24.07.2023

Wer macht eigentlich die Arbeit hinter den Kulissen der Kirche?
Sommerserie «Kirche backstage», Teil 2: Peter Meier, Orgelbauer

Von Eva Meienberg

  • Beinahe in allen Kirchen steht eine Orgel. Die Orgelmusik gehört wie das Amen zur Kirche.
  • Peter Meier baut neue Orgeln und pflegt alte.
  • Im zweiten Teil der «Horizonte»-Sommerserie schauen wir «backstage» in die Orgelbauer-Werkstatt von Peter Meier in Rheinfelden.

Mit einem Schlüssel öffnet Peter Meier eine Truhe in der Kapelle der Kirche St. Josef in Rheinfelden. Zum Vorschein kommen eine Tastatur und ein aufklappbarer Ständer für die Noten. Bei der Truhe handelt es sich um eine Orgel – eine Truhenorgel. Fusspedale hat sie keine. Ein Kabel versorgt einen unsichtbaren Ventilator mit Strom. Rund um die Truhe lassen sich Platten entfernen, damit die Orgel lauter tönt. Alles an und in dieser Kastenorgel ist aus Holz –ausser dem Ventilator – 280 Pfeifen und eine Menge komplizierter Mechanik.

Gefragt: Kleine Orgeln für Kapellen oder Krypten

Peter Meier zieht eine Pfeife aus dem Kasten, bläst rein und ein runder warmer Ton erfüllt die Kapelle. Die Truhenorgel stammt aus Peter Meiers Werkstatt. Die kleinen kompakten Orgeln sind beliebt, weil sie die richtige Grösse haben für eine Kapelle oder eine Krypta. Da es nicht mehr viele Gottesdienstbesucherinnen und -besucher gibt, werden die Feiern oft in die kleineren Räume der Kirchen verlegt.

Etwas Feinhandwerkliches, technisch Anspruchsvolles, das über das rein Materielle hinausgeht, hat Peter Meier als Jugendlicher für seine Lehre gesucht. Mit dem Orgelbau hat er genau das gefunden. Dass er seinen Beruf in einem kirchlichen Umfeld ausüben würde, habe ihn anfänglich gestört. «Was, du arbeitest in einer Kirche?», manch ein Kollege habe ihn deswegen schräg angeschaut. Es sei wohl auch deswegen einfach gewesen, eine Lehrstelle als Orgelbauer zu finden. Mit Peter Meier hatte sich genau der Richtige für den Beruf beworben. «Bei mir stand früh ein Meccano-Baukasten im Kinderzimmer und in meiner Freizeit habe ich mit meinem Vater gewerkelt, Velos auseinander- und wieder zusammengebaut, Zahnräder und Differentialgetriebe studiert», sagt Peter Meier.

Karriere als Orgelbauerin?

Seit Beginn seiner Selbständigkeit im Jahr 2004 bilden Peter Meier und sein Angestellter selbst Lehrlinge aus. Diesen Sommer beginnt zum dritten Mail einer seine Karriere. Eine Lehrfrau hatte Peter Meier noch nie. Nur eine von sechs Lernenden sei eine Frau. Bei der Schnupperlehre schaue er genau, wie die Lernenden die Werkzeuge in die Hände nehmen, sagt Peter Meier. Im Orgelbau sind Konzentration und Ausdauer gefragt. Ausserdem muss das räumliche Vorstellungsvermögen gut ausgeprägt sein, dreidimensionale Skizzen am Reissbrett müssen den Schnupperstiften einfach von der Hand gehen. Baupläne lesen gehört zum Betriebsalltag. Ein absolutes Gehör braucht es für den Beruf nicht. «Für mich gibt es keine unmusikalischen Menschen. Um Orgelbauer zu werden, muss der Lernende sein Gehör einfach trainieren», sagt der Lehrmeister. Darum gehört das regelmässige Stimmen der Orgeln zur Ausbildung.

Peter Meier ist im Vorstand der International Society of Organbuilders. Alle zwei Jahre kommen an einem Kongress rund 150 Orgelbauerinnen und Orgelbauer aus der ganzen Welt zusammen. Denn Orgelbau ist nicht gleich Orgelbau. Das hat Peter Meier in seinen Lehr- und Wanderjahren nach der Ausbildung in Luzern schnell gemerkt. Mit 20 Jahren zog er aus nach England, Frankreich und Japan. In England beispielsweise habe er festgestellt, dass viel mehr von Hand gemacht werden könne, als er in Luzern gelernt habe. Die hochwertigen Holzbearbeitungswerkzeuge, mit denen er dort gearbeitet hat, kommen heute in seinem Betrieb zum Einsatz.

