18.08.2023

Bischof Felix Gmür nimmt Stellung zu den Vorwürfen, die der «Beobachter» gegen ihn erhebt
«Ein Scheitern, das nicht mehr vorkommen darf»

Von Eva Meienberg

  • Die Zeitschrift «Beobachter» erhebt in einem Artikel vom 17. August 2023 Vorwürfe gegen Bischof Felix Gmür.
  • Er soll in einen Priester geschützt haben, der in den 1990er-Jahren ein Mädchen missbraucht haben soll.
  • Gegenüber «Horizonte» nimmt Bischof Felix Gmür Stellung zu den Vorwürfen und räumt Fehler ein.

Im Artikel «Wie Bischof Gmür einen Priester schützt», erschienen am 17. August 2023, deckt der «Beobachter» auf, dass ein Priester ein damals vierzehnjähriges Mädchen im Zeitraum von 1995 bis 1998 missbraucht haben soll. Die Vorfälle sollen sich in der Zentralschweiz zugetragen haben. Angezeigt wurde der Priester damals nicht. Das mutmassliche Opfer, heute knapp vierzig Jahre alt, habe erst mit Mitte 20 verstanden, was sich zwischen ihr und dem Priester abgespielt habe. Nach einer Zeit des Verdrängens sei dem Opfer 2018 sein Tagebuch aus der Zeit des mutmasslichen Missbrauchs in die Hände gefallen. Daraufhin habe die Frau den Entscheid getroffen, das Bistum Basel zu kontaktieren und über die Vorfälle zu informieren. Sie habe aber darauf verzichtet, eine offizielle Meldung zu machen.

Inzwischen muss jeder Fall angezeigt werden

Inzwischen haben sich die Regeln geändert. Macht ein Opfer eine Meldung bei der Kontaktperson des Bistums zu einem mutmasslichen sexuellen Missbrauch, muss der Fall zwingend juristisch untersucht werden. Das Opfer wird nicht um sein Einverständnis gefragt. Aus diesem Grund gibt es Beratungspersonen des Bistums, die Opfer über das Verfahren aufklären. Wollen die Opfer keine Anzeige erstatten, bleibt ihnen der Gang zu einer Opferhilfestelle.

Von Bischofskonferenz als «schwerwiegend» eingestuft

Die Genugtuungskommission der Bischofskonferenz hat den Fall als «schwerwiegend» eingestuft und dem Opfer eine Genugtuungssumme von 15’000 Franken ausbezahlt. Die Kommission stützt sich dabei auf eine Plausibilitätsprüfung und nicht auf eine juristische Prüfung.

Als im Jahr 2019 der mutmassliche Täter zum ersten Mal nach den Vorfällen wieder Kontakt zu ihr aufgenommen habe, wandte sich das Opfer erneut ans Bistum und händigte den zuständigen Personen ihr Tagebuch und die Aufzeichnungen aus, die sie seit der Wiederentdeckung des Tagebuchs gemacht habe.

Unterlagen nicht nach Rom geschickt

Bischof Gmür erstattete darauf Anzeige gegen den beschuldigten Priester. Da die Tat in die 1990er-Jahre zurückgeht, ist sie verjährt. Das Kirchenrecht sieht jedoch vor, dass auch in strafrechtlich verjährten Fällen eine kanonische Voruntersuchung eingeleitet werden muss. Seit 2001 müssen die Bischöfe die vollständigen Akten und Beurteilungen an die Glaubenskongregation in Rom übermitteln. Im vorliegenden Fall habe Bischof Gmür sich nicht an diese Regel gehalten und entschieden, die Unterlagen nicht nach Rom zu schicken. Dieses Vorgehen erklärt Bischof Gmür damit, dass der zuständige Voruntersuchungsführer der Meinung war, die Dokumente müssten nicht nach Rom geschickt werden.

