19.07.2021

Schweizerischer Katholischer Frauenbund lanciert Aktion zur Bundesfeier 2021
«Helvetia predigt!» am 1. August

Von Christian Breitschmid

  • Vor 50 Jahren, am 7. Februar 1971, erhielten die Frauen in der Schweiz, nach mehr als 100 Jahren Kampf der Frauenbewegung, das Stimm- und Wahlrecht.
  • Grund genug für den SKF, den Schweizerischen Katholischen Frauenbund, am Geburtstag der Schweiz, dem 1. August, dieses Jahr in allen Kirchen die Frauen predigen zu lassen.
  • Auch wenn per Gesetz beide Geschlechter gleichgestellt sind, so sind sie es im Staat, in der Kirche und in den Köpfen der Patriarchen noch lange nicht.


Ein Titel spricht Bände: Helvetia predigt! Unter diesem Motto ruft der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) alle Kirchen der Schweiz dazu auf, am Sonntag, dem 1. August 2021, ihre Ambos, Kanzeln und Altäre frei zu machen, damit Frauen predigen können. Es wäre kein Sonntag in diesem Jahr besser für diese ökumenische Aktion geeignet als eben dieser, an dem die Schweiz ihre Bundesfeier zelebriert. Die Eidgenossenschaft feiert an diesem Tag ihre allegorische Landesmutter Helvetia, und diese hinwiederum, als Frau, die sie ist, feiert bestimmt mit allen Frauen dieses Landes den Umstand, dass sie seit nunmehr 50 Jahren das Recht haben, an Abstimmungen teilzunehmen, zu wählen und selber auch gewählt zu werden.

Ziel: Frauen sichtbar machen

Silvia Huber Studhalter ist Beauftragte für Theologie beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF und Mitinitiantin der Aktion «Helvetia predigt!». | Foto: Thomi Studhalter
Silvia Huber, Beauftragte für Theologie beim SKF und vielen Radiohörern bekannt als regelmässige Predigerin bei Radio SRF in der Radiopredigt, gehört zu einer Gruppe von Theologinnen, die 2019 zusammenfanden, als sie den Frauenkirchenstreik unter dem Motto  «Gleichberechtigung. Punkt. Amen.» ausriefen. Seither treffen sie sich in loser Folge, aber immer dann, wenn eine neue Aktion zur Förderung der Gleichberechtigung angesagt ist. «Diesmal ist es aber keine Protestaktion», betont Huber. «Bei ‹Helvetia predigt!› geht es darum, uns Frauen sichtbar zu machen in der Kirche. Genau wie in den politischen Gemeinden, wo ja auch Frauen dazu eingeladen sind, die 1. August-Reden zu halten. Es ist halt schon so: Wir haben das Stimmrecht und offiziell alle politischen Rechte, aber Frauen sind trotzdem weniger sichtbar.»

Die Forderung des SKF, Frauen am 1. August in den Kirchen predigen zu lassen, dürfte nicht überall auf offene Ohren stossen. Wer das geltende Kirchenrecht streng auslegt, wird weder den 1. August noch die Feier von 50 Jahren Frauenstimmrecht im Sinne von Canon 766 als Ausnahme gelten lassen. Da steht nämlich: «Zur Predigt in einer Kirche oder einer Kapelle können, nach Massgabe der Vorschriften der Bischofskonferenz und vorbehaltlich von can. 767, § 1, Laien zugelassen werden, wenn das unter bestimmten Umständen notwendig oder in Einzelfällen als nützlich angeraten ist.»

Aufgeschlossene Bischöfe

Und auf genau jenen Canon 767, § 1, werden sich all jene berufen, die keinem Laien und schon gar nicht einer Frau das Predigtwort überlassen wollen, denn: «Unter den Formen der Predigt ragt die Homilie hervor, die Teil der Liturgie selbst ist und dem Priester oder dem Diakon vorbehalten wird;…» Der Bischof unserer Diözese und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Felix Gmür, gehört zu den aufgeschlossenen Kirchenfürsten. Ebenso der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel. Beide haben unlängst öffentlich kundgetan, dass in ihren Bistümern die sogenannte Laienpredigt nicht nur toleriert, sondern erwünscht ist. In den Bistümern Basel und St. Gallen, aber auch in vielen Kirchgemeinden anderer Bistümer, legen Frauen seit Jahrzehnten die Bibel aus. Frauen sind nicht nur in dieser Hinsicht aus dem kirchlichen Alltagsleben gar nicht mehr wegzudenken.

Was würde Helvetia wohl sagen, wenn sie am 1. August zu den Menschen sprechen könnte? | Foto: Werner Rolli

Dennoch müssen sich Frauen, auch 50 Jahre nach Anerkennung ihrer politischen Rechte, noch immer rechtfertigen, wenn Sie das Wort erheben wollen: «Es ist immer noch nicht erlaubt, dass wir Frauen Forderungen stellen», sagt Silvia Huber. «Es ist nach wie vor eine Diskussion wert, ob man überhaupt auf diese Idee von ‹Helvetia predigt!› einsteigen will oder nicht.» Sie selber wurde von einem Pastoralraumleiter angefragt, ob sie die Predigt am 1. August halten würde. Sie hat mit Freude zugesagt. Doch dann habe der leitende Priester jenes Pastoralraums entschieden, er wolle doch lieber gleich selbst predigen, dafür müsse man niemanden von aussen holen. «An solchen Feinheiten merkt man, dass diese Aktion nach wie vor nötig ist.»

