05.10.2023

Care ist Sorge ist lebenswichtig
I care...

Von Eva Meienberg

  • Schon bei den alten Griechen ging die «Care-Arbeit» vergessen.
  • Noch heute ist die lebenswichtige Sorge-Arbeit beinahe unsichtbar und darum – wenn überhaupt – schlecht bezahlt.
  • Die meiste Care-Arbeit wird von Frauen gemacht. Sie sei der heimliche Motor der Wirtschaft, sagt Philosophin Caroline Krüger.

Was ist Care?

Caroline Krüger*: Care ist die Zuwendung, ohne die kein Mensch die ersten Jahre seines Lebens überlebt. Care ist grundlegend für jeden Menschen während seines ganzen Lebens.

Warum verwenden Sie den englischen Begriff Care?
Der englische Begriff «Care» ist verbreitet und meist positiv besetzt. Die deutschen Begriffe Sorge oder Fürsorge werden manchmal mit Sozialhilfe oder Zwangsmassnahmen in Verbindung gebracht und damit negativ bewertet. Care umfasst weitere Aspekte wie Achtsamkeit, Pflege, Umsicht. Care ist ausserdem auch ein Verb. «I care» bedeutet: Ich kümmere mich, etwas ist mir nicht egal. In der englischen Sprache ist Care auch nahe an Cure, was Heilung bedeutet. Wir können nicht alles heilen, aber wir können uns dennoch kümmern, für jemanden sorgen. Der Begriff Care wird international verwendet. Es gibt viele verschiedene Care-Initiativen.

Care-Arbeit ist überlebenswichtig. Rund um die Uhr, ein Leben lang. Die meiste Care-Arbeit wird von Frauen unentgeltlich geleistet. | Illustration: Nathalie Koller/bureauplus.ch

Was hat Care mit Wirtschaft zu tun?
Ohne Care gibt es keine Menschen. Ohne Menschen braucht es keine Wirtschaft. Das ist einer unserer Leitsprüche bei «Wirtschaft ist Care» – weil es stimmt. Wirtschaft wird auch als Ökonomie bezeichnet. Das Wort kommt aus dem Griechischen und ist aus den Begriffen oikos – Haushalt und nomos –Gesetz oder Lehre zusammengesetzt. Bei der Ökonomie sprechen wir also von der Lehre des Haushaltens.

Und wie sieht diese Lehre aus?
Die Ökonomie lehrt, beziehungsweise sollte lehren, wie alle Menschen in Einklang mit ihrer Umgebung gut zusammenleben können, damit alle Bedürfnisse, die der Menschen und ihrer Mitwelt, berücksichtigt werden können. Aber die freien Männer im antiken Griechenland konnten nur deshalb über die Ökonomie philosophieren, weil in der Zwischenzeit unfreie Frauen, Sklavinnen und Sklaven deren Haushalt bestellten, also die Care-Arbeit erledigten. Das war so selbstverständlich für die freien Männer, dass die Care-Arbeit in der Lehre des Haushaltens vergessen ging. Und diese Arbeitsteilung war so selbstverständlich, dass sie zur Natur des Mannes erklärt wurde. Und zur Natur der unfreien Frau wurde es, dass sie sich mit den Sklavinnen und Sklaven um Haushalt und Kinder kümmern sollte. Spuren dieser Auffassung beeinflussen noch heute unser Verständnis von Wirtschaft und Care.

Die Care Arbeit ist also die Voraussetzung für die Ökonomie?
Die Care-Arbeit ist der Mittelpunkt der Wirtschaft, denn ohne die sogenannte reproduktive Arbeit – das Gebären, die Hausarbeit – ist keine produktive Arbeit möglich. Wir sollten das Ganze der Wirtschaft in den Blick nehmen. Das Menschenbild unserer traditionellen Wirtschaft ist falsch. Darin ist der Mensch prototypisch ein erwachsener Mann, gesund und autonom. Das stimmt nicht. Wir sind auch Frauen, schwanger, beeinträchtigt, alt, krank und unmündig und vor allem sind wir alle zuerst Babys und total abhängig. Das Menschenbild, von dem wir ausgehen, sollte sich daher eher am Baby orientieren und unsere Bedürftigkeit nicht verleugnen.

«Wirtschaft ist Care» in leichter Sprache

Wenn Menschen ein Ziel haben, können sie einen Verein gründen.

