02.08.2023

Die ökumenische Jury vertritt die katholische und reformierte Kirche am Locarno Film Festival
Kino und Kirche am Locarno Film Festival

Von Eva Meienberg

  • Am 2. August 2023 beginnt das 76. Locarno Film Festival und dauert zehn Tage.
  • Seit 50 Jahren prämieren die katholische und reformierte Kirche gemeinsam ihren Gewinnerfilm durch die ökumenische Jury.
  • Zum 50-Jahr-Jubiläum erhält der ungarische Altmeister István Szabó einen Ehrenpreis.

Für den international gefeierten Regisseur und Oskar-Preisträger István Szabó schliesst sich mit dem Ehrenpreis ein Kreis, wie er im Interview auf kath.ch sagt. Die erste internationale Aufführung seines Debut-Filmes «Zeit der Träumereien» hat 1964 in Locarno stattgefunden. Damals habe er auch seinen ersten Preis erhalten. István Szabó wurde 1938 in Budapest geboren. Seine Grosseltern waren jüdisch. Die Eltern sind zwischen den beiden Weltkriegen zum Katholizismus konvertiert. Die Religion könne man sich aussuchen, sagt István Szabó, nicht aber den Glauben. «Entweder man ist gläubig oder man ist es nicht. Gott ist der Selbe – ob man seine Abwesenheit spürt oder ihn wie die Liebe zum Leben benötigt.»

István Szábo bei den Dreharbeiten zu «Abschlussbericht» (Final Report, 2020) | Foto: Film Street

Kirchliche Filmkritik

Am 76. Locarno Film Festival treffen sich nicht nur Filmfans und Filmindustrie. Auch die reformierte und die katholische Kirche sind präsent durch die Teilnahme der ökumenischen Jury. Die vierköpfige internationale Jury wird aus den 17 Filmen des internationalen Wettbewerbs ihren Gewinnerfilm erküren. Denn Kino und Kirche haben mehr gemeinsam als ihren Anfangsbuchstaben. Seit den Anfängen des Kinos haben sich auch die Kirchen für die bewegten Bilder interessiert. Zuerst skeptisch beäugt, entstand schon bald eine ausgefeilte katholische Filmkritik. Damit wollten die katholischen Filmverantwortlichen den Zuschauenden die Filme im Sinne des Evangeliums schmackhaft machen und sie vor verruchten Streifen bewahren.

Auch die kirchlichen Jurys an den internationalen Filmfestivals dienen noch heute dem Zweck, Filme, deren Botschaft im Sinne des Evangeliums sind, zu prämieren und sie damit bekannt zu machen. Im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde 1973 am Filmfestival Locarno zum ersten Mal eine ökumenische Jury gebildet. Seitdem vergeben die internationalen kirchlichen Filmorganisationen, die reformierte Interfilm und die katholische Signis, in Locarno einen gemeinsamen Preis. in diesem Jahr besteht die ökumenische Jury aus Petra Bahr (Präsidentin, Deutschland), Micah Bucey (USA), Marie-Therese Mäder (Schweiz) und Joachim Valentin (Deutschland). Gemeinsam bilden sie die 50. Ökumenische Jury.


Europäische Premiere von «Abschlussbericht» am Locarno Film Festival

Am Diesjährigen Filmfestival zeigt István Szabó als europäische Premiere seinen Film «Abschlussbericht» von 2020. Er handelt von einem engagierten Arzt in Budapest dessen Spital geschlossen wird. Als er darauf als Landarzt die verwaiste Arztpraxis seines Vaters übernimmt, trifft er auf verstockte Menschen, Korruption und Kaltherzigkeit. Trotzdem glaubt Dr. Stephanus weiterhin an das Gute im Menschen. «Mit «Abschlussbericht» beleuchtet Szabó den Status quo der ungarischen Gesellschaft anhand der Geschichte eines engagierten Arztes. Er steht stellvertretend für diejenigen, die sich beständig für das Gute in der Welt einsetzen, auch wenn dies bisweilen einem Kampf gegen Windmühlen gleicht», schreibt Charles Martig, Chefredaktor kath.ch und Festivaldelegierter SIGNIS Schweiz, in seinem Filmtipp.​

Umstrittene Begründung

In den Achtzigerjahren vermochte die Begründung der Jury für den ökumenischen Preis an Fredi M. Murers «Höhenfeuer» noch einen ideologischen Sturm zu verursachen. Der Schweizer Regisseur schlug den Preis aus. «Ich hatte den Eindruck, dass die Berufs-Christen mir nur ein Kruzifixchen ans Revers heften wollten, um progressiv zu erscheinen», erklärte er sich später. Die Begründung der Jury, der Film zeige in eindrücklichen Bildern, wie eine irregeleitete Erziehung in die Katastrophe führe, war dem Regisseur zu moralisch.

Heute sind die Kriterien für den Gewinnerfilm weit formuliert. Da genügt etwa die «transzendente Dimension» eines Filmes oder die Diskussion von Themen wie «Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden und Umweltschutz», um in die engere Wahl zu kommen. Neben den inhaltlichen Kriterien muss der Film hohen ästhetischen Ansprüchen genügen. Die Preissumme beträgt 10’000 Franken. Somit ist der Preis der ökumenischen Jury, der von der Römisch-katholischen Zentralkonferenz und der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz ausgerichtet wird, der höchste Preis, der von einer unabhängigen Jury verliehen wird.

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