Auch französische Schweiz erwacht

Silvia Huber Studhalter ist Beauftragte für Theologie beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF und Mitinitiantin der Aktion «Helvetia predigt!». | Foto: Thomi Studhalter
Wieviele Frauen sich in der ganzen Schweiz als Gastpredigerinnen zur Verfügung stellen oder als solche schon von Kirchgemeinden gebucht worden sind, kann Huber nicht sagen. Um diese Statistik zu erfassen und zu verwalten, fehlen der Aktionsgruppe des SKF die Ressourcen. Aber auf der Website des SKF kann man einen Eindruck davon gewinnen, wie vielfältig das Predigerinnenangebot ist. Ausserdem können sich nunmehr Ermutigte auch gleich selber über dieselbe Website als Predigerin zur Verfügung stellen.

Nach dem 1. August werde sich die SKF-Gruppe dann wieder treffen, um auszuwerten, was die Frauen mit «Helvetia predigt!» gesehen, gehört und erlebt haben. «Wir werden uns darüber freuen, was alles gelaufen ist und worüber die Medien berichtet haben», sagt die erfahrene Radiopredigerin und fügt an: «Dann gehen wir als Gruppe in den Winterschlaf und schauen danach wieder, wo’s uns braucht. ‹Helvetia predigt!› ist einfach ein Mosaiksteinchen in der Bewegung ‹gleiche Würde – gleiche Rechte›, nicht mehr.»

Doch dann sprudelt es plötzlich aus der überzeugten Feministin heraus: «Für die französischsprachigen Frauen könnte sich allenfalls etwas verändern. Die welschen Theologinnen und kirchlich engagierten Frauen haben die Aktion ‹Helvetia predigt!› auch aufgenommen. Bei ihnen gibt es einen hohen Nachholbedarf. In einem Artikel durften sie die Aktion ja nicht einmal so nennen. Es hiess dann da ‹Helvetia spricht› oder so, denn predigen darf sie dort offensichtlich noch nicht. (lacht) Eine solche Aktion bringt Schwung. Wir Frauen brauchen gute Erlebnisse und gute Vernetzungen, damit wir dranbleiben. Das hat der Frauenkirchenstreik sehr bewirkt, und ich hoffe, dass auch ‹Helvetia predigt!› etwas in dieser Richtung bewegen wird.»

«Helvetia ist ein Idealbild»

Silvia Huber Studhalter ist Beauftragte für Theologie beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF und Mitinitiantin der Aktion «Helvetia predigt!». | Foto: Thomi Studhalter
Bleibt noch die Frage, wen oder was sich die SKF-Theologiebeauftragte denn selbst unter dem Begriff Helvetia vorstellt. Darauf Silvia Huber: «Sie ist für mich ganz klar eine Allegorie, keine eigentliche Person. Für mich schliesst sie an bei anderen allegorischen Figuren wie etwa der Gerechtigkeit. Solche Figuren werden gerne Frauen zugeschrieben. Man hat Frauen als allegorische Figuren gebraucht, aber die Rechte hat man ihnen nicht gegeben. Es ist einfach so ein Idealbild. Wie beim Muttertag, wo man einmal im Jahr die Mütter feiert, aber nachher sollen sie wieder zurück in die Küche und an den Herd. Man schreibt ihnen viel Gutes und Positives zu, grenzt sich aber auch gleichzeitig wieder ab. Man spricht ja auch nicht von Mutter Staat, sondern von Vater Staat. Darum schaut die Helvetia in Basel wohl auch eher nachdenklich. Denn man hat ihr eine Rolle zugeschrieben, die sie gar nicht entfalten konnte. Wenn ich das weiterspinne, dann sage ich, wir müssen dieser Helvetia nun Fleisch an die Knochen geben oder Leben einhauchen, durch konkrete Frauen, die hinstehen und sich einbringen.»

Silvia Huber macht sich nichts vor. Sie weiss, wie schwer es ist, alte Wege zu verlassen: «Als Feministin sage ich: Das patriarchale System ist so alt, das konnte sich so festigen, dass man es nicht einfach durchbrechen kann. Im patriarchalen System profitieren die Männer, nicht als einzelne, sondern eben als System. In der katholischen Kirche wird das noch gefördert durch die spirituelle Überhöhung dieses patriarchalen Systems, wo die Männer als Nachfolger Jesu direkt von Gott eingesetzt sind. Das macht alles noch zäher. Menschen wollen keine Veränderungen, weil es einfacher ist, so weiterzumachen, wie man’s kennt. Bei Systemen ist das noch extremer. Darum dauert es auch extrem lange, bis sich ein System verändert. Wir sind aber an einem Punkt angelangt, wo die katholische Kirche nicht weiterkommt, wenn sie die Frauenfrage nicht endlich anpackt.» An Themen mangelt es Mutter Helvetia jedenfalls nicht, wenn sie am kommenden 1. August ihre Stimme erhebt.

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