht es fein nach frischgebackenen Flammkuchen. Nach dem Essen gilt es, einen Kriminalfall zu lösen, und kurz darauf folgt als Highlight der Auftritt des Gospelchors «Spirit of Hope». Die 45 Sängerinnen und Sängern erfüllen den nüchternen Raum dank ihrer Stimmen mit einem Hauch Magie und bringen die Zuhörenden zum Mitwippen im Takt der Musik. Pfarrerin Kristin Lamprecht moderiert die einzelnen Stücke jeweils kurz an, so dass klar wird, wovon der Liedtext handelt.

Kraftakt im Glockenturm

Sandro Serratore, Sakristan der Stadtkirche Baden, mit der grössten Glocke, die dem heiligen Damian geweiht ist. | Foto: Roger Wehrli
In der Stadtkirche Baden braucht es unterdessen mehr als ein Fusswippen: Für die Besteigung des Glockenstuhls in 30 Metern Höhe braucht es Wädli- und Gesässmuskeln. Der Sakristan, Sandro Serratore, führt 14 Gäste durch die Sakristei, über die Holztreppe zu einer beinahe senkrecht stehenden Metallstiege. «Achtung, Kopf», warnt er die Emporkommenden, damit sie sich an den Streben des metallenen Glockenstuhls keine Beule holen. Die beiden mächtigsten Glocken hängen so tief, dass man kriechen muss, um unter ihnen auf die andere Seite des Turms zu wechseln. Die Glocken läuten nur zu den Gottesdiensten und zum Gebet, den Stundenschlag überlässt die Stadtkirche dem nahen Stadtturm. Doch die Besucher im Glockenturm dürfen versuchen, den Klöppel der Damiansglocke, die mehr als fünf Tonnen wiegt, an die Glockenwand zu drücken. Ein wahrer Kraftakt! Wer es schafft, wird mit einem Klang belohnt, der den ganzen Körper in Schwingung bringt.

Eilige Schritte auf dem Zwischenboden

Hanspeter Neuhaus beim Abendgebet an der Orgel in der Stadtkirche Baden. | Foto: Roger Wehrli
In Bewegung ist einen Stock weiter unten, im Dackstock der Stadtkirche, der Kustos des Kirchenschatzmuseums, Hanspeter Neuhaus. Mit spürbarer Begeisterung erklärt er den Anwesenden die Sammlung, öffnet Schubladen, Vorhänge und Schranktüren. Um 21.30 eilt er durch Deckengang nach hinten, zur Empore, knipst das Licht über der Orgeltastatur an und spielt auf zum Abendgebet für Gross und Klein.

«Gott hat alles gemacht – auch die Farben», spricht Christiane Burgert, Mitarbeiterin der Fachstelle Katechese-Medien, in die dunkle Kirche. Der Altarraum erstrahlt nacheinander in weissem, rotem, orangem, gelbem, grünem und blauem Licht. Die Farben stehen für Frieden, Liebe, Weisheit, Licht, Hoffnung und den Himmel. Dieser erstrahlt beim Verlassen der Kirche im Schein des Vollmonds. Die Lange Nacht der Kirchen – sie war wirklich viel zu kurz.

Ein voller Erfolg

In 11 Kantonen der Schweiz öffneten am Freitag, 2. Juni 2023, über 1100 Kirchen ihre Türen, Tore und Kirchtürme zur vierten «Lange Nacht der Kirchen» mit rund 1800 Veranstaltungen. Der Einladung, Kirche einmal anders zu erleben, sind weit über 50’000 Besucherinnen und Besucher gefolgt und haben eine wunderbare Stimmung erlebt. Allein im Kanton Aargau haben Mitarbeitende und Freiwillige in über 70 Kirchgemeinden und Pfarreien insgesamt 200 Veranstaltungen organisiert, die um 8’000 Menschen anlockten.

Die nächste Lange Nacht der Kirchen wird in der Schweiz wieder in zwei Jahren am Freitag, 23. Mai 2025 stattfinden. Die «Lange Nacht der Kirchen» findet jeweils zeitgleich mit Österreich, Italien (Südtirol), Tschechien, Estland und Teilen Deutschland und der Slowakei statt. Es ist eine Veranstaltung der Reformierten, der Römisch-katholischen und der Christkatholischen Kirche. Der ökumenische Event ist für alle Interessierten, ob gläubig oder kirchenfremd, ob verwurzelt oder suchend, einheimisch oder fremd.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.