01.08.2022

Helena Guarisco aus Wohlen feierte an diesem 1. August gleich ein doppeltes Jubiläum
Für Kirche, Kultur und Vaterland

Von Christian Breitschmid

  • Seit 30 Jahren verkauft Helena Guarisco-Meyer aus Wohlen die 1.-August-Abzeichen der Stiftung Pro Patria.
  • Sie tut das mit ausgezeichnetem Erfolg, aus Überzeugung und aus Heimatliebe.
  • Dieses Jahr feiert die Stiftung Pro Patria ihr 100. Abzeichen, durch dessen Verkauf auch Kirchenkulturgüter der Schweiz erhalten bleiben.

Niemand, der der quirligen, kontaktfreudigen und sympathischen 1.-August-Abzeichenverkäuferin mit den stahlblauen Augen begegnet, würde glauben, dass diese Frau im Oktober ihren 72. Geburtstag feiert. Helena Guarisco hat aber auch selber gar keine Zeit, über so etwas wie Jahrzahlen gross nachzudenken. Dafür ist sie viel zu beschäftigt. Während Herr und Frau Schweizer nämlich am 1. August gemütlich am Grill stehen und ihre Cervelats wenden, weibelt die gebürtige Wohlerin, wie schon in den Wochen vor dem Bundesfeiertag, durch die Strassen ihres Heimatdorfes, steht im Coop, zwischen Kassen und Wägelipark, da, wo man sie nicht übersehen kann, und pendelt zwischen Solothurn, Dottikon, Dintikon, dem Rütli und Zürich hin und her, wo sie überall die Pro-Patria-Abzeichen verkauft.

Hundert mal Schweiz

Seit 30 Jahren schon setzt sich Guarisco auf diese Weise dafür ein, dass das kulturelle Erbe der Schweiz gepflegt wird und erhalten bleibt. Dieses Jahr darf sie auf ihren Touren gleich zweifach Jubiläum feiern. Da ist zum einen ihr eigenes, das 30-jährige, und auf der anderen dasjenige der Stiftung Pro Patria, die in diesem Jahr ihr 100. 1.-August-Abzeichen präsentiert. Die aus Kunststoff geformte, transparente Hundert mit einem silbernen X und einem weissen Kreuz auf je einer der Nullen, bedeutet ganz einfach: hundert mal Schweiz. Den Erlös aus dem Verkauf dieser Abzeichen – eines kostet fünf Franken – verwendet Pro Patria dafür, zum Gedenken an die Gründung der Schweizerischen Eidgenossenschaft kulturelle und soziale Werke und Projekte der Schweiz zu fördern.

«Ich liebe die Schweiz»

Mit den Zielen ihrer Auftraggeberin kann sich Helena Guarisco voll und ganz identifizieren: «Ich liebe die Schweiz mit all ihren kulturellen Eigenheiten und Schätzen. Für mich ist auch die Kirche ein Kulturgut. Pro Patria unterstützt ja auch immer wieder kirchliche Projekte.» Als Beispiel nennt sie etwa die Renovierung der Kirche St. Georg und Anna in Bünzen, deren kunstvolle Grisaillemalereien dank Pro Patria wieder in alter Frische das Auge täuschen. Aber auch in Wohlen selber hat Guariscos unermüdlicher Abzeichenverkauf mit dazu beigetragen, dass nicht nur der denkmalgeschützte «Sternen» seine Fassade auffrischen konnte, sondern auch das Wohler Strohmuseum eine Anschubfinanzierung erhielt.

Für das Vorzeigemuseum Wohlens hat sich Guarisco sogar in dessen heiligen Hallen vor laufender Kamera interviewen lassen. Das Ergebnis ist auf der Website von Pro Patria unter der Rubrik «Kulturschatzkarte» zu sehen: www.propatria.ch/kulturschatzkarte. Zur Einweihung der fertig renovierten Bünzer Kirche wurde sie denn auch als offizielle Vertreterin der Pro Patria eingeladen. Als eine der erfolgreichsten Abzeichenverkäuferinnen der Stiftung erhielt sie schon dreimal eine Auszeichnung. Die erste, ein Goldvreneli, hat sie damals im Nachhinein einem ihrer fleissigsten Mitverkäufer, einem Ministranten aus Wohlen, zum Abschied geschenkt.

Zuerst mit der Tochter

Mit den Ministranten hat damals auch alles angefangen. In Wohlen lief der Verkauf der 1.-August-Abzeichen ursprünglich über die katholische Kirche. Eines Tages kam Guariscos Tochter, Gianna, nach Hause und fragte, ob sie auch Abzeichen verkaufen dürfe, der Sakristan habe sie angefragt. «Sie war noch eine Primarschülerin und im Rechnen und im Umgang mit Geld noch nicht soweit, dass sie damit alleine klargekommen wäre», erinnert sich die Mutter, «also sagte ich zu ihr: ‹Ja, du darfst das. Aber ich begleite dich.›»

In der Folge verkauften Mutter und Tochter 300 Abzeichen. Es wurden dann jedes Jahr mehr. Irgendwann übernahm Guarisco die ganze Organisation des Abzeichenverkaufs. Anfangs unterstützten sie beim Verkauf auch nach wie vor die Ministranten der Pfarrei, doch im Laufe der Jahre hatten diese immer weniger Zeit dafür. Heute sind es nur noch ein paar wenige Erwachsene, die mit ihr zusammen die Abzeichen verkaufen, unter ihnen etwa der «Chlausvater» von Wohlen, Rolf Wüst, und – wann immer es ihr Terminkalender zulässt – Tochter Gianna.

«Dieser Fünfliber ist gut investiert»

Helena Guarisco erlebt normalerweise viel Schönes beim Verkaufen der Abzeichen. Viele Menschen kennen ihre Tour und ihre Standorte und warten jedes Jahr schon auf sie, um ihr ein Abzeichen abzukaufen. «Ich schätze diesen Austausch mit den Menschen sehr», sagt Guarisco, «und wenn ich den skeptischen dann erkläre, wofür Pro Patria den Erlös aus dem Abzeichenverkauf einsetzt, dann haben schon viele eines gekauft, die erst gar keines wollten.» Es komme auch immer wieder mal vor, dass jemand einfach so einen Beitrag für Pro Patria spende, ohne ein Abzeichen zu beziehen. «Das wird dann fein säuberlich aufgeschrieben und mit der Schlussabrechnung an die Stiftung überwiesen», betont Guarisco, die sich als Zählerableserin der Industriellen Betriebe Wohlen IBW, exaktes und zuverlässiges Arbeiten gewohnt ist.

Es gibt nur eine Art des Umgangs, den sie überhaupt nicht schätzt. Es sind das die Leute, die sie höflich grüsst und fragt, ob sie ein 1.-August-Abzeichen kaufen möchten, und die sie dann schroff abputzen mit Bemerkungen wie: «Ich bin kein Schweizer» oder: «Ich brauche das nicht». In solchen Fällen entgegne sie dann jeweils nur kurz: «Ich brauche das auch nicht. Aber es ist eine gute Investition.» Dieser Fünfliber sei wirklich gut investiert, hakt sie im Interview nach. Es lohne sich doch, die Kultur der Schweiz zu pflegen.

Auf die Frage, ob sie sich als Patriotin bezeichnen würde, sagt die Freiämterin: «Patriotin klingt für mich so fanatisch. Das bin ich nicht. Aber ich bin eine Schweizerin, ja, und ich bin dem Herrgott dafür dankbar, dass ich hier geboren wurde und hier leben darf. Ich sage immer: ich habe nicht viel, aber ich habe alles.»

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