27.03.2024

Jesus lebt auf 25 Quadratmetern

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Seit zwanzig Jahren baut der Theologe Thomas Wolfer an seiner Krippenlandschaft.
  • Über die Osterzeit bevölkern unzählige biblische Figuren, Handwerker, Händlerinnen, Ziegen und viele weitere Tiere Wolfers Wohnung in Fahrwangen.
  • Die Ausstellung zeigt das Leben Jesu von der Geburt bis zur Auferstehung. Noch bis am 14. April können Interessierte die Osterkrippe besuchen.

Exakt einen Zentimeter schrammt die Wohnungstür beim Öffnen an der Ecke eines gemauerten Innenhofs vorbei, als Thomas Wolfer die Gäste hineinbittet. Das Brett, auf dem Häuschen, Figuren, Tiere und Pflanzen platziert sind, füllt den Eingangsbereich optimal aus. Beim Blick in den Flur und das Wohnzimmer wird klar, dass der Erbauer der Krippenlandschaft keinen Millimeter seiner Wohnungsfläche verschenkt hat. Ställe, Häuser und Tempel stehen dicht aneinander in der Wüstenlandschaft, die sich um die Ecke in Richtung Schlafzimmer erstreckt. Im Büro liegt der Garten Getsemani am Fuss des Ölbergs. Dort sind römische Soldaten gerade im Begriff, Jesus gefangen zu nehmen. Eine Ebene darüber steht die Anhöhe von Golgota mit den drei Kreuzen. Biblische Figuren, Händlerinnen, Handwerker, Ziegen und Vögel bevölkern die Plätze und Strassen, zwischen den Häuschen brennen Feuer, Bäche plätschern.

Fahrwanger Krippenlandschaft


Die Sonderausstellung «Jesus – Geburt, Leben, Tod und Auferstehung befindet sich bei Thomas Wolfer zuhause am Bärenplatz 4 in Fahrwangen und ist noch bis am 14. April offen, der Eintritt ist frei. Gerne führt Thomas Wolfer interessierte Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung. Termine nach Absprache per Telefon oder E-Mail. Kontakt: T 043 333 97 67 / E-Mail: info@wolfisbuecherhoehle.com / www.krippenlandschaft.ch

Überbordende Fantasie

Seit zwanzig Jahren baut der Theologe ­Thomas Wolfer an seiner Krippenlandschaft. Inzwischen umfasst sie 1500 Figuren und Tiere, darunter etwa 80 bis 90 Figuren, die sich bewegen. Wolfer stammt aus Stuttgart. Als Zehnjähriger wollte er Schriftsteller werden. Er sei ein Tagträumer gewesen, der sich komplett in eine Fantasiewelt versetzen konnte, erzählt der 54-Jährige. Zwar habe er immer gut zwischen Realität und Fantasie unterscheiden können, «doch ich war ein Geschichtenerzähler und -erfinder, schon immer». Weil er von klein auf in der Kirche aktiv war, kam er auf die Idee, Theologie zu studieren. Im Jahr 1999 zog er für seine erste Stelle als Pastoralassistent in die Schweiz. In dieser Tätigkeit lebte er seinen Ideenreichtum bei der Vorbereitung von Familiengottesdiensten, Krippenspielen, Unterricht und anderen Pfarreiaktivitäten voll aus. Wolfer erinnert sich daran, wie er im Pfarreiheim mit Malerklebeband ein Labyrinth auf den Fussboden designt hat. Bis um Mitternacht habe er daran gearbeitet. «Wenn ich etwas mache, dann richtig», sagt er dazu und lacht. Er versteht, dass manche den Kopf schütteln über seinen Hang zum Überborden, doch er kann nicht anders.

Einfallsreicher Autor

Als Verantwortlicher für die Ministranten hat er in einer Pfarrei eine Mini-Zeitung herausgegeben, mit Witzen, Anekdoten und jeweils einem Kriminalfall aus dem Umfeld der Kirche. Zwölf dieser Ministrantenkrimis hat Wolfer zu einem Buch zusammengefasst, das im Handel erhältlich ist. Aus einer kurzen Szene für einen Schuleröffnungsgottesdienst wurde später ein Fantasyroman, der über 500 Seiten umfasst. In den letzten 25 Jahren schrieb er zahlreiche Kurzgeschichten und Romane für Jugendliche im beruflichen und privaten Umfeld. Daraus wurden bisher drei Bücher veröffentlicht.  «Bei mir entsteht ein Buch beim Schreiben, plötzlich habe ich wieder einen Einfall und ändere bereits Geschriebenes wieder ab», erklärt er. Das Wissen und die Inspiration zu den biblischen Landschaften holt er sich nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus TV-Dokus und Sachbüchern.

