18.05.2023

Priorin Irene predigte im Vatikan
«Ich habe meinen Raum genutzt»

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr plädiert seit Jahren für die Gleichberechtigung der Frauen innerhalb der römisch-katholischen Kirche.
  • Anlässlich der Vereidigung der neuen Schweizergardisten hielt sie als erste Frau eine Predigt in einem Gottesdienst im Vatikan.
  • Das ist ein Schritt vorwärts, der die Hoffnung auf Veränderung wachhält.

Dass der Aargau dieses Jahr als Gastkanton zur Vereidigung der neuen Schweizergardisten am 6. Mai eingeladen war, bereitete den Boden für ein besonderes Ereignis. Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr war zusammen mit Claudia Mennen, der Leiterin der Fachstelle Bildung und Propstei, verantwortlich für die Vorbereitung der Liturgien für die Vesper am Freitagabend und die Heilige Messe am Samstagmorgen. In der Frühmesse im Petersdom predigt traditionell ein Kardinal, dieses Jahr der Schweizer Kardinal Kurt Koch. Die Predigt in der Vesper am Vorabend der Vereidigung hielt bis jetzt jeweils ein Bischof. Priorin Irene realisierte jedoch bei der Vorbereitung: «Jetzt ist der Moment, ich bin bereit.» Sie beschloss, den Raum, der sich ihr da bot, zu füllen: «Die Vesper ist keine Messe, da kann ich einen Part übernehmen», sagte sie sich.

Ein gutes Miteinander

Bischof Felix Gmür, den sie im Vorfeld informierte, war einverstanden. Es war abgemacht, dass Priorin Irene auf Deutsch predigt und Bischof Felix Gmür einen Teil auf Französisch und Italienisch anfügt. Als Bischof Felix nach ihr das Wort ergreifen sollte, habe er zuerst einen Moment der Stille gehalten und danach auf Französisch und Italienisch schlicht gesagt: «Wir fragen in dieser Stille: was will Gott von mir?», erzählt Priorin Irene. Für sie ein schönes Zeichen: «Ich habe meinen Raum genutzt – und Bischof Felix hat mir diesen Raum gelassen.»

Damit war die Priorin des Klosters Fahr die erste Frau, die im Vatikan gepredigt hat. «Das ist ein Schritt vorwärts, der mich freut und mir Mut macht», sagt sie. Die stimmige Erfahrung stärke sie, denn es habe auch Mut gebraucht, sich dieser Aufgabe zu stellen.

Gegenbild zu Prunk und Macht

Für Priorin Irene war klar, dass sie am Vorabend der Vereidigung etwas Spirituelles in den Mittelpunkt ihrer Predigt stellen würde und nicht kirchenpolitische Anliegen. «Ich habe mir überlegt, was ich diesen jungen Männern sagen soll», sagt sie. «Da habe ich irgendwo den Satz gelesen ‘Gott ist diskret’. Das Bild von Gott als sanftes, leises Säuseln bot sich mir als passendes Gegenbild zum Vatikan an, der als Zentrum der katholischen Welt Macht und Prunk ausstrahlt.»

Die jungen Gardisten und Bundesrätin Viola Amherd in der ersten Reihe haben Priorin Irene aufmerksam zugehört. Lesen auch Sie hier, was Priorin Irene am Vorabend der Vereidigung gepredigt hat.


Aus dir bin ich ganz

Du hast mich, mein Gott, in Dir erdacht,

bevor du gemacht hast den Tag
und die Nacht.

Aus dir bin ich ganz.

Bin ganz Deine Gabe.

Im Feuer im Glanz Deiner Liebe erwacht.

Was ich bin, was ich habe.

Für wen? Wozu?

Seid still.

Das muss ich tief innen
besinnen.

Zurück will mein Wesen,

in Dich, Gott, hinein.

Woher es kam,

dass ich lebe und bin,

da gehöre ich hin,

da will ich sein,

seitdem ich vernahm
und erfahre:

Ich selbst, meine Habe,
ist Deine Gabe.

Für wen? Wozu?

Seid still.

Das muss ich tief innen
besinnen.

Du hast mich geschaffen
und mich mir gegeben,

ich soll so leben
wie Du:

Ein Quell
zum Verschenken,

die Leere im stillen zu füllen,

die Dürre zu tränken;

mit Wasser,

das hell
aus dem Herzen springt
und singt.

Mit der Liebe, die gibt
und vergibt.

