13.03.2023

Serie zur Fachstelle Spezialseelsorge, Teil 1
«Im Zentrum steht immer der Mensch»

Von Vera Rüttimann

  • «Der Mensch steht immer im Zentrum, nicht das Handicap», sagen Isabelle Deschler und Sarah Bütler.
  • Deschler arbeitet in der katholischen Spezialseelsorge Pastoral bei Menschen mit Behinderung, Bütler beim reformierten Pendant Fachstelle für Menschen mit Handicap.
  • Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Fachstellen ist eng, und bald soll der Fachbereich ökumenisch verantwortet sein.

Wer den beiden Mitarbeiterinnen zuhört, die seit über zehn Jahren in ihren Stellen tätig sind, erkennt: Menschen mit einem Handicap sind so unterschiedlich wie es alle Menschen in der Gesellschaft sind. Sarah Bütler sagt: «Wir begegnen in unserer Tätigkeit Menschen mit körperlichen oder kognitiven Behinderungen, Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden oder Suchtprobleme haben.» Wichtig ist für die beiden Frauen: «Der Mensch steht immer im Zentrum und nicht die Erkrankung oder das Handicap.» Die ökumenisch verantwortete Gehörlosenseelsorge Nordwestschweiz gehört ebenfalls zum Fachbereich. Dafür sind die Anita Hintermann und Adrian Bolzern zuständig.

Serie zur Spezialseelsorge

Die Fachstelle Spezialseelsorge der Römisch-katholischen Landeskirche Aargau umfasst die Gefängnis-, Polizei- und Spitalseelsorge, die Pastoral bei Menschen mit Behinderung und Palliative Care. Horizonte stellt die fünf Bereiche im Rahmen einer Serie vor.

Teilhabe für alle

Die Angebote der beiden Fachstellen für Menschen mit Beeinträchtigungen laufen mehrgleisig: Zum einen, so Isabelle Deschler, stehe die Inklusion im Zentrum der Angebote. «Menschen mit einer Behinderung sollen in Pfarreien und Kirchgemeinden ein Teil der Gemeinschaft sein», betont sie. Hier arbeite sie eng mit den Seelsorgeteams von Kirchgemeinden zusammen, damit die Angebote so gestaltet werden, dass alle daran teilnehmen können. Als Beispiel nennt sie den Mitenand-Gottesdienst in Pfarreien für Menschen mit und ohne Behinderungen.

Jeweils an Pfingsten und am Bettag findet ein kantonaler ökumenischer Mitenand-Gottesdienst für Menschen mit und ohne Behinderung statt. «Für viele ist das eine schöne und wichtige Tradition, und einige nehmen seit Jahren daran Teil», sagt Sarah Bütler. «Eigentlich», meint Isabelle Deschler, «sollte jeder Gottesdienst ein Mitenand-Gottesdienst sein. Aber die Gesellschaft ist noch nicht so weit.»

Tagung im September 2023

Eine Aktivität des Fachbereichs sind die zwei Ausflüge zu einem religiös und kulturell interessanten Ort in der Schweiz. Ein Ausflug davon wird mit Hörenden und Gehörlosen zusammen durchgeführt. Am 23. September organisiert der gesamte Fachbereich eine Tagung «Inklusion in Kirche und Gesellschaft», um gemeinsam mit allen Beteiligten, Menschen mit und ohne Behinderung, Gehörlose und Hörende, weitere Schritte zur Inklusion zu erarbeiten. Schon das Fragen und Suchen nach Antworten soll gemeinsam, inklusiv geschehen.

Isabelle Deschler ist überzeugt: «Menschen mit einer Beeinträchtigung fehlen in der Gesellschaft. Die Gesellschaft braucht sie!» | Foto: Vera Rüttimann

Die Kurse sind gefragt

Die beiden Fachstellen bieten auch Kurse für Mitarbeitende in Kirchgemeinden und Institutionen an. Wie etwa Kurse zum Thema Seelsorgegespräche und Spiritualität. Wie führt man solche Gespräche mit Menschen, die eine starke Beeinträchtigung haben? Welche Möglichkeiten gibt es, das Thema Spiritualität in ein solches Gespräch einzubringen? Beim Kurs zum Thema Tod und Trauer stellen sich Fragen wie: Was ist hier spezifisch mit Menschen mit Behinderung? Wie kann man sie in ihrer Trauer um einen geliebten Menschen unterstützen? Symbole und Rituale, sagen die beiden Frauen, spielen dabei eine grosse Rolle.

Frühlings-, Herbst- und Trauerfeiern

Sarah Bütler und Isabelle Deschler bearbeiten beim Angebot der reformierten Landeskirche noch eine weitere Schiene: Sie suchen Institutionen auf. Dort haben sie über viele Jahre ein Netzwerk mit Fachleuten aufgebaut, die ihre Angebote unterstützen. Sie bieten beispielsweise Rituale wie Frühlings- oder Herbstfeiern an. Auch die Weihnachtsfeier sei gefragt oder Trauerfeiern, wenn jemand in einer Institution gestorben ist.

«Für viele ist der Mitenand-Gottesdienst an Pfingsten und am Bettag eine schöne und wichtige Tradition», sagt Sarah Bütler. Sarah Bütler. | Foto: Vera Rüttimann

Balance zwischen Nähe und Distanz

Manche Menschen, die sie antreffen, erzählen ihnen auch sehr intime Sachen. Da ist es wichtig, achtsam damit umzugehen. Auch wenn grosses Leid spürbar wird, ist es nicht immer einfach, richtig zu reagieren. Ist es angebracht jemandem die Hand zu halten oder mit einer kurzen Umarmung zu trösten? Denn eine beruhigende Berührung ist in manchen Fällen die einzige Sprache, die hilft. Hier gelte es, die richtig Balance aus Nähe und Distanz zu finden. «Ich möchte nicht als Freundin gelten. Das zu zeigen, ohne zu verletzten, ist eine Herausforderung», meint Sarah Bütler.

Zu den Herausforderungen zählt auch ein achtsamer Umgang mit der Sprache. Wie beispielsweise mit dem Begriff Behinderung. Isabelle Deschler dazu: «Wir benutzen verschiedene Begriffe wie Handicap, Behinderung oder Beeinträchtigung. Je nachdem, was die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, selbst anwenden.» Eine Frau im Rollstuhl, die nie wieder gehen kann, habe ihr einmal gesagt: «Ich bin ein Mensch mit Behinderung, nicht einfach nur mit einer Beeinträchtigung.»

«Die Gesellschaft braucht sie!»

Beide Frauen empfinden die Arbeit mit Menschen mit Handicap als erfüllend. Isabelle Deschler sagt: «Bei einer Feier in Institutionen kommt oft etwas aus dem tiefsten Innern auf. Etwas, was ich in einem Gottesdienst in einer Pfarrei meistens vermisse, weil die Leute zu stark in Barrieren der Perfektion gefangen sind.» Darum sei sie so überzeugt vom Konzept der Inklusion. «Menschen mit einer Beeinträchtigung fehlen in der Gesellschaft. Die Gesellschaft braucht sie!»

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