Thomas Wolfer in der Krippenlandschaft in seinem Wohnzimmer. | Foto: Roger Wehrli

Mit Holz- und Heissleim am Werk

Seit einer Operation an der Wirbelsäule muss Wolfer alles gemächlicher angehen. Viele der Gebäude baut er mit kleinen Steinen von Hand. Dabei geht er mit Holz- und Heissleim ans Werk: «Ich bin kein guter Handwerker, ich kann nur kleben», sagt er. Beim Bau seines ersten Gebäudes habe er sich noch ungefähr an die Bauanleitung gehalten, erzählt er. Heute entstehen die Gebäude zuerst in seinem Kopf, dann klebt er drauflos. Wichtig sei, dass die Gebäude maximal 32,5 Zentimeter hoch und 65 Zentimeter breit würden, sonst passten sie nicht in die Holzharassen, in denen sie aufbewahrt werden. Zwei Kellerabteile hat Wolfer mit seinen Schätzen gefüllt, der Rest lagert in seiner Wohnung.

Krippenexperte

In den letzten 25 Jahren habe er einen sechsstelligen Betrag für seine Krippenleidenschaft ausgegeben, schätzt Wolfer. Als er von Deutschland in die Schweiz zog, schenkte ihm sein Vater einen Stall, seine erste Krippe. Die Figuren dazu kaufte Wolfer in Einsiedeln. Ein Jahr später, auf einem Pfarreiratsausflug nach Einsiedeln, kaufte er drei Frauenfiguren dazu: «Leider hatte ich die genauen Masse meiner anderen Figuren nicht ganz im Kopf», erinnert sich Wolfer. So waren die neuen Figuren drei Zentimeter grösser als die bisherigen. Da habe er einen zweiten, etwas grösseren Stall erworben. Mit den Jahren baute Thomas Wolfer weitere Häuser, erwarb Figuren, eine orientalische Krippenstadt, abgeändert nach seinen Wünschen, und kistenweise Zubehör. Bald begann er, auch im Internet nach passenden Krippen zu fahnden, und bestellt heute meistens online. Die Figuren stammen aus Italien, Spanien und Deutschland, es hat darunter neapolitanische Tonfiguren und geschnitzte Holzfiguren aus dem Grödnertal im Südtirol. Nach und nach wurde Wolfer zum Krippen​experten und gibt sein Wissen in Führungen gerne an Besucher weiter.

Osterkrippe

Als er noch als Pastoralassistent tätig war, stellte er die wachsende Krippenlandschaft an seinem jeweiligen Arbeitsort auf, zum Beispiel für den Unti oder für den Frauenverein. Im Jahr 2019 baute er im Gebäude der ehemaligen Valiant-Bank in Fahrwangen die figurenreichste Krippenlandschaft der Schweiz. Für die aktuelle Ausstellung hat Thomas Wolfer die Weihnachtskrippe zu einer Osterkrippe erweitert. Erstmals zeigt Wolfer Szenen aus dem ganzen Leben Jesu. Die Ausstellung umfasst die Weihnachtsgeschichten nach Lukas und nach Matthäus, Begebenheiten aus Jesu Leben sowie Szenen aus der Passionsgeschichte wie den Einzug in Jerusalem, das Letzte Abendmahl, die Nacht am Ölberg, die Kreuzigung und die Auferstehung.

Der Abbau der Krippe wird dieses Jahr etwa vier Monate dauern, schätzt Wolfer. Die Einzelteile müssen mit System verpackt und die Kisten sorgfältig beschriftet werden. Sonst droht aus der Fülle ein Chaos zu werden. Nach dem Abbau wird Thomas Wolfer wieder etwas Platz in seiner Wohnung haben. Platz für tausend neue Ideen.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.