07.03.2024

Beitrag zur Ökumenischen Kampagne 2024
Essen ist nicht Wurst

Von Eva Meienberg

  • 170 Abonnentinnen und Abonnenten betreiben in Wölflinswil eine solidarische Landwirtschaft.
  • Dort produzieren sie gemeinsam ihr Biogemüse – regional und ohne Food Waste.
  • Damit leisten sie einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und helfen den Menschen im globalen Süden.

«Diese Liste ist heilig», sagt Barbara. Auf ihr ist vermerkt, wie viel von welchem Gemüse das Abpackteam in die Plastikkörbe packen muss. 800 Gramm Randen bekommen die grossen Abos und 400 Gramm die kleinen. Heute gibt es auch Petersilienwurzel, Rüebli, Zwiebeln, Süsskartoffeln, Lauch und Salat für die 130 Genossenschafterinnen und Genossenschafter der solidarischen Landwirtschaft GartenBerg. Barbara, Ruth und Graziella bilden das Abpackteam. Seit halb acht arbeiten die Pensionärinnen im Folientunnel neben dem Altenberghof ob Wölflinswil. Die ersten rund 70 Körbe müssen um halb zehn parat sein, dann kommt Moni und fährt sie in die Depots. Diese sind an verschiedenen Orten im Fricktal, in Küttigen, Buchs und an drei Standorten in Aarau.

Barbara und Ruth sind dank der Solawi nicht nur Genossenschafterinnen sondern auch Freundinnen geworden. |Foto: Manuela Matt

Neue Generation – neue Ideen


Ökumenische Kampagne

Jeder Beitrag zählt!

«Überkonsum verschärft den Klimawandel. Das bedroht die Lebensbedingungen im Süden. Weniger ist mehr. Übernehmen wir zusammen Verantwortung. Wenn wir jetzt gemeinsam handeln, können wir das 1,5-Grad-Ziel noch schaffen», schreiben die Hilfswerke HEKS und Fastenaktion in ihrem Aufruf zur Ökumenischen Kampagne 2024. Diese schliesst den vierjährigen Zyklus zum Thema «Klimagerechtigkeit» ab und ruft dazu auf, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unseren CO2-Ausstoss massgeblich zu verringern.

Hören Sie dazu den Podcast «Laut + Leis» von kath.ch mit Bernd Nilles von Fastenaktion.

Die solidarische Landwirtschaft auf dem Altenberg ist noch jung. Entstanden ist sie während und auch ein bisschen dank Corona. «Das Bedürfnis der Menschen, draussen zu sein, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen und sich gesund zu ernähren, war während der Pandemie gross und hat unserer Idee zum Erfolg verholfen», sagt Irene. Das Ehepaar Irene und Fabio Tanner hat den Hof von Fabios Eltern 2017 übernommen, auf biologische Landwirtschaft umgestellt und verschiedene Projekte geprüft, um den Hof weiterzuentwickeln. «Wir wollten unseren Hof beleben, für andere Menschen zugänglich machen», sagt Irene, «wir sind nicht so gern allein.» Im Juli 2020 wurde die Genossenschaft gegründet und die Stelle für eine Gemüsefachkraft ausgeschrieben. Die Genossenschaft pachtet gut eine Hektare Land vom Altenberghof, auf der sie Gemüse anbaut. Neben den Kosten für das Gemüseabo bezahlen die Genossenschafterinnen und Genossenschafter einen Genossenschaftsanteil und verpflichten sich, mindestens acht halbe Tage im Gemüseanbau mitzuarbeiten. Arbeit gibt es auf dem Feld beim Jäten, beim Ernten oder beim Abpacken. An den Aktionstagen, die jeweils am Samstag stattfinden, werden ausserdem viele andere Arbeiten angepackt, bei denen oft auch die Kinder mithelfen können.

Bäuerin Irene und Gartenfachkraft Laura gehen in der Solawi ihren Berufen lieber nach. | Foto: Manuela Matt

Gemeinsam eigenes Gemüse

Graziella schreibt sich immer fürs Abpacken ein. «Eigentlich hätte ich gern einen eigenen Garten, aber meine Hüfte macht da nicht mit. Dank der solidarischen Landwirtschaft kann ich doch einen Garten haben», sagt die 65-Jährige. Sie sei in einer Familie mit wenig Geld aufgewachsen, nur für die Buben habe es damals Fleisch zu essen gegeben. Als auch sie hätte Fleisch essen können, habe sie gar keine Lust mehr darauf gehabt. Heute ist sie überzeugte Vegetarierin. Sie teilt sich das Gemüseabo mit einer Kollegin. Das Gemüse für die erste Depot-Tour ist in die Körbe verteilt, als plötzlich Aufregung entsteht. Moni fährt zum ersten Mal mit dem neuen Bus aus, für den Fabio aus Schaltafeln ein Gestellt gebaut hat, um die Körbe zu stapeln. «Wenn man weiss, wie es geht, ist die Installation einfach», sagt Fabio, während er die Frauen anleitet.