Wir sind ein Verein.

Der Verein heisst «Wirtschaft ist Fürsorge».

Wir versuchen, mit dem Verein die Wirtschaft zu ändern. In der Wirtschaft soll es nicht nur um das Geld gehen. Wir wollen, dass die Wirtschaft hilft, damit es den Menschen besser geht.

Unser Verein ist in der Schweiz und in Deutschland. Wir arbeiten zusammen mit Österreich. Es gibt auf der ganzen Welt Vereine, die ähnlich sind wie unser Verein «Wirtschaft ist Fürsorge». Alle arbeiten zusammen. Quelle

Welche Arbeiten beinhaltet Care?
Zuerst einmal verstehen wir unter Care Arbeiten, die wir alle machen: kochen, putzen, trösten, zuhören, Windeln wechseln, abstauben… Seit der Pandemie ist das Bewusstsein von Care-Arbeit als Sektor weit verbreitet. In diesen Sektor gehören zum Beispiel medizinische Berufe, in denen sich die Menschen um andere kümmern. Auch pädagogische oder sozialarbeiterische Berufe gehören zu diesem Sektor. Diese Care-Arbeit ist bezahlte Arbeit. Es gibt also bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit.

Wo gibt es sonst noch Care-Arbeit?
Care kann auch als Kriterium für alle Arbeit verstanden werden. Brückenbauen beispielsweise wäre dann Care-Arbeit, wenn die Menschen zweier Dörfer über einen reissenden Bach verbunden werden könnten und die Kinder so einen ungefährlichen Schulweg hätten. Eine Brücke, bei deren Bau ein Naturschutzgebiet zerstört würde, wäre hingegen in Bezug auf das Kriterium keine Care-Arbeit. Für wen ist die Arbeit gut? Wie wird die Arbeit gemacht? Wer entscheidet? Diese Fragen müssten zu Gunsten der Betroffenen und ihres Lebensraums beantwortet werden können.

Da kommen mir die prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege in den Sinn.
Arbeiten im Care-Sektor genügen paradoxerweise oft dem Kriterium Care nicht. Die Arbeitsbedingungen der Pflegenden sind ungenügend und die Arbeit ist vergleichsweise schlecht bezahlt. Wir sollten in allen Arbeiten nach dem Care-Aspekt suchen.

Literatur zum Thema

Ina Praetorius, Uta Meier-Gräwe: Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert. Patmos Verlag, 2023.

Uta Meier-Gräwe, Ina Praetorius, Feline Tecklenburg (Hrsg.): Wirtschaft neu ausrichten. Care-Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, 2023.

Caroline Krüger, Care as a Criterion for Everything We Do (97 -111) in: Vanessa Campos Climent et al, Connecting Sustainability Organizational Models with SDGs. Universitat de València 2023

Caroline Krüger: Care – ein Kriterium nicht nur in der Krise

Hat Care mit Liebe zu tun?
«Das ist keine Arbeit, ich kümmere mich aus Liebe», wird oft argumentiert. Das ist für mich kein Widerspruch. Care ist Arbeit und wir können sie aus und mit Liebe machen. Vielleicht müssen wir sie mit Liebe machen, wenn wir sie gut machen wollen.

Was hat Care mit dem Christentum zu tun?
Im Christentum wird Gott Mensch und ist darum auch zuerst ein Baby. Wir können uns überlegen, was uns diese Abhängigkeit des Gottes bedeuten soll und welche Rolle sie für die Gesellschaft spielt. Ausserdem ist die Sorge um die Seele – die Seelsorge – ein wichtiger Teil der religiösen Praxis.

Warum leisten so viele Menschen unbezahlte Care-Arbeit?
Der Anthropologe David Graeber hat sogenannte Bullshit-Jobs beschrieben: Arbeiten, die von denjenigen, die sie verrichten als sinnlos und teilweise schädlich bewertet wurden. Menschen möchten in der Regel Arbeiten machen, die sinnvoll sind. Care-Arbeit ist per Definition sinnvoll, weil unverzichtbar.

*Caroline Krüger ist freie Philosophin. Sie engagiert sich im Vorstand des Vereins «Wirtschaft ist Care» und auf dem Labyrinthplatz Zürich und ist Mitglied des Zürcher Instituts für philosophische Praxis (ZIPPRA).


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