31.08.2014

Er dreht, dreht, weht der Wind

Von Horizonte Aargau

Spätestens seit dem Unglück in Fukushima wird die Problematik von Kernkraftwerken erkannt, Saubere, natürliche, erneuerbare Energiegewinnung wird Thema, und damit rücken auch die Windenergie-Anlagen vermehrt ins Zentrum. In der Schweiz gibt es ein gutes Windstrom-Potenzial, auf den Jura- und Voralpen-Höhen, in den Alpentälern und auf Pässen weht der Wind so stark, dass seine Energie sinnvoll genutzt werden kann. Im Berner Jura auf dem Mont Crosin befindet sich der älteste und grösste Windpark der Schweiz.

Auf der Hinfahrt reden wir noch von «Windredli», Assoziation ist das bunte Ding an einem Holzstab, das Rennen im Wind und die Freude, wenn das Rädchen surrt und flitzt. Unsere Wanderung beginnt in typischer Jura-Landschaft: Dunkle Wälder, ausgedehnte Blumenwiesen, Steinmauern und Bauernhäuser, denen man die langen, harten Winter ansieht. Wir hören sie, bevor wir sie sehen – und bleiben dann staunend stehen: Das sind nicht Redli, das sind gigantische Räder! Weit über hundert Meter hoch ragen die Anlagen in den Sommerhimmel, die riesigen Flügel drehen im Wind und machen ein Geräusch, das doch etwas anders tönt als das Surren der Kinderspielzeuge. Warum tauchen ausgerechnet hier die Worte aus dem Buch Kohelet (1,6) auf: «Er dreht, dreht, weht der Wind…» Und ehrlich, im ersten Moment könnte ich nicht sagen, ob das hier schöne Hightech ist oder schmerzliche Störung einer wunderbaren Landschaft.

Strom ohne Risiken und Nebenwirkungen
Spätestens seit dem Unglück in Fukushima wird die Problematik von Kernkraftwerken erkannt, es tritt eine Wende in der Atomstrom-Politik ein. Was für ein paar Jahrzehnte als sicher galt, wird – buchstäblich – rissig und bröckelt. Saubere, natürliche, erneuerbare Energiegewinnung wird ein Thema, und damit rücken auch die Windenergie-Anlagen vermehrt ins Zentrum. Wind ist eine unerschöpfliche Energiequelle, Windturbinen verwandeln die Kraft des Windes in sauberen Strom, dabei entstehen keine Schadstoffe, keine Grossrisiken, keine Problemabfälle. In der Schweiz gibt es ein gutes Windstrom-Potenzial, auf den Jura- und Voralpen-Höhen, in den Alpentälern und auf Pässen weht der Wind so stark, dass seine Energie sinnvoll genutzt werden kann. Heute sind in unserem Land insgesamt 30 Windenergieanlagen im Jura, im Wallis, im Entlebuch und im Urnerland in Betrieb. Die Anlage im urnerischen Gütsch ob Andermatt ist übrigens auf 2332 m.ü.M. der höchste Windpark Europas. Die Schweizer Anlagen produzieren pro Jahr 707 Gigawattstunden (GWh), das deckt den Strombedarf von 21‘560 Haushalten. Mittelfristiges Ziel ist es, mit 375 Anlagen 1‘500 GWh zu produzieren, langfristig könnten es mit 800 Anlagen 4000 GWh sein, das wären 1 Million Haushalte oder rund 7 Prozent des heutigen schweizerischen Strombedarfs.

Umstrittene Windmühlen
Im Berner Jura auf dem Mont Crosin befindet sich der älteste und grösste Windpark der Schweiz. Er ist nicht unumstritten. Gegner formieren sich, es fallen Stichworte wie Lärm, Vogelschutz, Naturschutz, Ausbeutung und immer wieder Landschaftsschutz: Die hohen, ausladenden weissen «Windmühlen» sind, so die Gegner, Zerstörung von Landschaftsbildern, Verschandelung der Natur, wenig effizient im Vergleich zu Aufwand und Kosten. Wir durchschreiten den Windpark, studieren auf Plakaten Zahlen und Fakten, schauen immer wieder empor zu den Windrad-Riesen oder schliessen die Augen und lauschen dem Schwingen der Flügel.

Ein Tourismusmagnet
Wir machen Pause bei Erika Fahrni, der Bäuerin, die seit vierzig Jahren hier oben lebt und arbeitet. Sie hat jetzt ihre Tenne geräumt, mit Tischen und Bänken bestückt und bewirtet auf Anfrage Besuchende des Windparks mit regionalen Produkten, mit Jurakäse, mit selbstgebackenem Brot; während wir zusammen plaudern, brennt das Feuer im grossen Grill zur Glut nieder, auf der sie für eine eintreffende Gruppe Fleisch braten wird. Am Ende unserer Wanderung kehren wir in der «Auberge du vert bois» ein, das Essen ist vorzüglich, die aufziehenden Nebelschwaden lassen die Windräder auf einmal verschwinden, es bleibt das Geräusch der Drehbewegungen, über unseren Köpfen entsteht Strom.

Hin und her gerissen
Die Gespräche auf der Rückreise ins Flachland sind geprägt vom Ringen um einen eindrücklichen Gegensatz: Die herrliche Jura-Landschaft und die gigantischen Windmühlen. Berechtigen die Bemühungen um alternative, saubere Energien solche Bauten? Wollen wir das vielleicht einfach nicht wahrhaben, weil unsere techniksatten, stadtmüden Seelen Erholung suchen möchten in intakten, unberührten Gegenden. Aber – Hand aufs Herz: Solche gibt es seit Jahrzehnten immer weniger. Die Zersiedelung der Landschaften nehmen wir in Kauf, weil wir Wohnraum brauchen. Das immer dichter werdende Strassennetz erachten wir als nötig, damit der Verkehr rollen kann. Jede mittelgrosse Ortschaft hat mittlerweile ihre Industriezone, nichts dagegen, aber häufig sind das keine Augenweiden. Die Bilder von Handy- und PC-Schrottbergen auch nicht. Wenn’s um Energieproduktion geht: Selbst wenn wir Strom sparen lernen müssen, wird unser Bedarf auch in Zukunft nicht klein sein. Damit ein Teil davon mit Windstrom gedeckt werden kann, sind ein paar hundert Windmühlen sicher nicht der schlechteste Kompromiss, den wir je eingegangen sind. Marie-Louise Beyeler

 

Ausflugstipp

Wind und Sonne

Um den Windpark auf dem Mont Crosin sowie das Sonnenkraftwerk auf dem Mont Soleil samt dazwischen liegendem Erlebnispfad zu besuchen, empfiehlt sich die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr nach Saint-Imier. Der Ort inmitten des Berner Juras ist aus dem Aargau innert anderthalb Stunden mit dem Zug via Biel erreichbar. Von Saint-Imier aus verkehrt ein Bus auf den Mont Crosin sowie eine Standseilbahn auf den Mont Soleil. Auf Anfrage können geführte Besichtigungen gebucht werden (erforderliche Gruppenmindestgrösse: Sechs Personen).

www.juvent.ch

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