Dank der Solawi kann auch Graziella einen Garten haben. | Foto: Manuela Matt

Freundschaften schliessen

Es gibt mehr Frauen als Männer, die in der Solawi GartenBerg mitarbeiten. Barbara ist eine besonders Engagierte, sie hat die Koordination des Abpackens mit Ruth zusammen übernommen. Wenn jemand fehlt, organisieren sie sich untereinander. «Das Beste an GartenBerg ist, dass ich hier Freundschaften schliessen kann», sagt Barbara. Sie habe Ruth beim Abpacken kennengelernt und hier träfen sie sich nun fast wöchentlich. Wenn sie nicht gemeinsam abpacken, treffen sie sich zum Kaffee. Barbara engagiert sich auch bei der Organisation «Tischlein deck dich». Dort sieht sie, wie viele Nahrungsmittel in der Schweiz übrig bleiben. In der Solawi gibt es in der Produktion keinen Food Waste (Lebensmittelverschwendung). Auch die krummen Rüebli finden ihren Weg in den Gemüsekorb. Barbara findet es wichtig, dass das Gemüse aus der Region kommt. Je nach Saison gebe es dann halt nicht immer jedes Gemüse. Himbeeren aus Peru in die Schweiz zu fliegen, findet sie unnötig. Sie wolle aber nicht mit erhobenem Zeigefinger den Menschen sagen, was sie essen sollen, sondern mit gutem Beispiel vorangehen. Darum engagiere sie sich in der solidarischen Landwirtschaft.


Solidarische Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft (Solawi) wird auch als regionale Vertragslandwirtschaft bezeichnet. Dies bedeutet, dass Landwirtinnen und Konsumenten direkt zusammenarbeiten. Sie bestimmen gemeinsam, was produziert wird. Dadurch entfällt die Vermarktung. Verantwortung und Risiken werden gemeinsam getragen. Die Konsumentinnen, die sich meist zu einer Genossenschaft zusammenschliessen, bezahlen nicht die Produkte, sondern den Betrieb. Das macht die Solawi unabhängig von Marktzwängen und ermöglicht eine gute landwirtschaftliche Praxis, die den Boden fruchtbar erhält und bedarfsorientiert wirtschaftet. Solidarische Landwirtschaft gibt es in der Schweiz seit den 1970er-Jahren. Aktuell gibt es schweizweit rund 40 Betriebe, 30 davon in der Romandie.

Die Zukunft der Landwirtschaft

Bevor die Körbe für die zweite Depot-Tour vorbereitet werden, gibt es eine Pause an der Wärme. Graziella hat Kaffee gemacht und Ruth hat einen Kuchen mitgebracht. Mit am Tisch sitzt auch Laura. Sie arbeitet als Gartenfachkraft für die Genossenschaft. Die 34-Jährige hat bereits ihre Ausbildung in einer solidarischen Landwirtschaft absolviert und danach für einen privaten Betrieb gearbeitet. «Meine Motivation, als schlecht bezahlte Gemüsegärtnerin für den Gewinn meines Chefs zu arbeiten, wurde immer kleiner», sagt Laura. Darum hat sie sich auf die Stelle als Gemüsefachkraft von GartenBerg beworben. Für die Arbeit in der solidarischen Landwirtschaft erhalte sie Wertschätzung der Genossenschafterinnen und Genossenschafter und erlebe, wie sie sich am Gemüse freuen. Die Verantwortung für den Betrieb verteile sich auf viele Schultern und sie sei nicht immer alleine auf dem Feld. Laura lernt bei ihrer Arbeit immer wieder neue Menschen kennen. Es sei schön zu erleben, was gemeinsam möglich sei. «Für mich ist die solidarische Landwirtschaft die Zukunft», sagt Laura.

Das Abpackteam macht sich wieder an die Arbeit und bereitet die Gemüsekörbe für die zweite Tour vor. Barbara und Ruth prüfen zu zweit die Namensschilder auf den Körben. Ruth hatte einen eigenen Garten, den sie zu­gunsten der solidarischen Landwirtschaft aufgegeben hat. Sie zieht nur noch spezielle Tomatensorten, deren Samen sie extra aus Deutschland holt. Im Rest des Gartens hat sie Stauden für die Bienen gepflanzt. «Der Garten gehört jetzt den Bienen», sagt Ruth und muss dann mit Barbara weiter kontrollieren, denn bald kommt Moni für die zweite Tour.

Die Gemüsekörbe werden nun auf die Depots verteilt, von wo die Genossenschafterinnen sie einmal in der Woche abholen. | Foto: Manuela Matt
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