«Horizonte»: Was fehlt, wenn Ihre Arbeit nicht gemacht wird?

Peter Meier: Vereinfacht gesagt, braucht es für einen Gottesdienst das Kirchgebäude, den Pfarrer, die Kirchenmitglieder und eine Orgel. Wenn die Orgel fehlt, fehlt der Organist und die Orgelmusik und damit etwas Wesentliches.

Was brauchen Sie, um Ihre Arbeit gut machen zu können?

Es braucht einen guten Kontakt mit den Pfarreiverantwortlichen, vor allem auch mit den Organistinnen und Organisten. Ich bin darauf angewiesen, dass die Menschen die Orgelmusik wichtig finden und dafür auch Geld ausgeben wollen. Es braucht ein Bewusstsein für die Tradition, dass die Orgel den Gottesdienst seit Jahrhunderten begleitet.

Woran glauben Sie?

Ich bin Mitglied der römisch-katholischen Kirche und ich werde es auch bleiben. Sie ist meine Heimat und mir vertraut. Sie gibt mir auch geistige Nahrung. Aber ich sehe bei meiner Arbeit viele verschiedene Glaubensansätze und bin diesen gegenüber sehr offen.

Mit einem Stimmhorn in der Hand steigt Peter Meier über eine Leiter hinter die Orgel in der Kirche St. Josef. Mit der einen Seite des Werkzeugs, das aussieht wie ein Pfeil mit Holzgriff, kann die Pfeife erweitert, mit der anderen verengt werden. Wartungsarbeiten an bestehenden Orgeln bilden einen grossen Teil der Arbeit. Mit seinem weissen Bus ist der Orgelbauer oft in der Schweiz und im Ausland unterwegs. Eine Landkarte mit Fähnchen, die in der Orgelbau-Werkstatt im Industriegebiet von Rheinfelden hängt, zeigt eindrücklich, wo überall Orgeln auf einen Service warten.

Orgeln sind Gemeinschaftswerke

Die Orgeln aus der Werkstatt der Peter Meier Orgelbau GmbH sind Gemeinschaftswerke. An einer Truhenorgel arbeiten Peter Meier, sein Angestellter und der Lernende etwa vier Monate. Je nach Ausschmückung des Gehäuses dauert es länger. In der Werkstatt steht aktuell ein Exemplar, das fast fertig ist. Die Ornamente des Gehäuses erinnern an Fliesen in Südspanien. Tatsächlich hat sich Peter Meier dort in seinen Ferien inspirieren lassen. Das langsam gewachsene Fichtenholz für die grossen Pfeifen bezieht Peter Meier aus dem Berner Oberland. Verschiedene Harthölzer für das Gehäuse, mechanische Teile und kleine Pfeifen kommen aus der Region. Zwischen 50’000 und 80‘000 Franken kostet eine Truhenorgel. Eine grosse Orgel mit vielen Registern kann Millionen kosten.

Jede Orgel hat ihren Charakter. Je nach Anzahl und Art der Register, bietet sie eine eigene Klangwelt. Es sei gar nicht so einfach, eine Orgel in Auftrag zu geben, sagt Peter Meier. Jüngst habe der Vorstand einer Kirchgemeinde dafür eine Bildungsreise nach Stuttgart gemacht, um dort an der Hochschule die Orgelsammlung zu besuchen, um sich ein Bild von den verschiedenen Orgeltypen zu machen. Zum Glück helfen bei der Entscheidung die Organistinnen und Organisten und die Orgelbauer mit.

In der Schweiz werden die Orgeln gut gepflegt. Nicht mehr gebrauchte Orgeln fänden oft in weniger wohlhabenden Ländern als der Schweiz eine neue Heimat, sagt Peter Meier. In Frankreich hat der Orgelbauer schon Orgeln gesehen, die seit einem halben Jahrhundert nicht mehr geputzt worden sind, weil die Besitzer sich die Wartung nicht mehr leisten konnten. Auf lange Frist werde wohl ein Teil der Arbeit mit der fortschreitenden Säkularisierung wegfallen. Aber pessimistisch ist Peter Meier nicht: «Kirche gibt es schon so lange, Orgeln auch. Das kann nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden.»

In der grossen Orgel von St. Josef ist neben dem Manual ein kleines rot-schwarzes Büchlein versteckt. Da stehen kurze Nachrichten der Organistinnen und Organisten für den Orgelbauer drin: «Höchster Ton im Pedal bleibt hängen» oder «Manual: Plättli hat sich beim Spielen gelöst». Heute steht nichts drin. Alles in Ordnung. Peter Meier packt seine Werkzeuge zusammen und macht sich auf den Weg in die Werkstatt.

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