06.12.2017

Kein Pokémon an der Krippe

Von Anne Burgmer

  • Im Jahr 2016 lernten interessierte Katechetinnen und Katecheten in der Weiterbildung «Biblisches Krippenspiel» die Botschaft stärker zu gewichten als die Weihnachtsseligkeit.
  • Die Katechetinnen Judith Näf und Claudia Graf erzählten Horizonte von ihren Erfahrungen und Gedanken bei der Umsetzung dieses Ansatzes.
  • Es gibt eine Neuauflage des Kurses: Nach dem Fokus auf der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium, konzentriert sich das Referententeam im Jahr 2018 auf das Matthäusevangelium (Informationen am Ende des Beitrages).

 

Sie disputieren mit Feuer: Die Katechetinnen Judith Näf und Claudia Graf. «Die Wirtsleute kommen strenggenommen nicht im Text vor», sagt Claudia Graf mit blitzenden Augen. Judith Näf nickt und lächelt. In der Stunde vor der Diskussion hat Judith Näf gemeinsam mit 12 Kindern im Kirchenzentrum Paulus in Lupfig einen ersten Blick auf die biblische Geschichte und die Rollenverteilung geworfen. Claudia Graf ist zu Gast.

Den Text neu lesen lernen

Den anderen Umgang mit dem Text, das sagen Judith Näf und Claudia Graf, haben sie in der Fortbildung «Biblisches Krippenspiel» gelernt. 2016 wurde der Kurs erstmals von der Reformierten Landeskirche und der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau angeboten. Der katholische Theologe Detlef Hecking und die reformierte Katechetin Regina Maurer boten als Referententeam Hand, die Kindheitserzählung im Lukasevangelium neu für das (vor)weihnachtliche Krippenspiel in der Pfarrgemeinde fruchtbar zu machen. Judith Näf versucht nun, diesen neuen Zugang umzusetzen: «Detlef und Regina haben mir mit ihrem Kurs die Augen geöffnet. Ich wurde dazu angehalten, genauer in der Bibel zu lesen und zu verstehen, wieso die Geburt von Jesus genauso in der Bibel steht, wie sie eben da steht».

Sozialkritik an Weihnachten

Krippenspiele nähmen teils merkwürdige Formen an, erzählen die beiden Katechetinnen.«Es sollte nicht sein, dass in einem Krippenspiel Prinzessin Lillifee oder ein Pokémon als Figur auftaucht», sagt Claudia Graf. Die Botschaft, dass Gott in einem schwachen Kind Mensch wird, weiche zunehmend der reinen Weihnachtsseligkeit. Dagegen sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch die Weihnachts-Botschaft nach Lukas habe mehr zu bieten, sie habe Potenzial zur Sozialkritik.

Detlef Hecking, Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle SBK erklärte im Vorfeld zur Weiterbildung 2016, der Evangelist habe sein Evangelium unter ein ganz bestimmtes Vorzeichen gestellt. Es gehe Lukas um die Option für die Armen und Bedürftigen. Warum solle dieser Aspekt nicht in einem Krippenspiel durchscheinen? Das könne man den Zuschauerinnen und Zuschauern durchaus zumuten. Seine Co-Referentin Regina Maurer betonte, dass sowohl die Kinder als auch die Gäste später in der Kirche gut eingeführt werden müssten.

Kinder schauen auch spontan vorbei

Diese Einführung beginnt bei Judith Näf in Lupfig. Nachdem die Katechetin den Kindern den Text vorgelesen hat, überlegen alle gemeinsam, wer denn überhaupt in der Geschichte auftritt. Finger recken sich in die Höhe, immer mehr gelbe Zettel liegen in der Mitte des Stuhlkreises auf dem Boden. Maria, Hirten, Gott – die Kinder schlagen zahlreiche Rollen vor. Von der ersten bis zur vierten Primarstufe reicht die Altersspanne, eine Fünftklässlerin kommt spontan vorbei, sie könne Flöte spielen. Judith Näf freut sich. «Letztes Jahr waren es zwar mehr Kinder, doch ich bin zuversichtlich, dass das gut kommt», sagt Judith Näf. Lebendig ist es im Saal des Kirchenzentrums. Eltern, kleine Geschwister, sogar Enkel warten und beobachten das erste Treffen der Krippenspieltruppe. Es krabbelt, rennt und zappelt, doch «an Heiligabend sind sogar die zappeligsten Kinder ganz fokussiert und konzentriert», erinnert sich Judith Näf.

Text, nicht Tradition

Ob sich der Versuch des neuen Blicks auch für die Besucher des diesjährigen Krippenspiels erschliesst, vermag Judith Näf zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu sagen. «Die Botschaft soll sein, dass die Erlösung  nicht an Macht und Geld gekoppelt ist. Das wirklich Grosse liegt in einer Krippe und ist wehrlos. Man unterschätzt oft die Macht der Liebe. Es ist nur die Liebe, die ein Kind  überlebensfähig macht. Es kann also auch nur die Liebe sein, die die Botschaft  ins Leben trägt und am Leben erhält und die uns die Kraft gibt, uns auf die Seite der Armen zu stellen. Diese Liebe sollte man im Krippenspiel erspüren können. Ob das gelingt, kann ich nur hoffen», sagt Judith Näf. Claudia Graf weist auf einen anderen Aspekt hin: «Gerade an Weihnachten wird oft auf der Tradition gepocht. Doch das ist eine zweischneidige Sache. Denn was wir als Tradition verstehen, steht so gar nicht in der Bibel».

Vielleicht sind immer Engel unterwegs

Claudia Graf organisierte 2016 unter dem Eindruck der Weiterbildung ein Krippenspiel, in dem sie in drei Szenen Begegnungen mit den Engeln thematisierte. Der Erzähler, Zacharias, kommentiert und erzählt, was ihm im Tempel wiederfahren ist: Eine Engelbegegnung und Stummheit, als er die Verheissung eines Kindes an ihn und Elisabeth nicht glauben mag. Dann wird er zum Rahmenkommentator des Engelbesuches bei Maria und dem Zusammentreffen der Engel mit dem Hirten, der nicht glauben kann, dass er und seine Hirtenkollegen Zeugen der Frohen Botschaft sind.

«Es sind wohl eher die Verachteten und nicht die Armen, die in meinem letztjährigen Krippenspiel angesprochen wurden», überlegt Claudia Graf. Das Schlussfazit von Zacharias im Krippenspiel von Claudia Graf zeigt, worauf es dem neuen Blick auf den Text ankommt: Die Botschaft für das Heute fruchtbar machen. Denn Zacharias fragt sich, ob vielleicht immer so viele Engel unterwegs seien: «Viellicht gsehnd mer sie ja nid, aber derfür redets direkt id Herze vo de Mensche? Ja, das frag ich mich».

 

Weiterbildung «Biblisches Krippenspiel» 2018

Nach Lukas folgt Matthäus. Detlef Hecking und Regina Maurer bieten auch im 2018 eine Weiterbildung «Biblisches Krippenspiel» an. An fünf Terminen entwickeln die Teilnehmenden prozesshaft ein individuelles Krippenspiel zum Matthäusevangelium für ihre Praxis vor Ort. Die Weiterbildung findet statt im Katholischen Pfarreizentrum Herz Jesu, Bahnhofstrasse 23, Lenzburg.
Anmeldung bis Mo, 19. Februar 2018.
Daten und weitere Informationen.

 

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