04.04.2023

UNSER VATER von Miklós Gimes ist der Film über einen Priester, der sechs Kinder mit vier Frauen zeugte
«Genommen, erdrückt und weggeworfen»

Von Eva Meienberg

  • Der Dokumentarfilm von Miklós Gimes zeigt die heimliche unheimliche Geschichte von Anton Ebnöther.
  • Der Priester zeugte in den Fünfziger- und Sechzigerjahren mit vier Frauen sechs Kinder und die Amtskirche schaute zu.
  • Bis heute leiden die Betroffenen am Tabu, das Kind eines Priesters zu sein.

«Warum hat sie nie darüber geredet», fragt Lisbeth und weint. Die Siebzigjährige sitzt mit ihrem Mann auf dem Sofa in ihrer Stube. Im Fernseher schauen sie eine Szene aus dem Dokumentarfilm UNSER VATER von Miklós Gimes. Da versucht Lisbeths hochbetagte Mutter zu erklären, was ihr Anfang der Fünfzigerjahre widerfahren ist. Damals, als Anton Ebnöther die Pfarrköchin «genommen, erdrückt und weggeworfen» hatte. Beschämt beschreibt Lisbeths Mutter die Vergewaltigung.

Vater oder Erzeuger?

Anton Ebnöther war katholischer Priester und zeugte mit vier Frauen sechs Kinder. Es gebe Hinweise, dass es noch mehr seien, sagt der Filmemacher Miklós Gimes. «Für die einen seiner Kinder ist Anton Ebnöther eine Art Vater, für die anderen lediglich der Erzeuger. Seine Verantwortung hat er bei allen Kindern nicht wahrgenommen. Und einige leiden heute noch am Tabu, das Kind eines katholischen Priesters zu sein.»

Anton Ebnöther war Priester und hat in seiner Zeit als Vikar mehrere Kinder gezeugt. | Foto: filmbringer.ch

Vor sechs Jahren, als Lisbeth ihn für das Filmprojekt gewinnen wollte, war Miklós Gimes zunächst skeptisch. Von der katholischen Kirche, von Religion verstehe er wenig, sagte sich der Filmemacher damals. Er selbst sei säkular, seine Vorfahren assimilierte ungarische Jüdinnen und Juden. Inzwischen habe er viel gelernt über die katholische Kirche mit ihrer Sexualmoral, dem Zölibat, den Geheimnissen und dem Schweigen. Genau diese Geschichte wollten die Geschwister erzählen, Miklós Gimes half ihnen dabei.

Kein Psychogramm, keine Erklärungen

Wie eine Zeitreise in die Fünfziger- und Sechzigerjahre der Schweiz sei die Filmarbeit gewesen. «Ich habe gesehen, wie viel psychischer Druck die Kirche damals auf ihre Mitglieder ausüben konnte. Statt sich zu wehren, haben sich die meisten Menschen unterworfen wohl aus Angst, ausgeschlossen zu werden oder in der Hölle zu landen.»

Miklós Gimes konstruiert das Bild des abwesenden Vaters durch die Erzählungen von Anton Ebnöthers Kindern und ergänzt sie mit Audioaufnahmen und Fotografien. Über Anton Ebnöthers Vergangenheit erfahren wir nichts. Kein Psychogramm habe er erstellen, keine Erklärungen abgeben wollen, sagt Miklós Gimes.

Kein Kauz, sondern ein Vergewaltiger

Der Film beginnt mit den krosenden Audioaufnahmen, die Anton Ebnöther mit seinem Kassettengerät gemacht hatte. Mit vibrierender Bassstimme besingt er seine Heimat und Gottes wunderbare Wege. Je mehr wir über den Priester mit der ungezügelten Libido erfahren, je skurriler und unheimlicher werden seine Lieder. Denn der Mann, der mit gezwirbeltem Schnauz keck von einem Foto lacht, ist nicht einfach ein komischer Kauz, sondern ein Vergewaltiger.

Monika ist die Drittjüngste unter den Geschwistern. Ihre Mutter kam damals als Blauring-Leiterin ins Pfarrhaus zu Anton Ebnöther, wo der Vikar sie vergewaltigte. Als sie ihn schwanger um Hilfe bat, speiste er die junge Frau mit 200 Franken in einem Couvert ab. Sie solle damit machen, was nötig sei. Der Priester erhoffte sich wohl, sie würde das Kind abtreiben. Monikas Mutter kaufte sich vom Geld Wolle und begann für ihr Ungeborenes zu stricken.

Aber nicht allen Frauen hat Anton Ebnöther Gewalt angetan. Toni und Christina waren Wunschkinder ihrer Mutter. Weil sie von ihrem Mann nicht schwanger wurde, half Vikar Ebnöther aus. Die Mutter von Daniela und Adrian hatte Anton Ebnöther gern und verteidigte den abwesenden Vater vor ihren Kindern ein Leben lang. Heute sieht auch sie ihn mit kritischen Augen.

Widersprüche einer Missbrauchsgeschichte

Es ist eine Qualität des Filmes, dass Miklós Gimes Anton Ebnöther nicht als Monster zeichnet, sondern die vielen Widersprüche dieser Missbrauchsgeschichten stehen lässt. Das ist bisweilen schwierig auszuhalten. Gleichzeitig wird verständlich, wie solche Gräuel passieren: wenn Menschen in Gottes Namen ihre Macht missbrauchen, die Abhängigkeit anderer Menschen ausnützen und darauf vertrauen können, dass nicht gesagt wird, was nicht sein darf.

Die Priesterkinder zu Gast auf dem Schloss in Chur bei Bischof Joseph Maria Bonnemain. | Foto: filmbringer.ch

Rahmenveranstaltungen zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche

Im Kanton Aargau läuft UNSER VATER im Kino Odeon in Brugg. Im Zusammenhang mit der Filmvorführung finden an verschiedenen Orten Veranstaltungen mit Podien zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche statt. Wenn Sie selbst das Opfer eines Missbrauchs sind, finden sie hier Anlaufstellen.



Etwas verunsichert lässt einen die Szenen auf dem bischöflichen Schloss zurück. Dort empfängt Joseph Maria Bonnemain, der Bischof von Chur, die Geschwister zu einer erneuten Aussprache. Sie gelangten schon vor den Dreharbeiten an Bischof Bonnemain, als dieser noch Offizial des Bistums war, um Einsicht in die Akten ihres Vaters zu erhalten. Nun sitzen die Geschwister um eine grosse Tafel, die Türe geht auf wie bei einem Schwank. Der Auftritt des Bischofs entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität. Unverständlich bleibt, dass er als Mitglied des bischöflichen Fachgremiums gegen sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld in dieser Runde den Pflichtzölibat verteidigt. Ist das der Mann, der dem sexuellen Missbrauch in der Kirche den Kampf angesagt hat? Immerhin redet Bischof Bonnemain im Film über den sexuellen Missbrauch und entschuldigt sich im Namen der Kirche.

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