30.03.2023

Kirchenratspräsident Luc Humbel will die Glaubwürdigkeit der Kirche zurückgewinnen
Für eine politische Kirche, die gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung eintritt

Von Eva Meienberg

  • Die neuesten Zahlen zeigen: die Austritte der Kirchenmitglieder stagnieren auf hohem Niveau.
  • Die Antwort auf die Krise sei die Zurückgewinnung der Glaubwürdigkeit, sagt Kirchenratspräsident Luc Humbel im Interview.
  • Dazu soll die Kirche Tempo machen bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle, bei der Frauenordination und gegen die Diskriminierung von Menschen mit diversen sexuellen Orientierungen.

Luc Humbel, wie wollen Sie die Glaubwürdigkeit der Kirche zurückgewinnen?
Luc Humbel: Wir haben eine Vertrauenskrise in der Kirche, die mit den Missbrauchsfällen in Zusammenhang steht. Die Krise betrifft aber auch die Frage, wie sich die Kirche zu gesamtgesellschaftlichen Fragen positioniert. Stichwort: Gleichberechtigung oder Sexualmoral. Es geht dabei nicht darum, einem Mainstream zu folgen. Sondern ich kann es mit meinem Glauben nicht vereinbaren, dass wir in der Kirche Menschen ausgrenzen. Meine Kirche muss einladend sein.

Was sagen Sie den Menschen, die Homosexualität als Sünde sehen?
Dafür müssen diese Menschen selbst eine Lösung finden. Ich sehe unsere Kirche nicht als eine Kirche der Bekennenden, sondern als Volk Gottes, das unterwegs ist. Eine Kirche, die sich den Fragen der Diskriminierung und der Gleichberechtigung nicht stellt, kann irgendwann nicht mehr meine Kirche sein, weil sie im wahren Sinn vom Wort für mich dann nicht mehr glaubwürdig ist. Ausserdem hindert die Kirche mit einer Öffnung der Sexualmoral niemanden daran, sein Leben für sich anders zu leben, so, dass er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann.

Die Kirche hindert bei uns auch niemanden daran, sein Leben freier zu leben, als es ihrer eigenen Sexualmoral entspricht.
Sie hindert sie nicht, aber sie verurteilt sie. Die gleiche Situation haben Sie bei den geschiedenen Personen. Grundsätzlich sind sie von der Kommunion ausgeschlossen. Zum Glück wird dies in keiner Pfarrei so praktiziert. Die Lehre, die nicht durchgesetzt wird, weil selbst die Kirche nicht mehr hinter ihr stehen kann, ist für mich scheinheilig. Diese Lehre muss angepasst werden.

Sie sagen, dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle schneller umgesetzt werden muss. Haben Sie als Präsident der Aargauer Landeskirche eine Möglichkeit, Tempo zu machen?
Auf nationaler Ebene habe ich schon vor zehn Jahren gefordert, dass es eine gesamtschweizerische Untersuchung geben soll. Erst jetzt gibt es sie. Wir haben zehn Jahre verloren. Als Landeskirchen können wir Anträge stellen, durchsetzen können wir sie nicht.

Im Interview mit der Aargauer Zeitung fordern Sie, dass sich die Kirche politisch äussern soll. Wer soll hier für wen sprechen?
Es gibt Fragen, bei denen es schön wäre, wenn die Kirche eine geeinte Haltung hätte, etwa zur Klimathematik, die eng mit der Bewahrung der Schöpfung verbunden ist.

Wie steht es mit Parolen zu Abstimmungsvorlagen?
Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich zum Beispiel eine Landeskirche zu einer Vorlage wie die der Massentierhaltung vernehmen lässt. Da müsste der Bischof nicht gleicher Meinung sein wie die Landeskirche. Das Gremium spräche dann für sich als Teil der Kirche. Wir haben uns aktuell nicht zur Vorlage geäussert, weil wir noch die Auswirkungen der Diskussionen rund um das politische Engagement der Kirche zur Konzernverantwortungsinitiative spüren.

Mitgliederzahlen 2022

Die Römisch-Katholische Kirche im Aargau verzeichnete im Jahr 2022 einen Mitgliederrückgang von 4’363 Personen. Das ist ein Minus von 2,2 %. Der Rückgang stagniert auf dem Niveau der Vorjahre, die Eintrittszahlen sind 2022 mit 205 Kircheneintritten etwas höher als bis anhin.

Welche Rolle kommt den kirchlichen Publikationen zu im politischen Engagement der Kirchen? Soll das Pfarrblatt Horizonte politischer werden?
Die Pfarrblätter sollen unabhängige Kräfte sein, die aber nicht gegen das System arbeiten. Sie sollen eine eigene Haltung haben, die als solche erkennbar ist. Sie sind nicht die Kirche, sondern ein Teil der Kirche. Es ist wichtig, dass immer ganz klar ist, wer der Absender einer Botschaft ist. An diese Adresse soll dann auch die Kritik gehen.

Sie fordern angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen radikale Reformschritte. Welche sind das konkret?
Es geht hier um die Diskriminierung der Frauen und Menschen mit diversen sexuellen Orientierungen. Die heutige Haltung der Kirche diesen Fragen gegenüber ist nicht glaubwürdig. Es genügt heute nicht mehr, dass ein Bischof sagt, ich habe nichts gegen die Ordination der Frauen. Das interessiert mich nicht. Die Frage ist vielmehr: Sind die Bischöfe für die Ordination der Frauen und was machen sie dafür?

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.