Widerspruch zwischen Genugtuungskommission und Bistum

Den Entscheid habe er nach einer Unterredung mit dem beschuldigten Priester auf Grund einer «beeideten Unschuldsbeteuerung» gefällt, zitiert der Beobachter aus einer Stellungnahme des Bischofs. Die Tagebucheinträge und die Aufzeichnungen des mutmasslichen Opfers seien bei der Untersuchung nicht berücksichtigt worden, schreibt der Beobachter. Auf Nachfrage von «Horizonte» betont Bischof Gmür, die Unterlagen seien durchaus einbezogen, «aber aus heutiger Sicht falsch beurteilt» worden. Im Rahmen der Voruntersuchungen kam das Bistum damals nämlich zur Überzeugung, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei den Vorwürfen des mutmasslichen Opfers um eine Verleumdung handle.

Warum die Genugtuungskommission und die kanonische Voruntersuchung des Bistums im ersten Moment zu so verschiedenen Resultaten kamen, ist schwer nachzuvollziehen. Der Widerspruch sei nicht zu leugnen, gibt Bischof Gmür gegenüber Horizonte zu.

Bischof sprach Kontaktverbot aus

Der Bischof verfügte in einer «dringlichen Anordnung» ein umfassendes Kontaktverbot für den Priester gegenüber dem mutmasslichen Opfer. Ausserdem verbot er dem Priester das Ausüben sämtlicher kirchlichen Tätigkeiten in seinem Bistum. Diese Massnahmen seien schon zwei Wochen vor der Voruntersuchung beschlossen worden, um «die betreffende Person vor jeglicher Einflussnahme durch den Beschuldigten zu schützen».

Weiter werden im Artikel Vorwürfe laut, Bischof Felix Gmür habe dem beschuldigten Priester das Tagebuch und die Aufzeichnungen des mutmasslichen Opfers übergeben – inklusive Postadresse, E-Mail und Telefonnummer. Auf spezifische Nachfrage von «Horizonte» begründet der Bischof dieses Vorgehen damit, dass falsche Kriterien angewendet worden seien. Der Voruntersuchungsführer habe Kriterien angewendet, die erst in einem kirchlichen Strafverfahren angewendet werden. Dieser sei überzeugt gewesen, dass dem Beschuldigten sämtliche Beweise vorliegen müssten, damit sich dieser angemessen verteidigen könne.

Der Bischof zeigt sich einsichtig

In der am 18. August 2023 veröffentlichten Stellungnahme des Bistums Basel heisst es: «Dass es nicht gelungen ist, die korrekten Schritte umzusetzen, anerkennt der Bischof als ein Scheitern, das nicht mehr vorkommen darf. Diese Verfahrensfehler haben der betroffenen Person zusätzlichen Schaden zugefügt. Der Bischof bedauert dies zutiefst, genauso wie die Tatsache, dass dem Recht der betroffenen Person auf einen würdigen Umgang und ein kirchenrechtlich konformes Verfahren in der Vergangenheit nicht entsprochen wurde. Der Fall wird aktuell in Rom geprüft, damit die betroffene Person Gerechtigkeit erfährt.»

Die vorliegende Stellungnahme von Bischof Gmür über dessen Behandlung des Missbrauchsfalles widerspricht der im Artikel des Beobachters gemachten Aussage, dass der Bistumsvorsteher «uneinsichtig» und sich «keines Fehlers bewusst» sei. Inzwischen wurden alle Akten zum vorliegenden Fall am 4. Juli dieses Jahres nach Rom gesandt, wie es die Regeln vorsehen.

Kritischer Zeitpunkt

Der beschuldigte Priester hat sich gegenüber dem Beobachter nicht geäussert, wie die Zeitschrift schreibt. Auf die Anfrage von «Horizonte», warum sich die Recherchearbeiten über ein Jahr hingezogen haben und ob die Veröffentlichung im Zusammenhang mit der bevorstehenden Veröffentlichung der Pilotstudie in Zusammenhang stehe, winkte Otto Hostettler vom Beobachter ab. Einen Zusammenhang zu konstruieren sei an den Haaren herbeigezogen.

Doch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beobachter-Artikels ist äusserst kritisch. Am 12. September steht die Veröffentlichung der Pilotstudie zur «Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche Schweiz» an. Im Vorfeld der Publikation sorgt die Studie für Nervosität in den Bistümern. Eine glaubwürdige und empathische Kommunikation von Verfehlungen in diesem sensiblen Bereich ist anspruchsvoll. Da kommt die Recherche des Beobachters zu einem für die Kirche und das Bistum Basel denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

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