Die Liebe aus Gott,

die alle,

die jede und jeden
grenzenlos liebt.

Seid still.

Das muss ich tief innen
besinnen.

Silja Walter OSB

Predigt von Priorin Irene Gassmann

Predigt von Priorin Irene Gassmann zum Psalm von Silja Walter «Aus dir bin ich ganz» und der Lesung aus dem ersten Buch der Könige (19,9-13), gehalten am Freitag, 5. Mai 2023, in der Kirche Santa Maria della Pietà in Campo Santo Teutonico im Vatikan.

Für wen? Wozu? So fragt Silja Walter im Text, «Aus dir bin ich ganz»

Für wen? Wozu?

Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Gardisten, das sind Fragen, die uns Menschen nicht fremd sind.

Für wen? Wozu? Seid still. Das muss ich tief innen besinnen.

Es sind Fragen, die Zeit und Stille brauchen, bis sich eine Antwort zeigt. Wenn wir mit Fragen leben, so kann es geschehen, dass wir allmählich in die Antwort hineinwachsen.

Auch der Prophet Elja lebte mit Fragen. Elja war ein leidenschaftlicher Prophet. Ein Prophet sagt nicht die Zukunft voraus – wie wir das oft meinen, wenn wir z.B. von «Wetterpropheten» sprechen. Nein, ein Prophet verkündet das, was Gott in einer bestimmten Situation zu sagen hat – und nicht das, was der Prophet will oder was die Menschen gerne hören möchten. Propheten sind deshalb oft unbeliebt.

Diese Erfahrung machte auch Elja. Der Prophet Elja war ein gottverbundener Mensch, er pflegte die Beziehung mit Gott. Und dennoch machte auch er Grenzerfahrungen im Leben. Er musste um sein Leben bangen und so floh er in die Wüste. Ja, er wünschte sich sogar den Tod.

In diesem Moment rührte ihn ein Engel an und sprach: «Steh auf, iss und trink, denn dein Weg, der vor dir liegt, ist noch weit!»

Elja stand auf, ass und trank und ging, gestärkt durch diese Speise, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.

Angekommen beim Gottesberg begab sich Elja in eine Höhle, um dort zu übernachten. Und da erging das Wort des Herrn an ihn: «Was willst du hier Elja?»

Gott ergreift die Initiative. Er nimmt mit Elja die Verbindung wieder auf. In dieser neu gewonnenen Verbundenheit vertraut Elja Gott seinen Kummer an.

Und dann macht Elja eine tiefe, berührende Gotteserfahrung. Er erfährt: Gott ist diskret. Gott ist weder im Sturm noch im Erdbeben noch im Feuer, sondern in einem sanften leisen Säuseln. Oder wie Martin Buber übersetzt: «Stimme verschwebenden Schweigens».

Gott ist diskret und gleichzeitig unbeschreiblich stark.

Elja spürt in sich neue Lebenskraft, er tritt hinaus und stellt sich an den Eingang der Höhle.

Liebe Schwestern und Brüder, diese Stimme verschwebenden Schweigens kann jeder Mensch hören. Oftmals unerwartet. Es ist Gottes Art mit uns in Beziehung zu kommen.

«Seid still. Das muss ich tief innen besinnen.»

Liebe Gardisten, ihr verbringt viele Stunden in Stille, im Schweigen, wenn ihr Wache steht. Und vielleicht fragt ihr euch manchmal auch: Für wen? Wozu?

Lebt diese Fragen. Nutzt diese Stunden der Stille, um On-line – in Verbindung, in Beziehung – mit Gott zu kommen. Ihr werdet wie Elja erfahren: Gott ist diskret, er drängt sich nicht auf. Aber er ist da – in verschwebendem Schweigen.

Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Gardisten, die Erfahrung von Gott berührt und geliebt zu werden, kann man nicht verschweigen. Wir sollen diese Liebe weiter verschenken. Das ist unsere Berufung als Christinnen und Christen.

Du hast mich geschaffen
und mich mir gegeben,

ich soll so leben wie du.

Eine Quelle zum Verschenken,
die Leere im stillen zu füllen,

die Dürre zu tränken;

mit Wasser das hell aus dem Herzen springt und singt.

Mit der Liebe, die gibt
und vergibt.

Die Liebe aus Gott,

die alle,

die jede und jeden
grenzenlos liebt.

Seid still. Das muss ich tief innen besinnen.

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