20.11.2019

«Im Osten sind wir nur zu zweit unterwegs»

Von Christian Breitschmid

  • Seit 20 Jahren verrichten die Schwestern des Ordens «Dienerinnen des Herrn und der Jungfrau von Matará in der Ukraine» ihr karitatives Werk in der Ukraine. Sie kämpfen dabei gegen Armut, Bildungsnotstand, Drogensucht, Krankheit und Gewalt.
  • Um ihre vielfältigen Aufgaben leisten zu können, erhalten die Schwestern jedes Jahr Unterstützung von der Hilfsorganisation «Kirche in Not». Durch deren finanzielle Mittel ist es den Ordensfrauen unter anderem möglich, eigene Schulen zu bauen und Kinder von der Strasse zu holen.
  • Schwester Maria Zarvanytska leitet als Priorin die Gemeinschaft der Schwestern von Burshtyn, einer Stadt  im Grossraum Iwano-Frankiwsk im Westen des Landes. Horizonte konnte ein Interview mit der engagierten Ordensfrau führen.

 

Schwester Maria, welche Ziele verfolgt Ihr Orden in der Ukraine?
Schwester Maria Zarvanytska: Unser Orden ist ja weltweit tätig. In der Ukraine gilt dasselbe wie überall auf der Welt: Wir respektieren jede Kultur und versuchen, Christus zu den Menschen zu bringen – egal, wo sie sind.

Und wie machen Sie das?
Wir helfen den Menschen. Wir pflegen alte Leute, die alleine sind, nehmen Kinder bei uns auf, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, betreuen alleinstehende Frauen und junge Mütter. Ganz wichtig ist uns, dass Kinder und Jugendliche eine gute schulische Bildung erhalten.

Gibt es denn keine staatlichen Schulen, die diese Aufgabe übernehmen?
Oh je, da machen Sie sich keine Vorstellung! Die Situation der öffentlichen Schulen wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Familien, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder an private Schulen. Aber die Armut ist so gross hier, dass das nur für die allerwenigsten in Frage kommt. Darum sammeln wir, um mehr katholische Schulen in der Ukraine bauen zu können.

Wie viele katholische Schulengibt es denn bis jetzt?
Ich kenne nur drei in der ganzen Ukraine. Darum bin ich auch sehr glücklich, dass unsere Schule, die «Sofron Dmyterko humanistische Schule und Gymnasium» langsam Gestalt annimmt. Für Kinder und Familien ist es sehr wichtig, Bildung zu erhalten und eine christliche Denkweise zu erlernen.

Aber laut Statistik gehören doch drei Viertel der Ukrainer der orthodoxen Kirche an, sind also auch Christen…
Ach Gott, ja, sie nennen sich Orthodoxe, aber sie wissen nichts von der Religion. Vor allem im Osten des Landes sind die Leute noch sehr im Sozialismus verhaftet. Religiöse Bindung und Bildung sind da sehr schwach. Es geht ja nicht einfach darum, sich Christ zu nennen, man muss auch danach leben.

Wie bringen Sie das den Menschen bei?
Indem wir es vorleben. Unsere Gemeinschaft betreibt verschiedene «Häuser der Barmherzigkeit», wie wir sie nennen. Ein Haus etwa dient als Anlaufstelle für Familien mit Problemen. Hier können auch Kinder mit den Schwestern zusammenwohnen, bis sich die Lage zu Hause gebessert hat. In einem anderen Haus nehmen wir ledige Mütter auf und beraten sie. So konnten wir schon viele Abtreibungen verhindern. Einige dieser jungen Mütter wohnen zum Teil während Jahren bei uns, andere finden schneller den Weg in ein selbständiges Leben zurück. Es gibt auch Häuser für alte Menschen, die arm, alleinstehend und häufig auch krank sind. Ihnen allen zeigen wir, dass niemand allein ist, der in Christus lebt.

Wie viele Schwestern sind dazu im Einsatz?
In der ganzen Ukraine sind wir rund 100 Schwestern. In unserer Gemeinschaft hier in Burshtyn sind wir zu acht. Unser Haus besteht aus zwei Teilen. Der eine Teil dient als «Haus der Barmherzigkeit». Da wohnen und arbeiten zwei Schwestern zusammen mit zwei jungen Mädchen, die auf dem Weg sind, sich unserer Gemeinschaft anzuschliessen. Dann gibt es noch den Pastoralteil des Hauses, das eigentliche Kloster. Hier leben sechs Schwestern, die sich um Besucher kümmern, Kinder und Familien im Katechismus unterrichten, die öffentlichen Schulen in der Umgebung besuchen und überall Hilfe leisten, wo Not am Mann ist.

Wo brennt es denn am meisten?
Ein grosses Problem ist der Alkoholismus. Auch andere Drogen sind stark verbreitet. Die Menschen sind arm und haben keine Perspektiven. So greifen sie zu Drogen. Das führt zu Gewalt – in den Familien, aber auch auf der Strasse. Vergewaltigungen, minderjährige Mütter und verwahrloste Kinder sind die Folge. Ein weiteres Problem ist die Emigration. Millionen wandern aus, um im Ausland Arbeit zu finden. So gibt es viele Kinder, die ohne Vater oder überhaupt ganz ohne Eltern aufwachsen.

Wie gefährlich ist Ihre Arbeit unter diesen Umständen?
Hier in der Westukraine erhalten wir von vielen Menschen Unterstützung, da es hier mehr Katholiken gibt als im Osten oder Süden des Landes. Wir pflegen auch einen guten Kontakt zu den lokalen Behörden. Aber im Osten und im Norden sind unsere Schwestern nur immer zu zweit unterwegs. Schon viele von ihnen wurden verbal heftig attackiert, wenn sie helfen wollten. Tätlichkeiten sind bisher zum Glück noch keine passiert. Aber man kann nie wissen.

Wie kam die Zusammenarbeit mit «Kirche in Not» zustande?
Das begann schon bald nach der Gründung unserer Kongregation hier in der Ukraine, 1999. Wir hatten zwar schon Helfer vor Ort, die uns praktisch unterstützten und uns auch halfen, für die Bedürftigen Essen oder Kleidung zu beschaffen. Aber wir brauchten dringend Geld, um unsere Aufgaben erfüllen zu können. So reisten zwei unserer Schwestern nach Königstein in Deutschland, um am Hauptsitz von «Kirche in Not» vorzusprechen. Aus diesem ersten Kontakt entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Jedes Jahr erhalten wir einen Beitrag. Dieses Geld verwenden wir für die Errichtung unserer Schulen und für unsere ganze karitative Arbeit. Unser grosser Traum ist es, in Burshtyn eine Kirche zu bauen.

Was möchten Sie den Menschen in der Schweiz ans Herz legen?
Vor allem möchte ich sie dazu aufrufen, niemals ihre christlichen Wurzeln zu vergessen. Seien Sie auch im Alltag Christen und bleiben Sie es! Ich weiss, dass es den meisten Schweizern sehr gut geht. Deswegen soll man aber den spirituellen Teil des Lebens nicht vergessen. Es ist nämlich möglich, reich zu sein und gleichzeitig christlich. Wer aus dieser Haltung gibt, der erhält auch.

 

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